Slowenischer Premier: „Beim nächsten Flüchtlingsstrom bricht ein Konflikt aus“

06.09.16

Zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise stand Slowenien im Mittelpunkt. Seit dem Türkei-Deal und der Schließung der Balkanroute kommen weniger Menschen. Ausgestanden ist die Krise allerdings nicht.

Von Sonja Gillert

"Achtung, Landesgrenze" steht auf diesem Schild an der slowenischen Grenze nach Kroatien

„Achtung, Landesgrenze“ steht auf diesem Schild an der slowenischen Grenze nach Kroatien

Die Welt: Es ist etwas mehr als ein Jahr vergangen, seit Angela Merkel angesichts der Flüchtlingskrise verkündet hat: „Wir schaffen das!“  Hat Slowenien es geschafft?

Miro Cerar: Wir waren als Durchgangsland mit einem riesigen Zustrom von Migranten konfrontiert – das war für uns kaum zu bewältigen. Aber mit größter Anstrengung haben wir diese Herausforderung irgendwie gemeistert. Ich bin sehr froh, dass ich sagen kann: Wir haben es geschafft, menschlich zu bleiben. Wir haben die Migranten nicht nur registriert, sondern ihnen auch eine Unterkunft, Essen und medizinische Versorgung geboten. Zugleich haben wir für die Migranten und auch unsere Bevölkerung für Sicherheit gesorgt. Ja, wir konnten den Flüchtlingszustrom managen, aber ich weiß nicht, ob wir eine solche Krise wieder meistern können. Als ein kleines Land mit nur zwei Millionen Menschen können wir so eine Anstrengung nicht immer wieder leisten.

Die Welt: Was geschieht, wenn Österreich seine Aufnahme-Obergrenze erfüllt hat, wenn das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei in der angespannten Lage doch platzen sollte und wieder mehr Flüchtlinge über den Balkan kommen?

Cerar: Wenn die Balkanroute wieder offen ist, bricht ein Konflikt in der Region aus – in Mitteleuropa und im Westbalkan. Wenn zu viele illegale Migranten kommen, werden alle Länder ihre Grenzen schließen. Das führt zu Streit. Denn eine Grenzschließung bedeutet zugleich, dass man nicht mehr Menschen aus den Nachbarländern aufnimmt. So entsteht ein Dominoeffekt. Das würde unserer Wirtschaft und dem Tourismus extrem schaden. Wenn wieder mehr Migranten kommen, dann müssen wir die Schengengrenze noch strikter kontrollieren. Denn wenn Österreich seine Grenze schließt, dann hängen alle Migranten in Slowenien fest. Schon jetzt ist deutlich zu erkennen, dass Österreich sich auf eine Grenzschließung vorbereitet.

Die Welt: Wann könnte es so weit sein?

Cerar: Es kann im September, im Oktober so weit sein – wann immer Österreich will. Entscheidend ist: Diese Grenzschließung würde innerhalb des Schengenraumes stattfinden. Aber das ist nicht die Idee der Schengenzone. Wir sollten an den europäischen Außengrenzen alles dafür tun, den Balkan vor Konflikten und Schengen vor dem Zerfall zu bewahren. Wenn wir es nicht schaffen, dieses Migrationsproblem innerhalb der EU und mit den Westbalkan-Staaten gemeinsam zu lösen, dann haben wir keine gemeinsame Zukunft.

Die Welt: Mit dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ist die Zukunft Europas auch ein Stück weit von Ankara abhängig. Eine gefährliche Entscheidung?

Cerar: Der Deal ist mit anderen Maßnahmen einhergegangen. Aber diese Maßnahmen reichten nicht aus. Meine Initiative, Griechenland zu helfen und eine zweite Grenzkontrolllinie zu schaffen – die mazedonisch-griechische Grenze –, hatte einen sofortigen Effekt. Als die Mazedonier ihre Grenze geschlossen haben, waren die Griechen gezwungen, etwas zu unternehmen. Seien wir ehrlich: Die Griechen sichern die Schengengrenze nicht genug. Manchmal transportieren sie die Migranten einfach weiter. Natürlich ist ihre Situation besonders kompliziert, aber sie bekommen finanzielle Unterstützung und Hilfe bei der Polizeiarbeit. Doch die Griechen nutzen all die Hilfe nicht.

Die Welt: Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus? Ein Schengenraum ohne Griechenland?

