Geopolitik – Wenn Obama schlau wäre, würde er jetzt Putin stärken

 

Der Börsen-Crash vom Montag hat allen vor Augen geführt, dass die Weltwirtschaft eine Einheit ist: Panik ist ein internationales Phänomen und sie verbreitet sich so schnell wie ein Computer-Virus. Gegen Panik hilft nur das eiskalte Kalkül: Barack Obama sollte sich mit dem Erz-Kapitalisten Putin verbünden, um ein Mindestmaß an Stabilität sicherzustellen. Es ist vermutlich seine letzte Chance, die finanzielle Kernschmelze zu verhindern.

Barack Obama hat zum unwiderruflichen Ende seiner Amtszeit die Chance, sich des Friedensnobelpreises als würdig zu erweisen. (Foto: dpa)

Der Crash ist noch lange nicht vorbei. Das meinen nicht nur Investoren mit markanten Positionen wie Dennis Gartman oder Mark Faber, oder Jim Rickards, der den Crash als Ouvertüre für einen globalen Währungskrieg interpretiert. Das meint mittlerweile auch die FT: Sie zitiert Brian Jacobsen von Wells Fargo Funds Management im Hinblick auf die schlechte Performance der Wall Street am Dienstag. Die europäischen Börsen haben sich schnell vom Schock des Schwarzen Montag erholt. Jacobsen sagte, die US-Märkte werden sich weiter nach dem Muster eines Sägeblatts verhalten – bis man genauer wisse, wie stark die US-Wirtschaft wirklich ist und wie es mit China weitergeht.

Niemand weiß genau, welches die Gründe für den globalen Crash am Montag waren. Die US-Analysten schieben China die Schuld zu. Die Chinesen ihrerseits sagen, dass die US-Geldpolitik verantwortlich sei. Im September will die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) die Leitzinsen erhöhen. Doch das wird immer unwahrscheinlicher: Nach Larry Summers fordert auch Ray Dalio von Bridgewater das Gegenteil: Die Fed solle noch mehr Geld drucken (QE4).

Doch dies wird wieder nur Zeit bringen – und die Zeit wird immer knapper. Denn die Börse ist nur ein Spielfeld, und nicht einmal das Wichtigste: Wirklich gefährdet ist die gesamte Weltwirtschaft – wegen des Rohstoff-Schocks. Michael Bernegger hat ausführlich beschrieben, dass es wegen der langfristigen Zyklen bei einer massiven Baisse der Rohstoff-Preise Verwerfungen in allen Ländern und in allen Sektoren geben wird. Diese Verwerfungen betreffen die Schwellenländer als Importeure genauso wie die entwickelten Staaten als Exporteure. Die Hiobs-Botschaften aus der deutschen Automobil-Industrie haben gerade erst begonnen. Es wird die Banken und die Energie-Konzerne ebenso betreffen.

Das Problem der aktuellen Krise: Fast alle Marktteilnehmer, die etwas längerfristig denken, haben den Glauben an die Zentralbanken verloren. Es war sehr auffällig, dass sich zum Crash so gut wie jeder zu Wort gemeldet hat –sogar Angela Merkel, wenngleich nicht besonders erleuchtet. Doch von Zentralbankern kam so gut wie nichts. Mario Draghi, Janet Yellen, Mark Carney – alle abgetaucht. Was hätten sie auch sagen sollen? Sie wissen genau, dass ihre Geldschwemme die Asset-Blase an den Aktienmärkten aufgepumpt hat.

Noch sind die anderen Asset-Klassen – Bonds und Währungen – nicht in den Sog geraten. Doch dies ist nur eine Frage der Zeit.

Daher wäre es jetzt entscheidend, dass sie Regierungen einen äußerst kühlen Kopf behalten – und nicht durch völlig überflüssiges Kriegsgetöse die latente Panik noch verschärfen. Der G20-Gipfel wird sich mit dem Thema beschäftigen, hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble angekündigt. Niemand aus dem Kreis der globalen Schulden-Staaten kann sich eine finanzielle Kern-Schmelze leisten.

Es müssen Achsen der Stabilität gebildet werden, die Wachstumschancen im zivilen Bereich eröffnen. Das chinesische Seidenstraßen-Projekt ist ein solches, wie Folker Hellmeyer von der Bremer Landesbank nicht müde wird zu betonen. Kriege sind keine Wachstumsprojekte – weil die Folgen im Zeitalter der globalen Willkür und des globalen Terrors nicht mehr beherrschbar sind. Heute braucht man keine Atombombe mehr, um die globale Zerstörung herbeizuführen. Die Waffen der Massenvernichtung im Finanzbereich, wie Warren Buffett die Derivate bezeichnet hat, reichen aus. Anat Admati hat belegt, dass wir seit der Finanzkrise 2008 nicht weniger, sondern viel mehr solcher Waffen herumliegen haben. Bei einem Crash wird die Lunte gezündet – und dann bleibt kein Stein mehr auf dem anderen.

