Zündeln an der Flüchtlingsroute – Wie Mazedonien destabilisiert wird

23.04.2016
Peter Orzechowski

Mazedonien, zentral im Balkan gelegen, kommt nicht zur Ruhe. Zehntausende gehen seit einer Woche überall im Land gegen die Regierung auf die Straße. Mehrfach kam es zu schweren Krawallen. Demonstranten warfen Steine und Brandsätze auf Regierungsgebäude. Ein Umsturz wie in der Ukraine könnte die gesamte Region destabilisieren und womöglich die Flüchtlingskrise neu zuspitzen.


Staatspräsident Djordje Ivanov hat gerade 56 Politiker und hochrangige Beamte begnadigt, gegen die unter anderem wegen Wahlbetrugs und Korruption ermittelt wurde. Die Amnestie hat die Stimmung im Land gegen die regierenden Nationalkonservativen angeheizt. Angesichts der seit einer Woche dauernden Massenproteste sprechen Beobachter von einem möglichen Maidan-Szenario in Mazedonien, ähnlich zur Lage in der Ukraine vor rund zwei Jahren.

Die Europäische Union hat mit Sanktionen gegen Politiker in Mazedonien gedroht, um ein weiteres Abgleiten des Balkanstaates ins Chaos zu verhindern. Mit Strafmaßnahmen belegt werden könnten diejenigen, die die Beilegung der seit mehr als einem Jahr schwelenden Krise verhinderten, sagte am Donnerstag ein EU-Vertreter, der namentlich nicht genannt werden wollte. Möglich seien Einreiseverbote in die EU sowie das Einfrieren von Konten.

Eine von der EU im vergangenen Jahr vermittelte Vereinbarung sah eine Aufklärung der Affäre und vorgezogene Wahlen vor. Die Umsetzung kommt aber nicht voran. Für Freitag sind erneut Gespräche zwischen Vertretern von Opposition und Regierung unter Vermittlung der EU in Wien geplant. Mazedonien kommt eine Schlüsselrolle in der Flüchtlingskrise zu. Das Nachbarland Griechenlands hat genau wie andere Staaten auf der Balkanroute seine Grenzen abgeriegelt und verhindert damit die Durchreise von Flüchtlingen auf dem Weg nach Deutschland und in andere nordeuropäische Staaten.

Mazedonien – ein Land in Auflösung

»Wir sind ein Land in Auflösung«, sagt der mazedonische Publizist Saso Ordanoski gegenüber Spiegel Online. »Es gibt praktisch kaum noch legale Institutionen, unser weiteres Schicksal hängt jetzt von der internationalen Gemeinschaft ab.« Der Balkanexperte Dušan Reljić von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik nennt die Staatskrise in Mazedonien ein »Sicherheitsproblem für die gesamte EU, das in Brüssel auch als solches erkannt werden sollte.« Ein Kollaps der staatlichen Ordnung könnte die derzeit abgeschottete Grenze zu Griechenland wieder öffnen und die Lage im griechischen Grenzort Idomeni eskalieren lassen.

Begonnen hatte die Krise nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vor exakt zwei Jahren. Das Wahlergebnis sei manipuliert worden, protestierten die Sozialdemokraten, die wichtigste Oppositionspartei, und riefen einen Parlamentsboykott aus. Ministerpräsident Nikola Gruevski regierte trotzdem, wie er das bereits seit 2006 tat.

Im Februar 2015 eskalierte die politische Krise, als die Sozialdemokraten über Wochen hinweg mitgeschnittene Telefonate von Gruevski und anderen Regierungspolitikern veröffentlichten, die ihnen von Unbekannten zugespielt worden waren. Aus ihnen geht hervor, dass das Gruevski-Regime jahrelang Tausende Mazedonier illegal abhörte, Wahlen fälschte, Medien beeinflusste und korrupte Geschäfte organisierte. Die Affäre löste monatelange Proteste aus und brachte Mazedonien an den Rand eines Bürgerkriegs ‒ Gruevski sprach von einem Putschversuch der Opposition.

Nun griff die Europäische Union ein und vermittelte im Sommer vergangenen Jahres ein Abkommen zwischen Regierung und Opposition, das unter anderem vorgezogene Neuwahlen unter fairen Bedingungen vorsah. Deshalb wurde vorige Woche das Parlament aufgelöst und der Termin für vorgezogene Wahlen endgültig auf den 5. Juni festgesetzt.

Soweit so gut? Leider Nein. Die sozialdemokratische Opposition will die Wahlen boykottieren, weil sie neuerlichen Betrug wittert: Die Wählerverzeichnisse seien von Zehntausenden Karteileichen nicht bereinigt, fiktive Stimmen könnten in das Wahlergebnis hineingerechnet werden. EU-Erweiterungskommissar Hahn hat nun Regierung und Opposition zu einem neuen Vermittlungstreffen eingeladen, um ein Ende der Krise zu erreichen und die Wahlen zu retten.

Moskau warnt vor Ukraine-Szenario

Moskau hat sich jetzt ebenfalls eingeschaltet und warnt vor einem »von außen inspirierten« Staatsstreich nach »Ukraine-Szenario«. »Wir sind über die Verschärfung der politischen Konfrontation in Mazedonien, die Zusammenstöße in Skopje äußerst besorgt. Wir rufen alle Seiten zum politischen Dialog, zum Verzicht auf Begünstigung neuer Krisenwellen auf, die seit über einem Jahr andauern«, heißt es in der Mitteilung des russischen Außenministeriums.

