Eklat in Cleveland: Ted Cruz lässt Trump-Parteitag implodieren

Aus Cleveland berichten Veit Medick und Roland Nelles

US-Wahl: Diese Trump-Rivalen lauern auf seine Niederlage
AP

Was für ein Eklat im US-Wahlkampf: Republikaner-Größe Ted Cruz spricht beim Parteitag zur besten Sendezeit und weigert sich, den Kandidaten Donald Trump zu unterstützen. Er setzt auf Trumps Niederlage – und seine eigene Kandidatur in vier Jahren.

Ted Cruz redet über alles, was Republikaner gerne hören. Freiheit, Werte und das Recht auf Waffenbesitz. Es ist die Rede eines Mannes, der wirken will, als hätte er Amerikas Konservatismus erfunden. Nur über einen Mann spricht er praktisch nicht: den Präsidentschaftskandidaten.

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Cruz ist kurz vor dem Ende seines Auftritts, als viele Delegierte die Geduld mit dem texanischen Senator verlieren. Unruhe im Saal. „Unterstütz Trump“, brüllen sie. „Unterstütz Trump!“

Doch Ted Cruz bleibt stur bei seinem Manuskript. „Wählt im November nach euren Gewissen!“, ruft er. Welch ein Satz! Er soll heißen: Wählt, wen ihr wollt. Ich gebe keine Empfehlung ab. Schon gar nicht für Donald Trump, mit dem ich im Vorwahlkampf so sehr aneinandergeraten bin. Im Saal breitet sich Entsetzen aus. Weite Teile der versammelten Delegierten buhen Cruz aus, manche werfen ihm Schimpfwörter entgegen, Cruz verlässt kalt lächelnd die Bühne.

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Dieser Parteitag der US-Republikaner ist reich an Fehlern und Skandalen, aber der Auftritt von Cruz hat das größte Potenzial, gravierende Folgen für die Zukunft der Partei zu haben. Cruz zelebriert auf offener Bühne die Spaltung der Republikaner, und ganz Amerika wird zur besten Sendezeit Zeuge. Auf dramatische Weise wird deutlich, dass die altehrwürdige Partei mit einem Spitzenkandidaten in den Wahlkampf zieht, der von wichtigen Teilen der Konservativen abgelehnt, ja, gehasst wird. Der Parteitag, der Donald Trump eigentlich Rückenwind geben sollte für den Hauptwahlkampf, droht für ihn mehr und mehr zu einem politischen Desaster zu werden.

Niemand in Cleveland hatte erwartet, dass es zu einem solchen Eklat kommen würde. Eigentlich schienen Cruz und Trump auf dem Weg, ein ansatzweise vernünftiges Verhältnis zu finden. Die Tatsache, dass der Milliardär dem Senator aus Texas einen Primetime-Platz sicherte und Cruz das akzeptierte, galt vielen in der Partei als Friedensschluss.

Unglaubliche Szenen im Saal

In den Stunden vor dem Auftritt war durchgesickert, dass Cruz Trump möglicherweise nicht ausdrücklich unterstützen, wohl aber doch zum gemeinsamen Kampf gegen Hillary Clinton aufrufen werde. Damit hätte der Kandidat vielleicht leben können.

Stattdessen entwickelten sich unglaubliche Szenen. Trump selbst saß während der Cruz-Rede in den Katakomben, aber als er merkte, dass sich die Sache gegen ihn entwickelte, kam er von links über eine Treppe in den Saal hinein, kam zu seiner Familie in die Ehrenloge und stahl Cruz damit in den letzten Minuten des Auftritts die Aufmerksamkeit. Mehrere Delegationen wandten sich vom Senator weg – und dem Milliardär zu. Der verfolgte Cruz Sätze mit versteinerter Miene.

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Fast symbolisch streikte dann auch noch die riesige Videoleinwand im Saal, Cruz stand vor einer Wand, auf der es nur noch wild blitzte und ruckelte. Seine Frau Heidi musste nach der Rede von Sicherheitsleuten vor aufgebrachten Trump-Fans beschützt werden. So etwas hat das politische Amerika selten erlebt. „Cruz sticht Trump im Live-TV in den Rücken“, kommentiert das Magazin „Foreign Policy“ entsetzt.

