Die Antisemitismuskeule funktioniert – bis sie nicht mehr funktioniert. Und dann?

Die Antisemitismuskeule funktioniert – bis sie nicht mehr funktioniert. Und dann?
Die Antisemitismuskeule funktioniert – bis sie nicht mehr funktioniert. Und dann? (Roger Waters (Pink Floyd) ist das jüngste Opfer der „Antisemitismuskeule“ in den USA. Archivbild: Roger Waters in Berlin beim East Side Gallery Protest, 03. September 2013)

Der Musiker und Aktivist Roger Waters ist die jüngste Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, die wegen „Antisemitismus“ demontiert werden soll. Doch diese holzhammerartige Drucktaktik schadet den Fürsprechern Israels mehr als sie nützt.

von Nebojsa Malic

Werbeanzeigen für die Konzerttournee des Solokünstlers Roger Waters wurden von den Internetauftritten des großen US-Baseballverbandes Major-League-Baseball (MLB) wieder heruntergenommen. Anlass war ein wütender Beschwerdebrief der jüdischen Organisation B’nai Brith, der im vergangenen Monat bei der MLB einging. Gegenstand waren gewisse Ansichten Waters, die er im Rahmen seines politischen Aktivismus vertritt.

Der ehemalige Pink-Floyd-Gitarrist sei ein „Individuum mit einer alarmierenden Vergangenheit von antisemitischem Hass“ und seine Ansichten über Israel „gehen weit über die Grenzen des zivilen Diskurses hinaus“, hieß es in dem Brief. Die MLB antwortete zunächst privat und kündigte dann am Samstag an, dass „keine weiteren Anzeigen geplant sind“.

Erstaunlich! Es ist also in Ordnung, dass die pro-israelische Lobby für einen Boykott der völlig legalen Auftritte von Roger Waters kämpft, aber nicht, dass Roger Waters für einen Boykott von Waren aus illegalen Siedlungen im Westjordanland kämpft. Heuchler! #BDS https://twitter.com/swilkinsonbc/s

Phil Gould@bongosaloon

Amazing! So it’s ok for the pro-Israel lobby to campaign for a boycott of Roger Waters’ perfectly legal gigs, but not for Roger Waters to campaign for a boycott of goods made in illegal West Bank settlements. Hypocrites! https://twitter.com/swilkinsonbc/status/1226443733346004992 

Sarah Wilkinson@swilkinsonbc

Pro-Israel organisation is trying to ban the mighty Roger Waters from performing in Mexico over his support for Palestinian human rights https://news.yahoo.com/amphtml/jewish-center-urges-boycott-waters-concert-mexico-194836857.html?guccounter=1&guce_referrer=aHR0cHM6Ly90LmNvLzhMV2MzaURoMWs_YW1wPTE&guce_referrer_sig=AQAAAA05LLXeSq99KQL11FHPI1973J4Rp1VA3zNdpX5rU5NWW2ZNV7nXhsIe7h3TqnpHQua17lEPoLZCoYzY0oTL1YIvLPTvHexnwS8b2JVlJ517a51UpvQqsUibNa1w_WgImQpH7CGBNUPyijYKsu4LHLL8wNTkmYO5FC7y0pNcbhqF 

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Was Waters bei der MLB zum Verhängnis wurde, war seine Unterstützung der Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionskampagne (BDS) gegen Israel. Diese pro-palästinensische Bewegung wurde nach dem Vorbild der Kampagne gegen die Apartheid in Südafrika ins Leben gerufen, die im Jahr 1994 eine Mehrheitsregierung in diesem Land an die Macht brachte. Die israelischen Behörden erklärten, das wahre Ziel der BDS bestehe darin, Israel zu delegitimieren und von der Landkarte zu tilgen.

Nichts davon hat auch nur irgendetwas mit Baseball zu tun – auch nicht mit der beworbenen „This is Not a Drill“-Tour von Waters, denn sie dreht sich um die Botschaft, dass „wir die Art und Weise, wie wir uns als Menschheit organisieren, ändern müssen – oder sterben werden“.

Die USA sind jedoch zu einem wichtigen Schlachtfeld zwischen den beiden Seiten im Kampf der BDS geworden. So erließen 27 US-Bundesstaaten Gesetze, nach denen jedem, der sich auf einen Boykott Israels einlässt, Staatsaufträge zu verweigern seien. Mehr noch: Die ehemalige RT-Moderatorin Abby Martin, die kürzlich einen Israel gegenüber sehr kritischen Dokumentarfilm über den Gaza-Streifen produzierte, hatte kürzlich im US-Bundesstaat Georgia mit diesem Gesetz zu kämpfen, da sie bei einer Konferenz zur Medienkompetenz nicht vorsprechen durfte. Martin kommentierte dies wie folgt:

Diese Zensur meiner Redefreiheit, die auf der erzwungenen Einhaltung der Anti-BDS-Gesetze in Georgia beruht, ist nur eine Ebene einer landesweiten Kampagne zum Schutz Israels vor dem Druck der Massen. Wir müssen uns diesen Bestrebungen entschieden entgegenstellen und dürfen uns vor diesen eklatanten Verletzungen der Redefreiheit nicht wegducken.

Abby Martin

@AbbyMartin

.@nolan_higdon & @Mythinfo of @ProjectCensored discuss how these selective, politicized narratives about free speech lead to bi-partisan attacks on First Amendment protections & support for censorship against critiques of empire. http://bit.ly/36JRFHQ 

As Democracy Crumbles, Silence Speaks Volumes – CounterPunch.org

Hyper-Partisanship and the Failure to Uphold Free Speech Principles In late 2019, the popular Joe Rogan podcast featured author and contributing editor to Rolling Stone, Matt Taibbi. In addition to…

counterpunch.org

Abby Martin

@AbbyMartin

This censorship of my talk based on forced compliance to anti-BDS laws in Georgia is just one level of a nationwide campaign to protect Israel from grassroots pressure. We must stand firmly opposed to these efforts and not cower in fear to these blatant violations of free speech.

