Proteste: Neuer Sprint zur Unabhängigkeit Kataloniens

von REINER WANDLER AUS MADRID

11. September 2016, 22:41

Katalanische Flaggen überall: Zahlreiche Menschen gingen am Sonntag in den Nationalfarben für die Loslösung Kataloniens von Spanien auf die Straße.
foto: apa / afp / luis gene

Katalanische Flaggen überall: Zahlreiche Menschen gingen am Sonntag in den Nationalfarben für die Loslösung Kataloniens von Spanien auf die Straße.

Hunderttausende unterstrichen Forderungen bei Demonstrationen in fünf Städten Hunderttausende demonstrierten am katalanischen Nationalfeiertag – der Diada – für die Unabhängigkeit der Region Katalonien.

Gerufen hatten die beiden Bürgerinitiativen Katalanische Nationalversammlung (ANC) und Omnium Cultural zu fünf Kundgebungen. Das Thema waren die Grundsätze der neuen Republik, die, so der Wille derer, die mobilisierten, bereits im kommenden Jahr entstehen soll. In Barcelona hieß das Motto „Freiheit“, in Tarragona „Fortschritt“, in Lleida „territoriale Ausgewogenheit“, in Salt „soziale Gerechtigkeit“ und in Berga „Kultur“.

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Zeitlich abgestimmt wurde nach und nach an den fünf Orten ein Manifest verlesen und übertragen. Geht es nach den in Barcelona regierenden Nationalisten um den liberal-nationalistischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont und den Linksnationalisten, die seine Regierung unterstützen, wird das, was in Katalonien „der Prozess“ genannt wird, Mitte 2017 abgeschlossen sein. Das entspricht dem Zeitplan, der im vergangenen September von der bei den Autonomiewahlen siegreichen „Gemeinsam für das Ja“ (JxS) beschlossen wurde. Zusammen mit der antikapitalistischen, linksseparatistischen Kandidatur der Volkseinheit (CUP) stellt sie die Mehrheit im Parlament und drängt in Richtung Unabhängigkeit.

Anlass der Proteste – hier in Barcelona am Sonntagnachmittag – ist die Diada, der katalanische Nationalfeiertag.

foto: apa/afp/lluis gene

Anlass der Proteste – hier in Barcelona am Sonntagnachmittag – ist die Diada, der katalanische Nationalfeiertag.

Die in Madrid regierenden Konservativen rund um Regierungschef Mariano Rajoy sprechen selbst von Aussetzung der Autonomie und Amtsenthebung der Regierung. So steht etwa der ehemalige katalanische Premier Artur Mas mit mehreren Regierungsmitarbeitern vor Gericht, weil er vor zwei Jahren eine symbolische Volksabstimmung durchführen ließ. Doch die katalanischen Nationalisten lassen sich nicht aufhalten. „Wenn sie uns ins Gefängnis stecken, wird uns die katalanische Bürgerschaft zivilisiert und friedlich herausholen“, erklärte Joan Tardà – katalanischer Abgeordneter im Madrider Parlament. Maßnahmen bereits in Arbeit Nach zwei Erklärungen des katalanischen Parlaments hat sich die nationalistische Regierung an die „Loslösung“ gemacht. Trotz Verbotes aus Madrid und trotz einer Verurteilung durch das spanische Verfassungsgericht bereitet Katalonien ein eigenes Finanzamt vor und arbeitet ein katalanisches Sozialversicherungswesen aus.

In den kommenden Wochen soll ein Gesetz zum „juristischen Übergang“ folgen. Dort wird dann festgelegt, wie die Verfassung für ein neues Katalonien geschaffen werden soll. Ein von Richtern, Professoren und Bürgern ausgearbeiteter Entwurf sieht eine Republik mit Präsidentialsystem ähnlich dem der USA vor.

Sprache soll das Katalanische werden, Minderheiten innerhalb Kataloniens werden weitgehende Autonomiebefugnisse erteilt. Drei mögliche Wege zur endgültigen Unabhängigkeit werden derzeit diskutiert. Der erste ist die Zulassung einer Volksabstimmung nach schottischem Vorbild, doch das wird wohl kaum geschehen. Rajoys Konservative sind strikt dagegen, und auch die Sozialisten wollen von einem solchen Plan nichts wissen. Einzig die neue Antiausteritätspartei Podemos steht dem Selbstbestimmungsrecht der Katalanen und restlichen Minderheiten in Spanien positiv gegenüber, auch wenn die Partei ankündigt, im Falle einer Abstimmung für den Verbleib in Spanien eintreten zu wollen.

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Bleiben zwei unilaterale Verfahren. Entweder wählt Katalonien zuerst eine verfassunggebende Versammlung, um den dort ausgearbeiteten Text dann einem Referendum zu unterziehen. Oder es gibt zuerst ein einseitiges Referendum und dann, sollte die Unabhängigkeit gewinnen, eine verfassungsgebende Versammlung. Spätestens Ende des Monats wird eine Entscheidung über das weitere Vorgehen fallen. Dann stellt sich Regierungschef Puigdemont einem Vertrauensvotum im katalanischen Parlament. Die linke CUP will ihn weiter dulden, wenn er einen klar abgesteckten Fahrplan zur Unabhängigkeit vorlegt. (Reiner Wandler aus Madrid, 11.9.2016)

Quelle: Der Standard (Österreich) vom 11.09.2016

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