Pegida und die Presse“ – Sächsische Zeitung“ will Nationalität von Verdächtigen nennen

 

Sollen Medien die Herkunft von Tatverdächtigen nennen? Die in Dresden erscheinende „Sächsische Zeitung“ will sich nicht mehr an den Pressekodex halten.

VON MATTHIAS MEISNER

Die "Sächsische Zeitung" ist Vorurteile von Pegida gewohnt

So hat das noch kein Blatt in Deutschland entschieden: Die in Dresden erscheinende „Sächsische Zeitung“ hält sich künftig nicht mehr an die Richtlinie 12.1 des Presserats – und will grundsätzlich die Nationalität von Tatverdächtigen und Straftätern nennen und nicht mehr nur in Ausnahmefällen. Auch wenn es sich um Deutsche handelt. Hintergrund ist die in Sachsen wegen Pegida und der Flüchtlingskrise besonders aufgeladene Debatte um ein sinkendes Vertrauen in die Medien.

Die Zeitung begründete das am Wochenende ihren Lesern in einem Beitrag unter der Überschrift „Fakten statt Gerüchte„. Kulturredakteur Oliver Reinhard schrieb, das „Thema Ausländerkriminalität“ sei eine „besonders sensible Leser-Vertrauensfrage“. Er argumentiert: „Es ist ja kein Geheimnis, dass etliche Deutsche glauben, die Medien würden in ihrer Berichterstattung die Herkunft ausländischer Straftäter aus Rücksicht auf diese verschweigen.“ Jeder vierte Abonnent denke so, ermittelte die Zeitung in einer Leser-Umfrage. „Es geht uns um die Wahrheit. Wir wollen ihr gemeinsam so nahe wie möglich kommen.“

Der Presserat hat in seinem Pressekodex Qualitätsstandards für journalistisches Arbeiten festgelegt. Fast alle Medien halten sich daran. Unter Punkt 12.1 wird empfohlen: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“ Das gilt etwa für eine Straftat aus religiösen Motiven, nicht aber zum Beispiel für Diebstahl aus Habgier oder Armut.

Überschrieben ist die Presserat-Richtlinie mit „Diskriminierungen“. Es heißt: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“

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„Das ist kein Einknicken vor der Straße“, sagt der Chefredakteur

Der Chefredakteur der „Sächsischen Zeitung“, Uwe Vetterick, sagte dem Tagesspiegel: „Wir stehen zu 100 Prozent und mit ganzem Herzen hinter dem Ziel der Pressekodex-Richtlinie. Allerdings frage sich die Redaktion, ob der Weg in unserer gegenwärtigen Situation zum Ziel führt – oder womöglich das Gegenteil bewirke. „Gegenwärtig wird Raum für Gerüchte geschaffen, die denjenigen schaden, die wir eigentlich schützen wollen. Wir helfen Flüchtlingen am Ende besser, wenn wir die Nationalität von Straftätern, soweit sie uns bekannt ist, nennen. Das ist kein Einknicken vor der Straße und auch kein Angriffe auf den Presserat.“

Uwe Vetterick, Chefredakteur der "Sächsischen Zeitung"

Uwe Vetterick, Chefredakteur der „Sächsischen Zeitung“FOTO: RONALD BONSS/SÄCHSISCHE ZEITUNG

Auch Kulturredakteur Oliver Reinhard versichert, es liege der Zeitung „sehr am Herzen, die überwiegende Mehrheit der nicht kriminellen Flüchtlinge in Dresden und den anderen Gemeinden unseres Verbreitungsgebiets zu schützen und sie vor Diskriminierung zu bewahren“. In Anspielung auf die Anti-Asyl-Proteste im Freistaat fragt das Blatt: „Trägt die Richtlinie des Pressekodex in der gegenwärtigen Situation in Dresden und Sachsen auch wirklich zum Schutz von Minderheiten bei?“ Die Mehrheit in der Redaktion glaube das nicht, weshalb nun die Herkunft von Straftätern und Verdächtigen „in jedem Fall“ angegeben werde: „Egal, ob es sich dabei um Deutsche handelt, was die Regel ist, oder um Ausländer.“

