Überfordert und unterbesetzt – Gefährlicher Trend: Immer mehr Polizisten melden sich krank

 

Donnerstag, 03.09.2015, 22:38 · von FOCUS-Online-Autorin Amelie Breienhuber

Rainer Wendt, Dienstunfähigkeit, Krankenstand, Krankheit, Polizei

dpa/Carsten Rehder Angriff auf Polizeibeamten.

Gefährliche Einsätze, Stellenstreichungen, Schichtdienst bis ins hohe Alter: Die Belastung für deutsche Polizisten ist hoch. Die Krankenzahlen bei der Polizei wachsen daher stetig. Besonders mit psychischen Krankheiten haben Polizisten zu kämpfen.

Der Kampf gegen kriminelle Familienclans, Auseinandersetzungen mit Rechtsextremen, die Aufnahme von Flüchtlingen: Der Polizeiberuf ist extrem anspruchsvoll und anstrengend.„Das Belastungslimit für unsere Beamten ist überschritten“, schlägt Rainer Scharf von der Bundespolizei in Rosenheim im Interview mit FOCUS Online Alarm.

Und diese enormen Belastungen haben Folgen: Immer mehr Polizisten melden sich krank. Für Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DpolG) ein gefährlicher Trend: „Die Krankenstände sind zu hoch.“

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Extreme Fehlzeiten bei Polizeibeamten

Ein aktuelles Beispiel: In Brandenburg fehlten im vergangenen Jahr jeden Tag etwa 820 der insgesamt 8200 Beamten. Im Schnitt war jeder Beamte rund 37,5 Tage im Jahr krank – eineinhalb Tage mehr als im Vorjahr. Auch aus Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern und Berlin meldeten die Polizeigewerkschaften in den vergangenen Monaten stetig wachsende Krankheitszahlen.

Andere Statistiken machen deutlich, wie hoch diese Zahlen  sind. Bundesbeamte waren dem Gesundheitsförderungsbericht des Bundesinnenministeriums zufolge im Jahr 2013 im Schnitt 19,7 Tage krank. Bei Angestellten bewegen sich die durchschnittlichen Fehlzeiten nur zwischen zwölf (DAK) und 14 Tagen (TK).

Rund 1000 der Berliner Polizisten sind nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) berufsunfähig. Im Vergleich zu anderen Beamten fallen Polizisten deutlich häufiger für den Dienst aus.

Rigorose Sparpolitik verschärft die Situation

In den vergangen Jahren hat sich ein Teufelskreis entwickelt: Viele Polizeidienststellen haben mit Stellenstreichungen und Personalmangel zu kämpfen. „Bei der Polizei ist jahrzehntelang rigoros gespart worden“, sagt Rainer Wendt im Gespräch mit FOCUS Online. Diese „verfehlte Personalplanung“ führt dazu, dass die Belastung für die gesunden Beamten wiederum höher wird.

Die Psychologin Stefanie Rösch berät als Leiterin des Trauma-Informations-Zentrums in Konstanz Polizisten, die unter den anstrengenden Arbeitsumständen zusammenbrechen: „Wenn es nicht genug Leute gibt, die den Job machen wollen, haben die Beamten allein durch die längeren Arbeitszeiten eine Mehrbelastung.“ Unter den Polizisten gebe es viele Idealisten, die sich selbst überfordern und am Ende erschöpft sind.

Warum ist der Polizeiberuf so belastend?

  • Viele Polizisten müssen Wechselschichten übernehmen. Das wirkt sich auf den Biorhythmus aus, besonders im Alter ist das zusätzlich anstrengend für die Beamten. „Aufgrund der knappen Personalsituation müssen auch Beamte über 40 häufig noch Nacht- und Tagschichten im Wechsel übernehmen“, so Gewerkschaft-Chef Wendt. Früher seien die Polizisten in diesem Alter aus dem Schichtdienst ausgelöst worden.
  • Die Gefahr körperlich verletzt zu werden ist sehr hoch. „Die Einsätze werden immer gefährlicher, die Gewalt gegen Polizisten nimmt zu“, so Wendt.
  • Viele Aufgabengebiete sind darüber hinaus psychisch sehr belastend. „Für Polizisten gibt es ein höheres Risiko, Symptomatiken einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zu entwickeln als für die Allgemeinbevölkerung“, bestätigt die Psychologin Rösch.

PTBS, Depression und Burn-Out

Der Umgang mit Toten oder Verletzten bei Verkehrsunfällen, Mordermittlungen oder Angriffe auf die eigene Person und Kollegen: Diese Situationen sind schwer zu verarbeiten und belasten die Beamten nachhaltig.

Die Folgen: „Posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und Burn-Out, aber auch die Entwicklung von Süchten sind psychische Krankheiten, für die Polizisten besonders gefährdet sind“, so Rösch. Die Betroffenen haben beispielsweise mit Symptomen wie Schlafstörungen, Antriebsmangel und Konzentrationsschwierigkeiten zu kämpfen.

„Letztendlich ist immer ein Gefühl von Ohnmacht zentral“, erklärt die Psychologin. In traumatischen Situationen haben die Beamten oft das Gefühl, nicht helfen zu können oder ihren Job nicht gut machen zu können.

 

Strukturen bei der Polizei können das Problem verstärken

Dieses Gefühl kann sich laut Rösch auch durch die Strukturen innerhalb der Polizei-Organisation verstärken. „Die Machtlosigkeit gegenüber dem Arbeitgeber kann krank machen“, so Rösch. „Bei der Polizei sind die Hierarchien natürlich besonders stark ausgeprägt. Vorgesetzte gehen nicht immer auf Wünsche der Beamten ein.“

Für Rainer Wendt ist so schnell keine Besserung bei den Krankenständen in Sicht. „Viele Beamte halten gar nicht mehr bis zur Pensionierung durch und müssen früher in Ruhestand gehen“, so der Gewerkschafter. Nur durch eine Aufstockung des Personals und kürzere Dienstzeiten könnte man dem Trend entgegenwirken.

Quelle: Focus-online vom 03.09.2015

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