Trotz Ablehnung von Eilantrag – Gerichtsurteil legt nahe: Es gibt in Bayern praktisch keine Ausgangsbeschränkung mehr

 
Coronavirus - München
Peter Kneffel/dpaBei schönstem Frühlingswetter war die Isar-Kiesbank nahe des Müllerschen Volksbads gut besucht
Samstag, 02.05.2020, 08:03

Kurz nachdem das saarländische Verfassungsgericht eine sofortige Lockerung der Ausgangsbeschränkungen durchgesetzt hat, sorgt ein Urteil des bayerischen Verwaltungsgerichtshof in Ansbach für Aufregung. Dieser lehnte zwar einen Eilantrag eines Regensburgers ab, doch in den Nebensätzen der Begründung steckt Zündstoff.

Eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom Montag zur Ablehnung einer Klage gegen die Ausgangsbeschränkungen verhallte bisher weitgehend ungehört, weil das Urteil auf den ersten Blick nichts Spektakuläres bietet. Ein Mann hatte geklagt, die Gründe für die strengen Ausgangsbeschränkungen in Bayern seien vom Gesetz nicht hinreichend gedeckt und nicht mehr verhältnismäßig.

Zwar lehnte das Gericht den Eilantrag ab, die Begründung hat es aber in sich. Da es so viele „triftige Gründe“ gebe, die Wohnung zu verlassen, entstehe dem Kläger praktisch kein Schaden. Schaut man genauer hin, bedeutet die Aussage des Verwaltungsgerichts: Wenn fast alles ein „triftiger Grund“ sein kann, ist alles erlaubt, was nicht explizit verboten ist. Somit gibt es in Bayern praktisch keine Ausgangsbeschränkung mehr.

Der Knackpunkt: Was genau ist ein „triftiger Grund“? Ein Blick in die „Zweite Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung“ bringt Aufklärung:

  • Die Ausübung beruflicher Tätigkeiten
  • Die Inanspruchnahme medizinischer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen, der Besuch bei Angehörigen therapeutischer Berufe, soweit dies medizinisch dringend erforderlich ist, sowie Blutspenden

  • Versorgungsgänge für die Gegenstände des täglichen Bedarfs und Einkauf in den nach § 2 zulässigerweise geöffneten Ladengeschäften; nicht zur Deckung des täglichen Bedarfs gehört die Inanspruchnahme sonstiger Dienstleistungen wie etwa der Besuch von Friseurbetrieben
  • Der Besuch bei Lebenspartnern, Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen (außerhalb von Einrichtungen) und die Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts im jeweiligen privaten Bereich
  • Die Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen und Minderjährigen
  • Die Begleitung Sterbender sowie Beerdigungen im engsten Familienkreis
  • Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine, mit einer weiteren nicht im selben Hausstand lebenden Person oder mit Angehörigen des eigenen Hausstands und ohne jede sonstige Gruppenbildung
  • Handlungen zur Versorgung von Tieren
 

Die Liste der „triftigen Gründe“ lässt sich fortsetzen

Abschließend sei die Liste nicht, so der Richter, zitiert „Regensburg digital“ aus dem Urteil. Ein Satz daraus, der es in sich hat: „Aus der Gesamtschau der (…) Regelbeispiele ergibt sich bei verfassungskonformer Auslegung (…), dass im Grundsatz jeder sachliche und einer konkreten, nicht von vorneherein unzulässigen Bedürfnisbefriedigung dienende Anlass als ‚triftiger Grund‘ (…) geeignet ist, das Verlassen der eigenen Wohnung zu rechtfertigen.“

Das heißt, dass die Auflistung der „triftigen Gründe“ nicht vollständig ist und sich im Sinne von „niedrigschwelligen Einlässen“ wie zum Beispiel dem Einkaufsbummel erweitern lässt, solange etwas nicht ausdrücklich untersagt ist. Die ursprüngliche Verordnung vom 31. März wurde am 16. April schon mit weiteren Beispielen aufgeweicht.

Bayrischer Verwaltungs-Gerichtshof, Verwaltungsgericht, München, Bayern, Deutschland, Europa Copyright: imageBROKER/Man
imago images/imagebrokerBayrischer Verwaltungsgerichtshof.
 

Aus dem Urteil: „Wenn sich der Normgeber dafür entscheidet, dass bereits jedes subjektive Einkaufsbedürfnis das Verlassen der Wohnung rechtfertigt, kommt dieser Einschätzung im Lichte der eingeschränkten Freiheitsgrundrechte maßgebende Bedeutung zu, auch wenn das Regelungsmodell eines präventiven Ausgangsverbots mit Erlaubnisvorbehalt angelegte Regelungs/Ausnahmeverhältnis damit (wohl) nicht mehr gewahrt wird.“

Im Klartext: „Einkaufen“ gilt bereits als „triftiger“ Grund – in Zeiten, in denen Baumärkte und Geschäfte wieder geöffnet haben, geht die Möglichkeit, shoppen zu gehen, über die Grundbedürfnisse hinaus und somit kann nahezu alles als Anlass dienen. In der ersten Version waren noch „unaufschiebbare gesundheitliche, private oder berufliche Belange von erheblichem Gewicht“ als „triftige Gründe“ eingestuft, davon kann nun keine Rede mehr sein.

Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist fast alles erlaubt

Übersetzt bedeutet das: Das Gericht sagt, die Ausgangsbeschränkungen in Bayern sind mehr oder weniger unnütz, weil durch die aufgeführten „triftigen Gründe“ praktisch so viel erlaubt ist, dass damit aus verfassungsrechtlicher Sicht fast alles erlaubt ist. So hatte schon der Verwaltungsgericht Saarbrücken argumentiert: Wenn jemand zum Sport die Wohnung verlassen darf, dann muss man auch erlauben, dass sich die Menschen im Freien mit Sicherheitsabstand auf eine Bank setzen dürfen.

So bezweifelt auch das bayerische Gericht den Sinn der strengen Regeln, auch wenn es die Klage abgewiesen hat – schließlich habe der Kläger keinen faktischen Schaden. Er finde immer einen „triftigen Grund“, seine Wohnung zu verlassen.

Quelle: Focus-online vom 02.05.2020


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