Historiker: Himmlers Dienstkalender in russischem Archiv entdeckt

INTERVIEWS

Von Armin Siebert
 

Lange galt Himmlers Dienstkalender der beiden letzten Kriegsjahre als verschollen – bis man ihn in einem russischen Archiv bei Moskau fand. Zu verdanken ist dieser spektakuläre Fund Matthias Uhl vom Deutschen Historischen Institut. Im Skype-Interview erzählt der Historiker, wie der Reichsführer-SS am größten Massenmord der Geschichte beteiligt war.

– Herr Uhl, wie sind Sie auf den Dienstkalender Heinrich Himmlers gestoßen?

– Wir haben seit 2013 ein Projekt mit dem Zentralarchiv des russischen Verteidigungsministeriums zur Digitalisierung von deutschen Akten, die im Laufe des Zweiten Weltkrieges und kurz danach in die Sowjetunion gekommen sind. Beim ersten Durchschauen der Akten sind wir auf diesen Dienstkalender gestoßen und waren natürlich sofort elektrisiert, weil das ja doch ein ziemlich wichtiges Dokument der Zeitgeschichte ist.

– Und ausgerechnet Sie als Deutscher durften die Akten als Erster untersuchen?

Man kommt ja – gerade als Ausländer – nicht so einfach in das Archiv des Verteidigungsministeriums. Das dauerte also eine Weile und bedurfte viel wohlwollender Fürsprache, so auch vom damals ganz neuen russischen Verteidigungsminister Schoigu, der sich persönlich dafür einsetzte, dass wir vom Deutschen Historischen Institut in Moskau den Zugriff erhielten.

– Und warum haben die Russen das nicht selbst untersucht?

– Idealerweise braucht man dafür ja sehr gute Deutschkenntnisse und die nötige wissenschaftliche Expertise. Und hier konkret hatten Sie das Problem, dass es sich nicht um ein wirkliches Tagesbuch, sondern eher um einen Kalender handelt, wo vermerkt wurde, wen Heinrich Himmler zu welcher Zeit getroffen hat. Es geht also nicht einmal daraus hervor, was bei diesen Treffen besprochen wurde. Das mussten wir in mühseliger Kleinarbeit rekonstruieren. Dafür hätten die russischen Kollegen nicht nur russische Akten, sondern auch deutsche Bestände benötigt.

– Das haben Sie also jetzt getan – den Kalender abgeglichen mit Dokumenten zu Himmler aus demselben Zeitraum?

– Ja. Wir haben in einer Forschergruppe aus fünf Wissenschaftlern – der Holocaust-Experte Dieter Pohl aus Klagenfurt, Jean-Luc Leleu, Experte für die Waffen-SS aus Frankreich, und noch zwei deutsche Kollegen – sukzessive rekonstruiert, was bei diesen Treffen Thema war. Dafür wurden auch Himmlers Briefe und Schreiben von den jeweiligen Tagen, die erhalten sind, hinzugezogen.

– Sind das persönliche Kalendereinträge von Himmler oder von seinem Sekretär?

– Den Kalender hat Himmlers Adjutant Werner Grothmann geführt. Wir mussten also aus anderen Quellen anhand der nüchternen Termineinträge den „persönlichen Himmler“ rekonstruieren. Es gibt von Himmler auch erhaltene Telefonnotizen und Notizen für Redebeiträge auf Führungstreffen oder für Vorträge bei Hitler. Das haben wir alles in unser Buch integriert, damit man nachvollziehen kann, mit welchen Entscheidungen der Reichsführer-SS täglich zu tun hatte und wie er die Vernichtungspolitik des Deutschen Reiches in Taten umsetzte.

– Geben Sie doch bitte ein paar Beispiele für Treffen und Termine, die Himmler in den letzten Kriegsjahren hatte.

– Ein wichtiger Termin war, als er am 12. Februar 1943 nach Sobibor, ein Vernichtungslager an der Ostgrenze Polens, fährt und sich dort die Vergasung von 200 jüdischen Frauen anschaut. Das verdeutlicht seine zentrale Rolle im Holocaust.

In den letzten Kriegsjahren hatten viele Termine Himmlers auch mit der Bekämpfung der Partisanen in der Sowjetunion zu tun. Mit dem wachsenden Widerstand in den besetzten Gebieten war Himmler damals fast täglich konfrontiert.

– War seine Basis damals entsprechend in Osteuropa, wenn sein Aktionsgebiet vor allem dort war?

– Er hatte in Ostpreußen, etwa zwanzig Kilometer von Hitlers Wolfsschanze entfernt, ein eigenes Hauptquartier. Im Unterschied zu vielen anderen NS-Größen ist Himmler aber viel herumgereist, vor allem im Osten. Beispielsweise vor der Schlacht vor Kursk tauchte er in Charkow auf, um noch einmal seine SS-Verbände zu inspizieren. Er war einer der ruhelosesten Manager des Dritten Reiches, der viel auf persönliche Kontakte setzte und auch viel persönlich kontrollieren wollte.

– Und dort in seinem Hauptquartier in Ostpreußen haben die Russen dann den Dienstkalender entdeckt?

– Das lässt sich noch nicht hundertprozentig rekonstruieren, aber wahrscheinlich wurde der Kalender eher mit anderen NS-Dokumenten in Niederschlesien eingelagert und wurde dort von der Roten Armee im Frühjahr 1945 erbeutet und im Herbst 1945 nach Moskau gebracht.