Cerar: Wenn Griechenland sich weiterhin nicht verantwortlich und solidarisch zeigt, dann werden die restlichen Schengenmitglieder schon sehr bald alle möglichen Optionen erwägen. Denn da geht es um unsere Existenz. Damit meine ich nicht, dass Europa keine Flüchtlinge aufnehmen soll. Natürlich müssen wir das, denn es ist unsere humanitäre Verpflichtung. Aber wenn zu viele kommen, dann haben wir nicht genug Kapazitäten, um sie zu integrieren, und sie werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Zugleich erleben unsere Bürger dann eine extrem hohe Belastung. Das führt zu Unstimmigkeiten zwischen unserer Bevölkerung und den Flüchtlingen.

Die Welt: Mazedonien will die Grenze mit Griechenland bis Jahresende geschlossen halten. Was passiert, wenn Mazedonien die Grenze öffnet?

Cerar: Es wird einen Dominoeffekt geben. Österreich schließt seine Grenze, wir schließen unsere Grenze, dann die Kroaten und die Serben und dann wird Mazedonien seine Grenze wieder schließen müssen. Sonst kommen zu viele Migranten in jedes dieser Länder.

Die Welt: Es gibt Vorwürfe, dass Flüchtlinge in Mazedonien schlecht behandelt werden. Unterstützt Slowenien Mazedonien, damit die Lage sich verbessert?

Cerar: Wir unterstützen Mazedonien konkret mit Polizeikräften, die technische Hilfe anbieten. Außerdem stehen wir auch bereit, um Bulgarien zu unterstützen. Ich versuche auch meine Kollegen in der EU dazu zu bewegen, Bulgarien und Mazedonien ihre Hilfe anzubieten. Das sind die Länder, die Grenzkontrollen durchführen müssen, um illegale Migration zu stoppen. Die EU-Kommission muss dabei auch eine Rolle spielen. Mazedonien und Bulgarien müssen finanziell besser unterstützt werden. Wir müssen noch viel mehr machen, um den Ländern an der Grenze zu helfen.

Die Welt: An der Grenze zu Kroatien hat Slowenien einen Zaun errichtet. Es gibt Beschwerden, dass er Tiere und Tourismus störe. Wird er wieder abgebaut, da jetzt weniger Migranten kommen?

Cerar: Wir mussten diesen Zaun aufstellen. Nicht wegen der Migranten, sondern weil die kroatische Regierung die Flüchtlinge immer wieder an unterschiedlichen Stellen zur Grenze gebracht hat. Sie haben uns nicht gesagt, wo und wann. Aber sie schaden nicht dem Tourismus. Wir haben einige Teile des Zauns entfernt, als es nicht mehr nötig war. Allerdings haben wir auch einige stehen lassen, denn wir müssen auch mit höheren Migrantenzahlen rechnen, und da sind wir an der Grenze besonders vorsichtig.

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Die Welt: Grenzschließungen, durch die weniger Migranten den Schengenraum betreten können, können nur ein Teil einer Lösung sein. Immer noch verdienen Schmuggler Geld damit, Flüchtlinge über immer gefährlichere Routen über das Mittelmeer nach Europa zu bringen. Wie können sie gestoppt werden?

Cerar: So etwas kann nicht schnell verhindert werden. Aber die EU kann versuchen, die tiefer liegenden Gründe für die Flucht anzugehen. Dazu müssen wir als EU in Afrika und in Nahost aktiver werden. Sonst werden wir diesen Menschen nicht helfen können. Das geht am besten, indem wir die Wirtschaft und Bildung in ihren Heimatländern fördern.

Die Welt: Sehen Sie die EU nach dem Brexit-Votum wieder enger zusammenrücken?

Cerar: Das ist meine Hoffnung, denn es bleibt nur eine Alternative. Das ist ein geteiltes Europa, und wir wissen, dass zwei Weltkriege in einem solchen Europa begannen. Die EU ist deswegen ein Projekt für Frieden. Das ist etwas so Grundlegendes, das wir nicht vergessen dürfen. Wenn die EU zerfällt, dann wird es wieder Grenzen geben und Konflikte.

Quelle: Welt-online vom 06.09.2016

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Ulrike
Ulrike
7 Jahre zuvor

Nochmal macht das dieses Land nicht mit. Man hat gesehen was die Flüchtlingsströme für einen Müll und Dreck hinterlassen haben. Sowas gibts nicht noch mal.