Die Amerikaner als die Nation der Weltwährung Dollar haben hier eine besondere Verantwortung – und auch einen wirkungsvollen Hebel. Sie müssten in der aktuellen Lage alles unternehmen, um Wachstum durch Frieden und Wiederaufbau zu leisten. Es gibt genug zu tun: Libyen, Syrien, Irak, Nahost. Francois Hollande hat das zumindest im Ansatz erkannt, wenn er sagt, die Flüchtlings-Ströme nach Europa könnten nur gestoppt werden, wenn die Konfliktherde in Nahost und in Afrika befriedet werden.

Für all diese Konfliktherde brauchen die USA einen starken Partner. In China sieht es nicht danach aus. Die FT berichtet, dass der chinesische Premier Li Keqiang wegen des verheerenden Missmanagements des Börsen-Crashs bereits unter Druck geraten ist. Es spricht einiges dafür, dass die chinesische Führung sich in den kommenden Monaten in einem Machtkampf verzettelt.

Die Amerikaner könnten aber eine viel effizientere Achse legen: Robert Parry spricht auf Consoriumnews von einem „neuen Pragmatismus“, der die US-Regierung immerhin in die Lage versetzt hat, einen Deal mit dem Iran zu schließen – jenem Land, das bis vor kurzem als das Reich des Bösen gegolten hat. Doch der Iran ist bestenfalls ein Partner auf lange Sicht: Es ist unklar, ob sich Obama gegen die Neocons durchsetzen kann – und es ist mindestens so unklar, ob die iranische Führung wirklich auf ihre Vernichtungs-Visionen in Richtung Israel verzichten will. Erst in diesen Tagen hat es, wie die Times of Israel berichtet, wieder die üblichen Auslöschungs-Parolen aus Teheran gegeben.

Daher drängt sich eine Achse Washington-Paris-Berlin-Moskau geradezu auf. Obama muss die Kalte-Kriegs-Fantasien des militärisch-industriellen Komplexes abschütteln. Die Entsendung von Tarnkappen-Bombern nach Europa schafft kein globales Wachstum. Das aber ist wichtiger als der ewige Wettbewerb der Militärs, wer denn „den Größten“ habe.

Berlin und Paris haben in den vergangenen Monaten beharrlich versucht, den Ukraine-Konflikt unter Einbeziehung von Russlands Wladimir Putin zu entschärfen. Henry Kissinger hat in einem sehr hellsichtigen Interview beschrieben, dass Putin eigentlich zum Westen dazugehören möchte. Putin kann den Amerikanern entscheidend helfen, die Lage im Nahen Osten zu konsolidieren. Die läuft nämlich gerade völlig aus dem Ruder, und die Amerikaner haben nicht den geringsten Plan, wie sie wieder herauskommen können. Mit Putin und den Europäern – wenn Washington sie endlich einmal als Partner ernst nehmen würde – könnte das gelingen. Der Nahe Osten als echtes Wiederaufbau-Projekt wäre ein Wachstums-Feld, das der Weltwirtschaft enorm helfen würde.

Was aber ist mit dem Einwand, dass Putin es vor allem auf die Wiedererrichtung einer neuen Sowjetunion abgesehen hat? Dazu gibt der Bloomberg-Kolumnist Leonid Bershidsky eine sehr aufschlussreiche Analyse: Putin sei durch und durch ein Kapitalist, der die Fehler der am Ende gescheiterten Sowjet-Bürokraten nicht wiederholen werde. Bershidsky schreibt, dass Putin – dessen gesellschaftspolitische Linie der Autor genauso widerlich findet wie die meisten westlichen Beobachter – entschieden gegen die Korruption angehe. Die Entlassung seines Freundes Vladimir Yakunin, des mächtigen Eisenbahn-Monopolisten, sei dafür ebenso ein Beweis wie die Weigerung Putins, seinem Freund Igor Sechin weitere Steuer-Milliarden für den Rosneft-Konzern zuzuschieben. Putin habe, so schreibt Bershidsky, Russland in die Lage versetzt, dass sich das Land selbst ernähren könne – ein entscheidender Unterschied zu den Sowjet-Zeiten. Und er habe zahlreiche staatliche Transfer-Zahlungen im Wohlfahrtsbereich gestoppt. Diese Zahlungen haben Putin an die Macht gebracht – im Westen würde man sagen, so hat er sich seine Wähler gekauft. Nun sei er bereit, seine Macht zu riskieren, um Russland durch die Krise zu bringen.

Im Grunde ist die beschriebene Allianz alternativlos. In Boom-Zeiten wäre sie vermutlich eine reine Illusion, weil sich alle Beteiligten ideologische Kämpfe leisten können. Doch der Schwarze Montag hat gezeigt, wie schnell der künstliche Reichtum verschwinden kann. Mit leeren Taschen denkt es sich klarer. Darin besteht eine unverhoffte Chance in dieser Krise. Je größer der Druck, desto lebhafter wird unter Umständen die Fantasie. Der Schwarze Montag hat allen vor Augen geführt, wie schnell es abwärts gehen kann – überall auf der Welt, gleichzeitig und ohne Ansehen der Person oder Nation.

Quelle: Deutsche Wirtschafts Nachrichten vom 26.08.2015

 

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