Das Institut für Kommunikationswissenschaft der Technischen Universität Dresden hatte im Auftrag der „Sächsischen Zeitung“ 300 Abonnenten zum Thema befragt. Mit einigen überraschenden Ergebnissen: Demnach glauben 46 Prozent der Leser, dass der Grund dafür, dass die Herkunft von Straftätern nur in Ausnahmefällen genannt werden darf, eine „Anordnung von oben in der Flüchtlingskrise“ sei. Vom Pressekodex hatten immerhin 27 Prozent der Leser gehört. 16 Prozent machten „die politische Meinung der meisten Journalisten“ für die bisherige Praxis verantwortlich, die Nationalität in der Regel nicht zu nennen. 80 Prozent der Leser glauben nicht, dass die Nennung der Nationalität eines Straftäters diskriminierend ist – und 79 Prozent verlangten, die Herkunft künftig immer anzugeben.

Journalistenverband sieht Rolle des Presserats in Gefahr

Ihre Entscheidung, sich an die Richtlinie 12.1 nicht mehr zu halten, hat die „Sächsische Zeitung“ dem Presserat zuvor angekündigt. Der ist wenig begeistert, wie Sprecherin Edda Eick auf Tagesspiegel-Anfrage sagte. Sie wirbt dafür, dass Zeitungen und andere Medien in jedem Einzelfall genau prüfen, welche Informationen genannt werden und welche nicht.

Nicht einverstanden mit der neuen Praxis der „Sächsischen Zeitung“ ist auch der Deutsche Journalistenverband (DJV). „Die Anwendung des Pressekodex kann keine einseitige Rosinenpickerei sein“, erklärt der Bundesvorsitzende Frank Überall dem Tagesspiegel. „Wenn sich eine Mehrheit demokratisch auf Regeln einigt, muss man das akzeptieren. Es bleibt der ‚Sächsischen Zeitung‘ doch unbenommen, sich im Presserat für eine Veränderung oder gar Streichung der Ziffer 12.1 einzusetzen.“ So lange alle Ziffern des Pressekodex aber für alle Beteiligten verbindlich seien, dürften sie auch nicht einzeln aufgehebelt werden – sonst gefährde das die Rolle des Presserats als System der freiwilligen Selbstkontrolle. Mittelfristig würden durch Entscheidungen wie die der „Sächsischen Zeitung“ diejenigen Kräfte in Deutschland und Europa gestärkt, die faktisch eine umfassende staatliche Kontrolle der Presse beziehungsweise Medien durchsetzen wollen. „Daran habe ich jedenfalls kein Interesse.“

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Einwände formuliert auch Karolin Schwarz, Initiatorin des Portals „Hoaxmap“, das von Leipzig aus Gerüchten über Geflüchtete nachgeht. Schwarz schrieb in ihrem Blog, die „Sächsische Zeitung“ vernachlässige „eine entscheidende Größe: die Polizei“. Denn die übernehme die Vorauswahl der Nachrichten, die an die Öffentlichkeit gegeben werden. Dazu komme: Auch die Leser selbst sowie einschlägig agierende User, Blogs und Facebook-Seiten würden ihrerseits selektieren, welche Artikel sie teilen. Letztlich werde so „nur das Narrativ des kriminellen Ausländers“ verstärkt, „Futter für die Echokammer.“

Vetterick will diese Kritik nicht gelten lassen: „Die Funktion, über die Herausgabe von Informationen zu wachen, haben wir doch schon längst verloren.“ Einfluss nehmen kann er nur auf das eigene Blatt, nicht aber auf die Hetze von Pegida & Co. Die Asylgegner würden sich doch längst direkt bei den Verlautbarungen der Polizei bedienen, erläutert der Chefredakteur. „Und manches posten Polizisten doch sogar selbst.“

Quelle: Der Tagesspiegel vom 04.07.2016

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