Österreich: „Nur verwaltend“ – Politische Fallen für die Übergangsregierung

Nationalrat
APA/Hans Punz
 

Verwaltend statt politisch soll die neue Übergangsregierung – so sie einmal steht – arbeiten. Die Regierung unter Verfassungsrichterin Brigitte Bierlein, Österreichs erster Bundeskanzlerin, soll mindestens vier Monate im Amt sein. Bis zur Neuwahl soll es keine politischen Initiativen geben. Doch so einfach wird das womöglich gar nicht.

Sowohl Bierlein als auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen betonten am Donnerstag, die #Übergangsregierung sei in den kommenden Monaten nicht zuständig für große Gesetzesinitiativen, sondern für eine „gute, wohlgeordnete Verwaltung der Staatsgeschäfte“. Bierlein sagte, ihr Kabinett solle „die Amtsgeschäfte verlässlich und gut im Sinne der Menschen dieses Landes“ führen.

Das sei schon eine Weichenstellung gewesen, sagte der Politologe Thomas Hofer am Freitag im Ö1-Mittagsjournal. Man werde es „nicht darauf anlegen, da jetzt groß offensiv zu sein“. Aus dem Parlament können gerade jetzt hingegen im „freien Spiel der Kräfte“ starke Initiativen kommen, die die Regierung bei einer Mehrheit absegnen muss.

Peter Filzmaier über die neue Regierung

Politikwissenschaftler Peter Filzmaier über die neue Bundeskanzlerin Bierlein und mögliche Konflikte, die auf sie zukommen könnten.

So könnte es zu einer Mehrheit von SPÖ und FPÖ bei einer Obergrenze von Parteispenden kommen. „Das ist jedenfalls möglich, aber das hängt eben davon ab, wie die einzelnen Parteien reingehen und ob sie wirklich im Nationalrat dann auch Wahlkampf machen wollen“, so Hofer. Im Nationalrat könnte sich auch eine Mehrheit von ÖVP und SPÖ bilden, um das Rauchverbot in der Gastronomie doch noch flächendeckend einzuführen.

Abschied von Verordnungen

Dass auch ein Expertenminister politisch tätig werden kann, zeigte jüngst erst Ex-OGH-Richter Eckart Ratz. Der Noch-Innenminister kündigte sofort nach Amtsantritt an, die letzten Verordnungen seines Vorgängers Herbert Kickl (FPÖ) rückgängig zu machen. Dazu zählte die Bestellung von Peter Goldgruber als Leiter der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit ebenso wie die Verordnung zur Senkung des Stundenlohns für Asylwerbende für gemeinnützige Tätigkeiten auf 1,50 Euro. Zudem veranlasste er eine Evaluierung des von Kickl angeordneten Medienerlasses. Dieser Erlass hatte unter anderem eine explizite Herkunftsnennung bei Tatverdächtigen vorgesehen, was scharfe Kritik auslöste.

Gerade im Innenministerium ist „politische Sensibilität“, wie sie Bierlein angekündigt hatte, gefragt. Ermittlungen und Erkenntnisse im Zusammenhang mit der „Ibiza-Affäre“ werden wohl heikel sein. Ob Ratz von der alten in die neue Übergangsregierung wechselt, also auch unter Bierlein im Amt bleibt, ist offen.

Schwierigkeit des Kompromisses

Für Bierleins rein verwaltende Regierung gibt es zudem „Hürden“, so der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier in der ZIB am Freitag. So sei es Bierlein als Richterin gewohnt, „Recht zu sprechen“, der Verfassungsgerichtshof (VfGH), dem Bierlein bisher vorstand, „hat immer recht“. Nun müsse sie aber in der Politik Kompromisse suchen. Gegenüber ihren Ministerinnen und Ministern habe sie als Kanzlerin keine „Weisungs- und Richtlinienkompetenz. „Das ist nicht so einfach“, so Filzmaier.

Verfassungsgerichtshof-Präsidentin und Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein
APA/Hans Punz
Übergangskanzlerin Bierlein muss über das Wochenende ein Kabinett zusammensuchen

Zudem ist es möglich, dass Bierlein als Kanzlerin Gesetze reparieren muss, die der VfGH beanstandet. So sei Bierlein als Richterin wohl in irgendeiner Form etwa mit der Sozialversicherungsreform befasst gewesen, gegen die eine Beschwerde vorliegt. Sollte der Gerichtshof zum Schluss kommen, dass diese Reform teilweise geändert werden müsse, sei Bierlein nun als Kanzlerin mit zuständig. „Dann ist es vorbei mit der Nur-Verwaltungsregierung“.

Auch berge prinzipiell jedes Ministerium das Potenzial, plötzlich Konfliktstoff zu liefern. Als Beispiel nannte Filzmaier das Thema Gewalt an Schulen, das kürzlich sehr emotional debattiert wurde. „Da muss man auf Verordnungs- oder allenfalls gesetzlichem Wege etwas machen“, so Filzmaier.

Warten auf Namen und Angelobung

Die noch offenen Ministerien dürften ebenso mit aktiven oder pensionierten Spitzenbeamten besetzt werden. Bierlein kündigte an, sofort mit Gesprächen mit Kandidatinnen und Kandidaten zu beginnen, über das Wochenende dürften sie finalisiert werden. „Das liegt allein in den Händen der designierten Bundeskanzlerin und des Bundespräsidenten“, hieß es am Freitag dazu aus dem Bundeskanzleramt zu ORF.at. „Aber heute sieht es zumindest nicht mehr danach aus“, so ein Sprecher.

Sollte die Angelobung am Montag über die Bühne gehen, könnte es am Dienstag oder Mittwoch eine Präsidialsitzung geben und dann für Donnerstag oder Freitag eine Nationalratssondersitzung anberaumt werden. Das ist aber noch offen. Je später die Angelobung ist, desto unwahrscheinlicher wird aber eine Sondersitzung, denn am 12. und 13. Juni findet ohnehin eine reguläre Sitzung statt, in der dann die Regierung vorgestellt werden könnte.

Wahltermin rückt nach hinten

Zu den ersten wichtigen Amtshandlungen der Regierung wird die Bestimmung eines Stichtags für die Nationalratswahl im Herbst gehören. Davor muss aber der Neuwahlantrag im Verfassungsausschuss und im Plenum des Nationalrats beschlossen werden. Für den Verfassungsausschuss sind der 4. und 11. Juni als Termine im Gespräch. Sollte es der 4. werden, könnte die Neuwahl im Fall einer Sondersitzung schon nächste Woche beschlossen werden. Andernfalls wird das in der regulären Sitzung passieren.

Das Hauptproblem derzeit ist, dass es zwischen den Fraktionen noch keine Einigung über den Wahltermin, der im Hauptausschuss beschlossen wird, gibt. In Diskussion sind der 15., der 22. und der 29. September. Laut „Kurier“ gibt es eine Mehrheit aus Stimmen der SPÖ und der FPÖ für den 29. September als Wahltermin. Die Verhandlungen dazu sollen ebenfalls kommende Woche stattfinden.

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