Was ist da passiert? Wie kann das sein? Natürlich nimmt Cruz mit diesem gezielten Eklat auch Rache. Der Kampf zwischen Cruz und Trump im Vorwahlkampf war gnadenlos, er gipfelte darin, dass Trump Cruz‘ Vater mit dem Attentat auf John F. Kennedy in Verbindung brachte. Das hat der Texaner Trump wohl nie verziehen. Cruz‘ Vater ist während der Rede im Saal.

Etliche Republikaner lauern auf Trumps Niederlage

Vor allem aber geht es Cruz wohl darum, sich für den Fall einer möglichen Pleite Trumps bei der Präsidentenwahl in Stellung zu bringen. Etliche Parteigranden erwarten, dass Trump am 8. November gegen Hillary Clinton eine krachende Niederlage erleben wird. Die Trump-Bewegung wäre dann am Ende, die Partei müsste sich völlig neu aufbauen, Cruz stünde für die Zeit nach Trump bereit.

Es ist eine Hochrisikostrategie: Genauso könnte die Partei ihn am Ende als „Königsmörder“ für die Niederlage verantwortlich machen, der allein aus Eigennutz der Partei und ihrem Kandidaten in den Rücken fiel und so Hillary Clinton zur Präsidentin machte. Ausgerechnet Clinton, die sie in Cleveland alle hassen. Einige Parteifreunde reagierten umgehend entsetzt auf das Manöver von Cruz. „Eine schreckliche, selbstsüchtige Rede“, schimpfte New Jerseys Gouverneur Chris Christie, ein Trump-Vertrauter, kurz nach dem Auftritt.

Es gibt etliche Republikaner, die wie Cruz jetzt schon auf Trumps Niederlage spekulieren und sich für das Jahr 2020 warmlaufen (hier finden Sie mehr Informationen über alle Kandidaten). Aber womöglich verhalten sich andere geschickter als Cruz. Der Gouverneur von Ohio, John Kasich, zum Beispiel. Auch er spekuliert wohl auf Trumps Scheitern und hofft auf einen neuen Anlauf für seine eigene Kandidatur in vier Jahren. Kasich, der im Vorwahlkampf als mitfühlender Konservativer ein überraschend starker Gegner Trumps war, boykottiert den Parteitag in Cleveland, obwohl er in seinem Heimatstaat stattfindet.

Seine Leute streuen seit Tagen, dass Trump ihm mehrfach den Job des Vizepräsidentschaftskandidaten anbot – er aber absagte. Kasich ist zwar in Cleveland, macht aber seine eigenen Termine. Er tritt vor Latino-Wählern und vor Wirtschaftsforen auf und umreißt eine Politik, die mit der von Trump nur sehr begrenzt etwas zu tun hat: mehr Freihandel, faire Einwanderungsregeln, weniger Isolationismus. „Wir müssen einig sein, nicht streiten“, sagt er. „Wir müssen uns in der Welt engagieren. Ich bin einfach nicht einverstanden mit dem Kurs, den wir gerade fahren.“ Für Trump ist die halböffentliche Fehde mit Kasich ein Rückschlag wie der Fall mit Cruz. Wenn der Milliardär im November eine Chance haben will, dann muss er in dem wichtigen Bundesstaat Ohio siegen. Und dafür braucht er die Hilfe des beliebten Gouverneurs.

Am Ende zeigt sich Donald Trump plötzlich noch einmal auf der Bühne. Sein Vize Mike Pence hat soeben seine Rede beendet. Der Milliardär schreitet langsam auf ihn zu, um sich zu bedanken. Die Delegierten jubeln.

Trump reckt den Daumen in die Höhe und lächelt. Natürlich muss er Optimismus verbreiten. Aber wirklich glücklich sieht dieser Mann nicht aus.

Und Ted Cruz? Der will nach seiner Rede in die VIP-Lounge des Großspenders Sheldon Adelson. Doch ihm wird der Zutritt verweigert.

Quelle: Spiegel-online vom 21.07.2016

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