Pulverfass Nordafrika. Der Vormarsch des IS in Libyen könnte Algerien zur Explosion bringen

29.02.2016
Edgar Gärtner

In der vergangenen Woche hat der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian die Sicherheitsbehörde DPSD (Direction de la protection, de la sécurité et de la défense) mit der Untersuchung der Verletzung eines Militärgeheimnisses beauftragt. Die bekannte Pariser Tageszeitung Le Monde und das Wochenmagazin Le Point hatten über geheime französische Militäroperationen in Libyen berichtet. Schon seit November 2015 führen französische Jagdbomber über dem vom Bürgerkrieg geplagten nordafrikanischen Land Aufklärungsflüge durch.

Angeleitet durch den französischen Auslandsgeheimdienst DGSE operieren kleine französische Spezialkommandos zwischen der libyschen Hauptstadt Tripolis und der tunesischen Grenze im Osten und bei Benghazi im Westen des Landes in Zivilkleidung aber auch schon am Boden. Das Gleiche tun amerikanische Militärberater, die einen Teil der konkurrierenden Milizen für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) gewinnen und ausbilden sollen. Das wurde publik durch Fotos, die libysche Beobachter bei Facebook posteten, meldet Spiegel Online.

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Im Osten Libyens ist Eile geboten, weil der IS dort vor Kurzem mit tausend Kämpfern die Städte Sabratha und Ajdatia angegriffen und teilweise erobert hat. Die US-Luftwaffe hat deshalb am 19 Februar unverhofft Sabratha bombardiert und dabei nach eigenen Angaben etwa 50 Dschihadisten getötet. Das Ziel des IS ist die Errichtung eines Brückenkopfes zum politisch instabilen Tunesien und von da aus weiter ins ebenso instabile Algerien.

Das Eindringen der IS-Kämpfer nach Tunesien soll unmittelbar bevorgestanden haben. Als das bekannt wurde, haben Algerien, Niger und Mali mit der Errichtung eines insgesamt 3300 Kilometer langen Schutzwalls an der Grenze zu Libyen begonnen. Die Befestigung soll aus zwei Gräben und einem zwischen ihnen aufgeworfenen Erdwall bestehen. Die vom IS üblicherweise für Truppentransporte benutzten Geländewagen sollen damit an der Durchfahrt gehindert werden. An der Grenze zwischen Algerien und Libyen stehen bereits 50 000 Soldaten. Um den IS-Kämpfern das Einsickern zu erschweren, wurde die Flugverbindung zwischen Algier und Tripoli schon im Januar eingestellt.




Inzwischen soll der IS in Libyen etwa 5000 schwerbewaffnete Kämpfer aus Syrien und dem Irak zusammengezogen haben, die von ehemaligen Offizieren Gaddafis und Saddam Husseins kommandiert werden. Der französische DGSE geht davon aus, dass die Kommandeure des IS vorhaben, alle dschihadistischen Terrortruppen Afrikas von den zurzeit noch rivalisierenden libyschen Terrortruppen, die entweder von Saudi-Arabien und Ägypten oder von der Türkei und Katar unterstützt werden, über Boko Haram in Nigeria bis zur somalischen Shabab-Miliz operationell zu vereinigen.

In Frankreich macht man sich vor allem wegen Algerien große Sorgen. Es ist kein Geheimnis, dass das ehemals französische Land wegen des Verfalls der Rohstoffpreise kurz vor dem Bankrott steht. Über 90 Prozent der algerischen Deviseneinnahmen stammen aus dem Öl- und Gasexport. Der algerische Staatshaushalt wurde bislang zu etwa 60 Prozent durch das Öl- und Gasgeschäft finanziert.




Damit konnte der Staat den Import von Nahrungsmitteln und soziale Wohltaten subventionieren, um Unruhen abzuwenden. Vor allem die Öleinnahmen brechen nun weg. So fällt es der aus dem Guerillakampf der FLN gegen die Franzosen hervorgegangenen Oligarchie immer schwerer, den Deckel noch auf dem brodelnden Kochtopf zu halten. Die Hälfte der inzwischen auf 40 Millionen angewachsenen Bevölkerung Algeriens ist unter 19 Jahre alt.

Der allergrößte Teil dieser jungen Menschen sieht in dem Land, das reich an Bodenschätzen ist, aber wirtschaftlich nicht vorankommt, keine Perspektive und strebt schon seit Jahren ins alte »Mutterland« Frankreich, wo die Perspektiven wegen einer nun schon Jahrzehnte währenden Massenarbeitslosigkeit allerdings auch nicht viel besser sind. Als Hoffnungsträger erscheinen neuerdings, wie das Online-Magazin Algérie focus berichtet, die Chinesen, die sich anschicken, die große Eisenerzlagerstätte von Gara Djebilet im Westen Algeriens zu erschließen.



