Standortqualität sinkt – Steuern, Strompreis, marode Straßen: Deutschland wird wieder zum kranken Mann Europas

 

Industrieproduktion

dpa/Peter Steffen/Symbolbild
  • Gastautor Jörg Krämer

Dienstag, 15.10.2019, 06:21

Die Industrieproduktion in Deutschland fällt seit über einem Jahr stärker als im Rest des Euroraums – vor allem in der Auto- und Chemieindustrie. Die Erosion der Standortqualität Deutschlands beginnt sich zu rächen.

Als die deutsche Wirtschaft nach der Großen Finanzkrise wie Phönix aus der Asche stieg und die südlichen Länder der Währungsunion in die Staatsschuldenkrise rutschten, betrachteten immer mehr internationale Anleger Deutschland als einen ökonomischen Superstar, der wahre Wunder vollbringen kann.

Mittlerweile hat die optimistische Wahrnehmung Deutschlands ihren Höhepunkt überschritten. Das Blatt hat sich gewendet. Seit Mitte 2018 legt das deutsche Bruttoinlandsprodukts deutlich langsamer zu als im Rest des Euroraums; es ist im Vorquartalsvergleich sogar schon zwei Mal (Q3 2018 und Q2 2019) geschrumpft, und für das dritte Quartal zeichnet sich ein weiteres Minus ab, womit die Definition einer technischen Rezession für Deutschland erfüllt wäre.

Zur Person

Jörg Krämer ist Chefvolkswirt der Commerzbank.

Industrieproduktion fällt in Deutschland

Die unterdurchschnittliche Entwicklung ist besonders bei der Industrieproduktion sichtbar. Während sie sich im restlichen Euroraum seit dem Frühjahr 2018 tendenziell seitwärts entwickelt, ist sie in Deutschland deutlich gefallen. Das liegt an der rückläufigen Produktion dreier Branchen: der Auto-, Chemie- und Pharmaindustrie; ohne sie sinkt die Industrieproduktion in Deutschland ähnlich wie im Rest des Euroraums

Unterdurchschnittliche Entwicklung der Industrieproduktion in Deutschland

Global Insight, Commerzbank-ResearchUnterdurchschnittliche Entwicklung der Industrieproduktion in Deutschland
 

Dass diese drei Branchen ihre Produktion in Deutschland überproportional gesenkt haben, liegt teilweise daran, dass sie Produktion ins europäische Ausland verlagert haben. Das lässt sich vor allem für die Autoindustrie zeigen. Während deutsche Autobauer ihre Produktion hierzulande seit Anfang 2018 zurückfahren, haben sie sie im europäischen Ausland weiter gesteigert, obwohl sich die Nachfrage gemessen an den Neuzulassungen dort deutlich schlechter entwickelt hat als in Deutschland. Als wichtige Zulieferbranche hat auch die Chemieindustrie ihre Produktion teilweise ins europäische Ausland verlegt.

Deutsche Autoindustrie verlagert Produktion ins Ausland

VDA, Commerzbank-Research Deutsche Autoindustrie verlagert Produktion ins Ausland

Die Qualität des Standorts Deutschland wird immer schlechter

Diese Standortentscheidungen gehen auf unterschiedliche Faktoren zurück. Viele sind unbedenklich wie der Teil des Fachkräftemangels, der auf die gute Lage am deutschen Arbeitsmarkt zurückgeht, oder die seit vielen Jahren zu beobachtende Abwanderung umweltbelastender Produktionen. Teilweise spielen – wie in der Pharmaindustrie – Produktionszyklen eine Rolle, bei der eine erfolgreich in Deutschland angelaufene Produktion nach einer bestimmten Zeit routinemäßig ins billigere Ausland verlagert wird. Aber nach unseren Recherchen sind zunehmend wirtschaftspolitisch verursachte Standortschwächen mitverantwortlich:

– Deutsche Unternehmen zahlen in der EU mit Abstand die höchsten Strompreise. Sie sind fast doppelt so hoch wie im Durchschnitt der EU. Das belastet besonders die Chemie-Industrie.

