Flüchtlinge in Europa Bulgarien schottet sich ab

 

10.09.2015 19:47 Uhr – Von Frank Stier

Bulgariens Regierung will einen Ansturm von Flüchtlingen vermeiden. Deshalb baut sie die Grenzzäune aus und schreckt mögliche Asylbewerber mit Kampagnen ab.


Kein Durchkommen. Die Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei sichert die Regierung durch aufwändige Zäune.
Kein Durchkommen. Die Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei sichert die Regierung durch aufwändige Zäune. – Foto: Vassil Donev/dpa

Die Fernsehbilder tausender gestrandeter Flüchtlinge an der mazedonisch-serbischen Grenze haben in Bulgarien beunruhigende Erinnerungen und Ängste geweckt. Im Spätsommer 2013 führte die abrupt gestiegene Zahl meist syrischer Flüchtlinge über die türkische Grenze nach Bulgarien zu katastrophalen Lebensbedingungen in überfüllten Flüchtlingslagern. „Es wäre die apokalyptischste Variante, wir erlebten so einen Zustrom wie Mazedonien“, kommentierte nun Bulgariens Innenministerin Rumiana Batschvarova die Situation in Mazedonien. Allein in der vergangenen Woche sind durch Mazedonien mehr Flüchtlinge gezogen, als seit Jahresbeginn nach Bulgarien gekommen sind. Nach Angaben der bulgarischen Staatlichen Agentur für Flüchtlinge (DAB) haben in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 9217 Menschen Anträge auf Anerkennung als Flüchtling gestellt, die fünf Flüchtlingslager im Land sind momentan nur zu 67 Prozent belegt.

Bulgariens Regierung unter Ministerpräsident Boiko Borissov versucht zu beschwichtigen: „Wir haben mehr Hubschrauber und Beamte an die Grenze abkommandiert. Bisher gingen all unsere Ressourcen an die bulgarisch-türkische Grenze, jetzt haben wir sie an die Grenzen zu Mazedonien und Griechenland verlagert“, sagte Borissov. Er hat in den vergangenen Monaten gegenüber der Europäischen Kommission mehrfach verstärkte finanzielle Unterstützung für sein Land eingefordert, damit es die EU-Außengrenze schützen könne. „Die Flüchtlinge wählen die Route über Griechenland, Mazedonien nach Serbien, weil wir unsere Grenze so gut bewachen“, analysierte Bulgariens Außenminister Daniel Mitov die Situation auf der „Balkanroute“.

Bulgarien hatte auf die Flüchtlinge vor zwei Jahren mit dem Bau eines dreißig Kilometer langen Grenzzauns reagiert und hunderte Polizisten an die Grenze zur Türkei abkommandiert. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) kritisierten seitdem wiederholt, bulgarische Grenzpolizisten behinderten unter Verletzung internationaler Konventionen Flüchtlinge gewaltsam am Betreten bulgarischen Territoriums und drängten sie auf türkisches Gebiet zurück. Während der damals hastig errichtete Grenzzaun an manchen Stellen bereits wackelig ist, plant Bulgarien jetzt den Bau eines weiteren 130 Kilometer langen Zauns zur Türkei.

„Grenzzäune werden das Flüchtlingsproblem nicht lösen“, kritisiert Akram Naiuf von der „Assoziation freies Syrien“ in Bulgarien die geplante Abriegelung. Solange im arabischen Raum kein Frieden einkehre, würden weiter Flüchtlinge nach Europa kommen. Im Vergleich zum Chaos vor zwei Jahren habe sich die Situation der Flüchtlinge in Bulgarien aber entspannt, die Lebensbedingungen in den Lagern hätten sich verbessert und die Dauer des Anerkennungsverfahren habe sich verkürzt. Dagegen mache die Integration kaum Fortschritte – was auch an den Immigranten liege: „Die wenigsten von ihnen wollen in Bulgarien bleiben, die meisten drängen nach Westeuropa. So nehmen nur wenige Flüchtlinge an bulgarischen Sprachkursen teil oder bewerben sich auf ausgeschriebene Arbeitsstellen.“

Die Statistik der bulgarischen Flüchtlingsagentur bestätigt dies: Mehr als die Hälfte aller Anerkennungsprozeduren wurden in diesem Jahr abgebrochen, weil die Mitarbeiter den Kontakt zum Antragsteller verloren haben, etwa weil sich dieser bereits auf den Weg nach Westeuropa gemacht hat.

Quelle: Der Tagesspiegel vom 10.09.2015

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