Seite aus dem Dienstkalender Heinrich Himmlers
© FOTO : CAMO RF
Seite aus dem Dienstkalender Heinrich Himmlers

– In dem Kalender sind auch private Termine, sogar Besuche bei seiner Geliebten eingetragen. War das nicht gefährlich? Wie war Himmlers Stellung im Nazisystem? War er unantastbar?

– Im Prinzip war er unantastbar. Er war ja der zweitmächtigste Mann im Deutschen Reich, der diesen SS-Terrorapparat befehligte. Seine amourösen Abenteuer waren im Dienstkalender gewöhnlich mit den Chiffren „Unterwegs“ oder „Inspektionsreise“ getarnt. Aber aus anderen Aufzeichnungen wird klar deutlich, dass er genau dann immer bei seiner Geliebten Hedwig Potthast weilte.

– Was sind die letzten Einträge des Kalenders?

– Die letzten Einträge sind von Anfang März 1945.

– Da befand Himmler sich ja quasi schon auf der Flucht vor der Roten Armee.

– Er war kurz davor. Mit Beginn der Weichsel-Oder-Offensive der Roten Armee wurde ja Himmler noch zum Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Weichsel ernannt, die den Vormarsch der Roten Armee irgendwie aufhalten sollte. Damit scheiterte Himmler natürlich kläglich, weil man dem massiven Angriff nichts mehr entgegensetzen konnte. Himmler merkte auch schnell, dass er mit dieser militärischen Führungsaufgabe überfordert war und zog sich in das Sanatorium Hohenlychen in Brandenburg zurück. Er gab vor, schwer krank zu sein. Und da endet leider auch der Dienstkalender. Die letzten beiden Kriegsmonate lassen sich also nur aus anderen Quellen rekonstruieren.

– Nun ist schon Einiges erforscht worden zu Himmlers Leben und Wirken. Um welche Komponente ergänzt der Dienstkalender dieses Bild?

Wir sehen hier noch einmal ganz deutlich, wie das Dritte Reich funktionierte, wie wichtig diese ständigen persönlichen Treffen und Beratungen waren, die Kontrolle der Untergebenen. Man sieht ganz deutlich, wie viele Menschen doch an diesen Verbrechen beteiligt waren. Das kann man also nicht nur alles auf Hitler oder Himmler abwälzen. Dahinter steckte ein großer Apparat, der diese Befehle ausführte.

– Ihre Aufarbeitung des Dienstkalenders von Heinrich Himmler ist nun als Buch erschienen. Ist dies ein rein wissenschaftliches Werk?

– Wir haben uns schon bemüht, das Buch so zu gestalten, dass es einen möglichst breiten Leserkreis findet. Das ist eine sehr wichtige Quelle dazu, wie das Dritte Reich funktionierte, so dass das auch möglichst viele Leser erreichen sollte.

– Sind Sie denn in dem Archiv des russischen Verteidigungsministeriums auf noch mehr spannendes Material gestoßen?

– Für uns Wissenschaftler ist das eine Fundgrube. Wir haben hier vor allem viel Material zur zweiten Kriegshälfte und sehen, wie schwer dieses Ringen an der Ostfront war und dass das im Prinzip der Aderlass für die Wehrmacht war. Das macht die Rolle der Sowjetunion bei der Zerschlagung des Nationalsozialismus noch einmal besonders deutlich.

Das Interview mit Matthias Uhl zum Nachhören: 

Matthias Uhl forscht seit 2005 am Deutschen Historischen Institut in Moskau (DHI). Seine Schwerpunkte sind die sowjetische Militär- und Sicherheitspolitik sowie die Geschichte des Kalten Krieges.

Das Buch „Die Organisation des Terrors – Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1943-1945: Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1943-1945“ ist im Verlag Piper erschienen.

* Die in diesem Artikel vorgebrachten Ansichten müssen nicht denen der Sputnik-Redaktion entsprechen.

Quelle: Sputnik vom 02.05.2020


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gerhard
gerhard
3 Jahre zuvor

Und was geschiet wenn dieses Buch Schule macht ?
Will man ein ganzes Volk ausrotten wenn es den Regenten gegenüber aufbegehrt ?
Gaskammern braucht man heute nicht mehr…das wird mit Corona & Co. erledigt.

Kleiner Grauer
Kleiner Grauer
3 Jahre zuvor

Verdammt ist das Schriftstück echt oben im Bild! Verdammt ist das Echt! Der Himmler hatte damals schon einen CANON Drucker? IHR vermutlich vertrotteltes Pack an Fälschern. Damals konnten und wurden die Minuten auf der Schreibmaschine mit kleinen Zahlen hochgesetzt. EUER vermutlich ebenso geistig inkontinente Computer kann das nicht. UND nicht vergessen bei den nächsten Fälschungen! Damals wurde „daß“ mit „ß“ geschrieben und nicht mit Doppel „ss“ Damit Ihr noch weiter kraftvoll zubeißen könnt und keine Krampflösende Spritze braucht. ES gab Schreimaschinen wo das „ß“ fehlte. ABER IHR vermutlichen DEPPEN!!! Mit denen wurden keine Reichsdokumente geschrieben!!! Wegtreten setzen, Scheiße Herr Lehrer, sehr gut mein Sohn setzten-fünf!!!