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Martin kündigte am Montag an, dass sie mit Unterstützung des Council on American-Islamic Relations (CAIR), einer muslimischen Interessengruppe, den US-Bundesstaat Georgia wegen Verstößen gegen den Ersten Verfassungszusatz – den Teil der US-Verfassung, der Einschränkungen der Redefreiheit verbietet – verklagen wird.

Der Vorwurf des Antisemitismus wurde auch als politische Waffe zur Beeinflussung der Europawahlen eingesetzt. Im Vorfeld der britischen Parlamentswahlen 2019 wurden die Labour-Partei und ihr Vorsitzender Jeremy Corbyn aufgrund ihrer Kritik an bestimmten Auswüchsen der israelischen Politik mit einem Ansturm von Antisemitismusvorwürfen konfrontiert.

Obwohl es unmöglich ist, genau abzuschätzen, wie sehr diese Hetzkampagne die Wahl beeinflussen konnte, wiesen viele politische Analytiker später darauf hin, dass sie einer der Faktoren war, die zur niederschmetternden Niederlage der Labour-Partei beitrugen, infolge derer auch Corbyn selbst seinen Sitz im Parlament verlor.

Als der slowenische Philosoph Slavoj Žižek seine Stimme zur Verteidigung Corbyns erhob, wurde auch er über den gleichen Kamm geschoren. Dabei lag der Fokus der Kritik an Žižeks Wortwahl.

Im Moment ist der Vorwurf eines angeblichen „Antisemitismus“ die politische und soziale Entsprechung einer Atomwaffe. Das macht seine so ungehemmte Anwendung, um jegliche Kritik gegen Israel zu unterbinden, so problematisch – ähnlich wie beim Ausdruck „Rassismus“ kann übermäßige Anwendung dazu führen, dass die beiden Argumente ihre ganze Wirkungsmacht gegen echte Rassisten und Antisemiten verlieren. Jetzt funktioniert beides noch, und wird auch noch eine Weile funktionieren – bis es eines Tages eben nicht mehr funktioniert. Die Menschen können nur eine gewisse Zeitlang der offensichtlichen Übertreibung ausgesetzt werden, bevor sie sich daran gewöhnt haben und gleichgültig geworden sind. Nicht jede Israelkritik ist mit einer Wiederkehr des Holocaust gleichzusetzen, und derartige Argumente entweihen zum Beispiel das Andenken an die Opfer dieser schrecklichen Ereignisse – und zwar auf eine schäbige Weise.

Das Schlimmste dabei ist: sich dieses Arguments zu bedienen, nur um jemanden mundtot zu machen – so hasserfüllt man dessen Aussagen auch finden mag – schürt in Wirklichkeit genau jene Vorurteile, die von echten Antisemiten über eine angebliche „jüdische Kontrolle“ über die Medien und die Politik verbreitet werden. Letztendlich kann das Argument des Zwangs und des Verbots niemals wirklich die Kraft echter Argumente ersetzen – auch gegen Krankheitserreger ist Sonnenlicht normalerweise das beste Desinfektionsmittel.

Übersetzt aus dem Englischen.

Nebojsa Malic

ist ein serbisch-US-amerikanischer Journalist, Blogger und Übersetzer, der in den Jahren 2000 bis 2015 eine regelmäßige Kolumne für Antiwar.com schrieb und jetzt als leitender Autor bei RT International tätig ist. Folgen Sie ihm auf Twitter @NebojsaMalic

RT bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Quelle: Russia Today (RT) vom 17.02.2020


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Kleiner Grauer
Kleiner Grauer
4 Jahre zuvor

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Auszug

#27.11.2006 | Von:

Prof. Dr. Werner Bergmann

Was heißt Antisemitismus?
Antisemitismus ist mehr als Fremdenfeindlichkeit, auch mehr als ein soziales oder religiöses Vorurteil. Er ist eine antimoderne Weltanschauung, die in der Existenz der Juden die Ursache aller Probleme sieht.
Der Begriff Antisemitismus bezeichnet heute alle historischen Erscheinungsformen der Judenfeindschaft, obwohl er erst 1879 geprägt wurde, um eine neue Form einer sich wissenschaftlich verstehenden und rassistisch begründeten Ablehnung von Juden zu begründen. In dieser Wortneuschöpfung drückt sich eine veränderte Auffassung von den Juden aus, die nun nicht mehr primär über ihre Religion definiert werden, sondern als Volk, Nation oder Rasse. Die Wortbildung Antisemitismus basiert auf sprachwissenschaftlichen und völkerkundlichen Unterscheidungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, in denen mit dem Begriff des Semitismus versucht wurde, den ‚Geist‘ der semitischen Völker im Unterschied zu dem der Indogermanen zu erfassen und abzuwerten. Aus den indoeuropäischen und semitischen Sprachfamilien schloss man auf die Existenz entsprechender Rassen, also der Semiten und der Indogermanen oder Arier zurück, wobei sich dabei eine Begriffsverengung auf die Juden einerseits, auf die Germanen andererseits beobachten lässt. Insofern geht der heute oft zu hörende Einwand, es könne per definitionem keinen arabisch-islamischen Antisemitismus geben, da die Araber selber Semiten sein, an der Sache vorbei, da mit Antisemitismus ausschließlich judenfeindliche Einstellungen und Handlungen gemeint sind.#
Auszug Ende