– Die Qualität der Verkehrsinfrastruktur ist in den zurückliegenden Jahren im Vergleich zu anderen EU-Ländern massiv gefallen. Verfügte Deutschland nach einer Umfrage der Weltbank vor zehn Jahren nach Frankreich über das zweitbeste Straßensystem des Euroraums, ist es mittlerweile hinter die NiederlandePortugal und Österreich zurückgefallen. Das ist ein großes Thema für die Autoindustrie – vor allem was den pünktlichen Bezug von Vorleistungen per Lkw anbelangt. Auch die Chemieindustrie leidet unter der mittlerweile schlechten Qualität der Schienen- und Wasserwege.

Deutschland fällt bei der Qualität der Verkehrswege immer weiter zurück

Weltbank, Commerzbank-Research Deutschland fällt bei der Qualität der Verkehrswege immer weiter zurück

– Die steuerliche Belastung eines mittelgroßen Industrieunternehmens ist in Deutschland mittlerweile viel höher als im Rest des Euroraums. Berücksichtigt man Steuerfreibeträge und sonstige Abzüge, führen deutsche Unternehmen der Weltbank zufolge 23 Prozent ihrer Gewinne an den Fiskus ab; das ist das doppelte des EU-Durchschnitts und 5,5 Prozentpunkte mehr als 2009.

– Der Fachkräftemangel behindert zunehmend die Unternehmen. Unsere Befragung deutscher Mittelständler ergab, dass 83 Prozent der Unternehmen Ausbildungsstellen nicht besetzen konnten, weil keine geeigneten Bewerber vorlagen. Das liegt vor allem an mangelnden Rechen- und Rechtschreibfähigkeiten und deutet auf massive Mängel im deutschen Schulwesen hin. Außerdem fehlen IT-Kräfte, ohne dass klar ist, ob das Fachkräfteeinwanderungsgesetz spürbar Abhilfe schaffen wird.

Ein neuer Kranke-Mann-Zyklus hat begonnen

Deutschland ist noch lange nicht so krank wie am Anfang des Jahrtausends nach dem Platzen der Aktienmarktblase, als die Zahl der Arbeitslosen die psychologisch wichtige Marke von 4 Millionen überschritt und der damalige Kanzler Gerhard Schröder Deutschland eine wirtschaftspolitische Rosskur verordnete, mit der das Land schrittweise das Image des kranken Mannes überwand.

Aber die positive Wahrnehmung Deutschlands als ökonomischer Superstar hat ihren Höhepunkt überschritten. Die deutsche Wirtschaft hat begonnen, sich unterdurchschnittlich zu entwickeln. Gleichzeitig rollt die Bundesregierung die Arbeitsmarkt- und Rentenreformen der Schröder-Ära weiter zurück, was Staatsausgaben bindet und den Spielraum für dringend benötige Infrastrukturinvestitionen beschneidet.

Es ist zu befürchten, dass ein neuer Kranke-Mann-Zyklus eingesetzt hat. Deutschland könnte in einigen Jahren wirtschaftlich ähnlich dastehen wie am Anfang des Jahrtausends, sofern die Wirtschaftspolitik nicht rasch umsteuert.

Quelle: Focus-online vom 15.10.2019


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birgit
birgit
4 Jahre zuvor

„führen deutsche Unternehmen der Weltbank zufolge 23 Prozent ihrer Gewinne an den Fiskus ab; “

Das stimmt nicht !Es trifft für den Mittelstand und die Kleinunternehmer nicht zu !

Dort sind wir bei 70 % angelangt ! Denn Zwangsversicherungen und Zwangskassen und Zwangsmitgliedschaften saugen und fressen sich an den Unternehmen wie Parasiten satt. Diese Abzocke ist den Steuern hinzu zu rechnen.
Es lohnt sich nicht mehr hier zu arbeiten. Dem Unternehmer bleiben 3 Monate Gewinn, mehr nicht. Dafür noch bis zu 12 Stunden arbeiten und das täglich bei Wind und Wetter ?
Geht’s noch IHR sesselfurzenden Parasiten ?

ulrike
ulrike
4 Jahre zuvor

Dumm-Deutscheland wird Dritte-Welt Land dank unser Politnasen.