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Mazedonien sei zu einem Instrument geworden, einen innenpolitischen Konflikt auch mit Hilfe von außen zu schüren – mit dem Ziel, die für den 5. Juni 2016 angesetzten Neuwahlen zu vereiteln. Eben diese Wahlen betrachte jedoch das russische Außenministerium als einzigen legitimen Ausweg aus der Krise in Mazedonien. Die Wahlen waren im Sommer 2015 unter aktiver Anteilnahme der EU und der USA vereinbart worden.

»Die westlichen Partner müssen sich an ihre eigenen Vereinbarungen und entsprechende Verpflichtungen auch halten. Die Verschärfung der brüchigen Lage in Mazedonien ist völlig inakzeptabel. Die Aktivierung des ›Ukraine-Szenarios‹, die Förderung illegaler Aktivitäten und eines Staatsstreichs von außen kann zu tiefgreifenden Erschütterungen in Mazedonien und zur Destabilisierung der Balkanstaaten generell führen«, heißt es weiter.

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Russland rufe alle politischen Kräfte und Vertreter der Weltgemeinschaft dazu auf, einen friedlichen Weg der Beilegung der innermazedonischen Situation zu gehen und die Entscheidungen der Regierung des Landes zu respektieren.

Viele Experten vermuten, die USA und Westeuropa wollen durch einen gewaltlosen Regimewechsel die für sie unliebsame Regierung in Skopje, die Russland-Sanktionen ablehnt und das russische Pipeline-Projekt Turkish Stream unterstützt hat, loswerden. Durch diese Pipeline, die das geplatzte Projekt South Stream ersetzen soll, soll Erdgas aus Russland abseits des Transit-Landes Ukraine nach Südeuropa strömen.

Politikwissenschaftler Georgi Engergart von der Russischen Wissenschaftsakademie sagt laut Sputnik News: »Die USA und die EU haben enorme Anstrengungen unternommen, um South Stream zu blockieren. Nun versuchen sie auch die Transitoption Mazedonien auszuschalten, um – wie sie selbst glauben – Russland wirtschaftlich vom Balkan zu verdrängen.« Der Experte ist sicher: Ein Machtantritt von Oppositionschef Zaev würde die Pläne für den Transit russischen Gases durch Mazedonien durchkreuzen. Und er würde den Beitritt Mazedoniens in EU und NATO beschleunigen.

Der strategische Hintergrund

Der Balkan verbindet Nord und Süd, Ost und West, und was noch wichtiger ist: er ist Europas Tor nach Asien. Der Weg zur Seidenstraße führt durch den Balkan, die sich von dort in verschiedenen Abzweigungen bis nach China erstreckt. China hat schon jetzt unter anderem Verträge mit Albanien, Mazedonien und Griechenland, um die alte Seidenstraße durch eine Eisenbahnverbindung wiederherzustellen. Zurzeit wird die Strecke von der Adria bis zum Schwarzen Meer gebaut.

Die Länder Mazedonien, Kosovo und Albanien stehen derzeit besonders im Fokus. Mazedonien, das Zwei-Millionen-Einwohner-Land im Norden Griechenlands, ist eingerahmt von Albanien im Westen, Bulgarien im Osten und Serbien im Norden. Die längste Ausdehnung von Norden nach Süden beträgt 188 km, von Westen nach Osten 216 km.

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Bernhard Rode hat in seinem richtungsweisenden Buch Das Eurasische Schachbrett darauf hingewiesen, dass seit der Regierung Clinton der Balkan auf der strategischen Agenda der USA ganz oben steht. »Den USA«, schreibt Rode, »geht es dabei um die Kontrolle einer zukünftigen trans-europäischen Ölleitung, die vom Schwarzen Meer zur Adria führen soll. Der Balkan – insbesondere Serbien, das Kosovo, Albanien und Mazedonien – stellt in dieser Planung eine der Drehscheiben dar … Ziel ist daher also die Sicherung einer US-Einflusssphäre von Südosteuropa bis nach Zentralasien; es geht um den strategischen Transport-, Kommunikations- und Ölpipeline-Korridor Bulgarien-Mazedonien-Albanien vom Schwarzen Meer zur Adria.«

Das frühere Jugoslawien ist also der Brückenkopf zur eurasischen Landmasse. Seine Transportinfrastruktur ist von größter Bedeutung, denn sie »kontrolliert nicht nur den Balkan, sondern alle Korridore (Bahn, Straße, Fluss und Luft) von Europa zum Nahen und Mittleren Osten«.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Clintons Energieminister Bill Richardson wenige Monate vor dem NATO-Angriff auf Jugoslawien im März 1999 sagte: »Es geht um Amerikas sichere Energieversorgung … Wir haben in der kaspischen Region erheblich politisch investiert, und es ist sehr wichtig für uns, dass die Karte der Pipelines und die Politik gleichermaßen stimmen. «

Bruce Jackson, Mitglied des »Project for the New American Century« und wichtiger Berater der Regierung George W. Bush, drückte es ein paar Jahre später noch deutlicher aus: Ziel der USA müsse sein, das Schwarze Meer in eine transatlantische Region umzuwandeln.

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Womit wir wieder bei den Flüchtlingen gelandet sind: Die Flüchtlingsroute von der Türkei über Griechenland geht durch Mazedonien weiter nach Serbien (und dann nach Ungarn). Durch einen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in Mazedonien kann das Land wieder zum Hotspot werden. Natürlich können zur Destabilisierung des Landes auch die unzufriedenen Albaner aktiviert werden. Sie machen ein Drittel der zwei Millionen Einwohner aus, sind zum größten Teil verarmt und in keiner Weise gleichberechtigt.

Es gibt also verschiedene Lunten, mit denen je nach Bedarf gezündelt werden kann.

Kopp Verlag


Quelle: Kopp-online vom 23.04.2016

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