Eigentlich könnte sich Algerien, obwohl es größtenteils aus Wüste besteht, durchaus mit Nahrungsmitteln und anderen Konsumgütern des täglichen Bedarfs selbst versorgen, denn der Norden des Landes ist sehr fruchtbar. Es gibt dort auch reichlich Niederschläge, die allerdings übers Jahr sehr ungleich verteilt sind.

Doch die 1962 vom französischen Präsidenten Charles de Gaulle mit den Verträgen von Evian in die Unabhängigkeit entlassenen Führer der FLN machten, angestiftet von Beratern aus der Sowjetunion und der DDR, den Fehler, nichts in die Landwirtschaft und die Konsumgüterindustrie zu investieren, sondern so gut wie alle Investitionsmittel dem Aufbau einer Schwerindustrie in der Nähe der ostalgerischen Stadt Annaba (Bône) zu widmen.



Die von den französischen »Colons« entwickelte Landwirtschaft verkam in raschem Tempo. Dadurch wurde eine starke Landflucht ausgelöst. Während in den Dörfern fast nur Alte und Gebrechliche zurückblieben, breiteten sich rund um die Großstädte wilde Wellblechsiedlungen aus.

Ich kann mich gut an diese Zeit erinnern. Als ich in den 1980er-Jahren einen ehemaligen Studienfreund in Ostalgerien besuchte, machte mich dieser mit einem jungen Mann bekannt, der von den neuen Machthabern als Manager einer von den Franzosen hinterlassenen großen Orangenplantage eingesetzt worden war. Als wir ihn besuchten, hingen die Orangenbäume brechend voll mit reifen bis überreifen Orangen. Doch der gute Mann fand niemanden, der sie hätte pflücken und zum Markt fahren können.

Er musste zusehen, wie die überreifen Früchte nach und nach ins Gras plumpsten. Er riet uns, den Kofferraum unseres Pkw damit zu füllen, um wenigstens einige davon nicht verkommen zu lassen. Das traurige Gesicht des jungen Verwalters wird mir wohl noch lange im Gedächtnis bleiben.

Zurzeit wird Algerien nur durch den mit polizeistaatlichen Methoden regierenden greisen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika notdürftig zusammengehalten. Französische Ärzte halten den zuletzt im Jahre 2014 wiedergewählten todkranken Mann künstlich am Leben, weil sie fürchten, dass nach seinem Ableben sofort das Chaos ausbricht.

Ins Chaos könnte aber auch ein durch das Vorrücken des IS in Libyen ausgelöster massenhafter Zustrom von Flüchtlingen führen. Schon jetzt leiden die meisten der kinderreichen algerischen Familien unter drückender Wohnungsnot. Da braucht es wenig, um eine Revolte anzufachen. Wie rasch in Algerien ein Bürgerkrieg ausbrechen kann, zeigen die Unruhen, die im Jahr 1991 nach dem vom Militär abgewürgten Wahlsieg der islamischen Heilsfront FIS über die FLN ausbrachen. Dem damals begonnenen Bürgerkrieg fielen schätzungsweise 100 000 Menschen zum Opfer.

So erscheint es eher wie ein schlechter Witz, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière gerade nach Algerien reist, um über die Rücknahme abgeschobener illegaler Einwanderer zu verhandeln. Algerien soll nach dem Willen der in Berlin regierenden Großen Koalition wie die beiden anderen Maghreb-Staaten Marokko und Tunesien zum »sicheren Herkunftsland« erklärt werden. Es zeichnet sich im Gegenteil ab, dass diese Länder wie auch Libyen infolge des Zusammentreffens der fortschreitenden Verarmung der Bevölkerung mit Vorstößen des IS zur Quelle eines neuen Massenexodus über das Mittelmeer werden.

Als Anwälte der rasch wachsenden Zahl der Armen profilieren sich in Algerien heute immer stärker werdende Muslimbrüder und Salafisten.

Um diese zu besänftigen, lässt Bouteflika an der Bucht von Algier zurzeit trotz weitgehend leerer Kassen vom deutschen Architekten Jürgen Engel eine Riesenmoschee für 120 000 Besucher errichten. Deren 265 Meter hohes Minarett soll zum höchsten Bauwerk Afrikas werden. Der in einer Erdbebenzone auf wackligem Grund stehende Turm könnte zum Symbol der Vermessenheit einer überlebten Oligarchie werden …

Quelle: Kopp-online vom 29.02.2016

 

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kurt mai
kurt mai
8 Jahre zuvor

Der weitere „Vormarsch “ der gewaltsamen Einwanderer-Eindringlinge ,auch IS- Angehörige ,bringen ,in Europa auch das Pulverfass zur Explosion . Das die Lunte schon gezündet wurde ,ist wohl keinen so richtig Bewusst ? Den „Knall “ scheinen die Europäischen Bürger ,wohl auch nicht mehr hören !

Ulrike
Ulrike
8 Jahre zuvor

Für uns wird es ein böses Erwachen geben. Was uns die Merkel da eingebrockt hat gibt unseren Untergang. Hoffentlich kriegt die Landesverräterin die gerechte Strafe.