Medizinische Versorgung – Hermann Gröhe will für Flüchtlinge auf Gesundheitsfonds zugreifen

Für die medizinische Versorgung der Flüchtlinge will Gesundheitsminister Hermann Gröhe jetzt an die Reserven der gesetzlichen Krankenversicherung. Es geht um 1,5 Milliarden Euro.

VON RAINER WORATSCHKA
Gesundheitscheck. Gesundheitsminister Gröhe rechtfertigt seinen Griff in die Reserven mit den Kosten für Flüchtlinge.
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Gesundheitscheck. Gesundheitsminister Gröhe rechtfertigt seinen Griff in die Reserven mit den Kosten für Flüchtlinge.FOTO: DPA

Dass die Rücklagen im Gesundheitsfonds das Wahljahr unbeschadet überstehen würden, hätten selbst Optimisten nicht zu wetten gewagt. Nun hat das Gesundheitsministerium den geplanten Zugriff bestätigt. 1,5 Milliarden Euro sollen dem Reservetopf der Beitragszahler entnommen und den gesetzlichen Kassen zusätzlich überwiesen werden – für die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge und den Ausbau der Telemedizin.

Die Alternative wären höhere Zusatzbeiträge für die Versicherten, was die Regierenden zu diesem sensiblen Zeitpunkt tunlichst vermieden haben wollen. Und zur Rechtfertigung wird auch ins Feld geführt, dass für die hohen Fondsreserven im Vorjahr erstmals Negativzinsen fällig waren, immerhin 1,8 Millionen Euro.

Gesetzesänderung bis Mitte Oktober

Bis Mitte Oktober muss Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) die nötige Gesetzesänderung über die Bühne haben, weil der Schätzerkreis dann die Beiträge für 2017 festklopft. Um das hinzubekommen, soll der Änderungsantrag einem der vielen bereits laufenden Gesetzgebungsverfahren angehängt werden.

Mit der SPD gibt es dabei offenbar wenig Probleme. Der Zugriff auf Fondsrücklagen für die Flüchtlinge sei richtig, sagt deren Gesundheitsexperte und Fraktionsvize Karl Lauterbach. Allerdings findet er, dass man für die Flüchtlingsversorgung zunächst deutlich geringere Summen benötigt als vom Koalitionspartner veranschlagt. Die Zahlen seien „maßlos übertrieben“, sagt auch die SPD-Linke Hilde Mattheis.

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Während sich Gröhes Ressort wegen vieler Ungewissheiten noch nicht zu einer detaillierten Kostenschätzung imstande sieht, kursieren in der Union bereits genauere Zahlen. Demnach ist für die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge im kommenden Jahr mit Zusatzausgaben von 550 Millionen bis eine Milliarde Euro zu rechnen. Das wären pro Flüchtling zusätzlich bis zu 1000 Euro im Jahr. Es unterstellt, dass dann die Monatsausgaben für jeden mehr als 200 Euro im Monat betragen.

SPD ist sich sicher: Auf lange Sicht entlasten Flüchtlinge die Kassen

Lauterbach hält diese Schätzung für überhöht. Schließlich falle ein großer Teil der Flüchtlinge erst Mitte 2017 aus dem Asylbewerberleistungsgesetz und der damit verbundenen Kompletterstattung aller Gesundheitskosten durch den Staat. Langfristig, so der SPD-Experte, würden die Flüchtlinge die gesetzlichen Kassen auch eher entlasten als belasten. Schließlich handle es sich bei den meisten, da jung und gesund, um „gute Risiken“.

Wer nach 15 Monaten noch keinen Job hat, erhält – sofern er als Asylbewerber anerkannt ist – nicht nur Anspruch auf Arbeitslosengeld II, sondern auch auf volle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Bund zahlt den Kassen dann pro Person wie für jeden anderen Hartz-IV-Empfänger rund 90 Euro im Monat. Das Problem: Kostendeckend ist diese Zuzahlung nicht. Für die Versicherer sind Langzeitarbeitslose schon jetzt ein Draufzahlgeschäft, das der Rest der Beitragszahler mitzuschultern hat. Expertenschätzungen zufolge kostet ihre Gesundheitsversorgung mit rund 180 Euro im Monat das Doppelte der erstatteten Summe.

Mit der steigenden Zahl der Hartz-IV-Bezieher durch die Flüchtlinge erhöht sich diese rechnerische Unterdeckung. Sie über höhere Zusatzbeiträge abfangen zu wollen, die bekanntlich allein von den Arbeitnehmern aufzubringen sind, wäre aus Lauterbachs Sicht falsch – aus Gerechtigkeitsgründen und auch mit Blick auf die Akzeptanz der Flüchtlinge in der Bevölkerung.

Quelle: Der Tagesspiegel vom 17.06.2016

 

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Ulrike
Ulrike
7 Jahre zuvor

Das darf doch wohl nicht wahr sein. Diese Rücklagen sind für die Versicherten gedacht und nicht für Asylanten. H. Gröhe sollte schnellstens seinen Hut nehmen. Solche Politiker gehören sofort entfernt.

Wann erhebt sich das deutsche Volk endlich gegen diese Ausbeutung durch Politiker?