Europa – Estnischer Geheimdienstbericht soll öffentliche Meinung über Russland beeinflussen

Estnischer Geheimdienstbericht soll öffentliche Meinung über Russland beeinflussen

US-Soldaten bei der 100-Jahrfeier am 24. Februar 2018 in Tallinn/Estland.

Den Jahresbericht des estnischen Geheimdienstes für 2019 könnte man mit einem einzigen Wort zusammenfassen: Russland. Ob es die russische Minderheit im eigenen Land oder das Einlaufen von russischen zivilen Schiffen in die Häfen ist: Alles ist eine Bedrohung und wird vom Kreml gesteuert.

Der estnische Auslandsgeheimdienst Välisluureamet veröffentlichte zum vierten Mal in Folge seinen Jahresbericht, um durch „effektive Verteidigung und Sicherheitspolitik“ ein größeres öffentliches Bewusstsein für die Gefahren zu schaffen, mit denen sich Estland konfrontiert sieht. Was bereits am Inhaltsverzeichnis auffällt, ist, dass sich nahezu alles in dem Bericht um Russland dreht.

Die Modernisierung der russischen Streitkräfte und das Verstärken der westlichen Grenze mit mehr Truppen und Material wird vom Geheimdienst als Zeichen gewertet, dass sich Moskau für einen „möglichen Krieg entlang einer weiten Front“ vorbereitet. Es wird im Bericht noch konkreter:

Es gibt keinen Zweifel, dass Wladimir Putins Regime bereit ist, militärische Gewalt gegen andere Länder anzuwenden.

Russland sei das einzige Land in Europa, dass in der Zeit seit dem Kalten Krieg „Militärangriffe“ gegen souveräne Staaten unternommen habe, die es selbst anerkannt hat: Gegen Georgien und in die Ukraine. Mit keiner Silbe wird erwähnt, was überhaupt zu diesen Konflikten geführt hat und dass von militärischen Angriffen – denen manchmal ein aggressiver, aber vor allem immer offensiver Charakter zugrunde liegt –, keine Rede sein kann. Das Ziel dieses Berichts ist schließlich auch nicht, die Geschehnisse korrekt wiederzugeben, sondern, wie man selbst zugibt, die breite Öffentlichkeit von der staatlichen Sichtweise zu überzeugen.

Dass die Regierung in Tallinn zu diesem Mittel greift, ist wenig überraschend. Die öffentliche Meinung hat sich zwischen 2015 und 2019 nicht so entwickelt, wie man es gern gehabt hätte. Und das gilt für das gesamte Baltikum. Hat vor vier Jahren noch eine Mehrheit von 58,6 Prozent die Frage, ob Russland eine militärische Bedrohung darstellt, mit „Ja“ beantwortet, so sank dieser Wert bis heute auf 46,8 Prozent. 39 Prozent hatten diese Frage 2015 mit „Nein“ beantwortet, heute denken 48,6 Prozent der Befragten, dass Russland keine militärische Bedrohung für Estland darstellt. Und das, obwohl in diesem Zeitraum die Großübungen Zapad-2017 und Vostok-2018 oder die Verstärkung der westlichen Armeedistrikte Russlands einschließlich Kaliningrads stattfanden.

Um diesen Trend der öffentlichen Meinung zu beeinflussen, ist die estnische Regierung offensichtlich bereit, ganz tief in die Trickkiste zu greifen. Gewarnt wird nicht nur vor der russischen Armee, die das Baltikum am „einfachsten“ während einer Auseinandersetzung mit der NATO „angreifen“ könnte. Selbst zivile Schiffe sollen für „Einflussoperationen“ benutzt, Regatten und Festivals als Propagandawerkzeuge missbraucht werden. Der Välisluureamet warnt auch vor einer „höchstwahrscheinlichen“ Einflussnahme Russlands bei den Europawahlen am 26. Mai, um Abgeordnete als „Sprecher für Propaganda“ zu gewinnen.

Erst am Ende des 72-seitigen Berichts kommt der Geheimdienst auf die Bedrohung durch Terrorismus zu sprechen, was vermutlich daran liegt, dass „Estland nicht ernsthaft durch internationalen Terrorismus bedroht“ ist.

Diese vom estnischen Geheimdienst skizzierte Bedrohungskulisse des großen Nachbarn teilt der finnische Präsident Sauli Niinistö explizit nicht. Nach dem ersten Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Donald Trump und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin in Helsinki im vergangenen Sommer sagte Niinistö in einem CNN-Interview: „Ich glaube nicht, dass Russland Finnland oder die baltischen Länder angreifen wird.“

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