Neurosen, Missverständnisse und Instrumentalisierungen um den Begriff „Verfassungsfeind“

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München (ADN). Wer überall die Verfassung bedroht sieht, betreibt am Ende unweigerlich jene diffuse Identitätspolitik, die er den anderen vorhält. Das stellt der Staatsrechtler Florian Meinel von der Humboldt-Universität Berlin am Freitag in der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) fest. So sei die Politik der Verfassungsfeindschaft die schmutzige Seite des bundesrepublikanischen Verfassungspatriotismus. Sie transportiere die Unsicherheiten der heterogener werdenden sogenannten Mehrheitsgesellschaft mit ihrer „Verfassungsidentität“ tendenziell neurotisch nach außen. 

„Mit dem Kampfbegriff des Verfassungsfeinds, den keine andere Sprache kennt, muss es also eine besondere Bewandtnis haben. Es gibt innere und äußere Feinde, Staatsfeinde und Feinde des Fortschritts – aber Verfassungsfeinde ?“, fragt Meinel nach dem Hintergrund des Verbalunikats und beleuchtet die Entstehungsgeschichte der Wortgruppe. Sie habe ihre Bedeutung in der Mitte des 20. Jahrhunderts erlangt. Verfassungsfeinde hießen in den 1860er Jahren noch jene, die gegen die Reichseinigung und Bismarcks Verfassungspläne waren, während der Reichskanzler seine innenpolitischen Feinde als „vaterlandslose Gesellen“ bekämpfte. Auch nach dem Ersten Weltkrieg seien Verfassungsfeinde jene Gruppen gewesen, die das Weimarer Verfassungswerk ablehnten. Erst Carl Schmitt habe dem Begriff Ende der Weimarer Republik seine heutige Bedeutung gegeben.  Jede Verfassung habe danach grundlegende Prinzipien, einen werthaften normativen Verfassungskern, der nicht zur Disposition demokratischer Politik steht und deswegen nicht verhandelbar ist.

So eng der verfassungsrechtliche Begriff des Verfassungsfeindes, so weit und unscharf ist der politische, meint Meinel. Er unterscheide sich von der bloßen Gegnerschaft durch unbestimmte Gesinnungskriterien. „Bis zur Unkenntlichkeit verwischen dann in der politischen Sprache die Unterscheidungen zwischen Verfassungswidrigkeit und Verfassungsfeindschaft, von Unvereinbarkeit mit der Verfassung und Angriffen auf ihre Substanz,“ stellt des Wissenschaftler fest. Das geschehe mit Erfolg, denn die Politik der Verfassungsfeindschaft gehöre zum diskursiven Arsenal der deutschen Öffentlichkeit, mit der sogenannte Rechtsparteien klein  gehalten werden. Das Grundgesetz rechne von Anfang an mit Verfassungsfeinden, kenne aber den Begriff nicht und habe die rechtlichen Instrumente des Kampfes gegen Feinde der Verfassung strikt formalisiert. ++ (vf/mgn/27.05.16 – 141)

Quelle: Nachrichtenagentur ADN (SMAD-Lizenz-Nr. 101 v. 10.10.46) vom 27.05.2016

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