Geopolitik: Wir leben mitten im Weltkrieg – und wissen nicht, wer der Feind ist

Wir leben mitten in einem Weltkrieg. Doch es ist gespenstisch: Wir wissen nicht mehr, wer Feind oder Freund ist.

Die Präsidenten Putin und Obama am 28.09.2015 in New York. Die beiden kämpfen um den europäischen Energiemarkt. (Foto: dpa)

Die Präsidenten Putin und Obama am 28.09.2015 in New York. (Foto: dpa)

»Wir stehen vor einem schleichenden Dritten Weltkrieg«, sagte der frühere österreichische Vizekanzler Erhard Busek im Herbst vor einiger Zeit in einem Interview für das Webportal Euractiv.

Tatsächlich ist die Welt heute kriegerischer denn je. Die Möglichkeit, Kriege mit »modernen Mitteln« zu führen, hat die Lust vieler Regierungen geweckt, Veränderungen mit Gewalt zu erzwingen. Der Charakter von militärischen Konflikten hat sich nämlich dramatisch verändert. Waffensysteme werden nicht mehr von Soldaten, sondern von Computerspezialisten gesteuert.

Mit technologischen Mitteln ist es heute möglich, scheinbar »sauber« zu töten. Über einen »Joy-Stick« – welch obszöne Bezeichnung in diesem Zusammenhang – werden Drohnen ferngesteuert und töten. Es gibt keine Kriegserklärung. Die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Soldaten ist aufgehoben. Die Urheber der sogenannten »gezielten Tötungen« bleiben im Dunklen. Es gibt auch keine regulären Armeen mehr: Söldner kämpfen überall, politische Sekten werden in Stellvertreterkriege geschickt. Die einzigen, die noch ein Gesicht haben, sind jene, die die Folgen zu tragen haben. Die Toten bleiben uns meist verborgen – es sei denn, sie werden zu Propaganda-Zwecken noch einmal missbraucht.

Kriege werden als Finanzkriege geführt: Mit einer einzigen gezielten Finanz-Spekulation kann eine ganze Volkswirtschaft in die Knie gezwungen werden. Kriege werden als Cyber-Kriege im virtuellen Raum geführt. Ein Angriff auf die Stromversorgung kann ein ganzes Land lahmlegen. Orchestriert werden die Kriege in Propagandaschlachten, die in den Medien und im Internet toben.

Die modernen Methoden zeichnen sich dadurch aus, dass Gewalt ausgeübt werden kann, ohne dass die Opfer die Täter kennen. Die modernen Methoden versetzen Kriegs-Parteien in die Lage, anonym, unerkannt oder gar in der Maskerade eines anderen aufzutreten. Kriege werden nicht mit offenem Visier geführt.

Die Flüchtlinge und Migranten sind die ersten sichtbaren, stummen Zeugen der modernen Kriege. Sie führen uns vor Augen, dass der Weltfrieden eine Illusion ist. Sie erinnern uns, dass Deutschland auch von den Kriegen, von denen es auf dem Heimatboden nichts gemerkt hat, profitiert – mit Milliardengewinnen für die Rüstungsindustrie. Wir können nicht mehr wegschauen.

Die »Modernität« unserer Kriege ist durch die Verschmelzung von Technologie und Industrie möglich geworden, einem globalen Prozess, der sich seit dem Jahr 2000 vollzieht.

Die erste Welle dieser Revolution waren die Anfangsjahre des Internet. Heute läuft die zweite Welle: Alle Möglichkeiten der Vernetzung, der Datenerfassung und der globalen Kommunikation wer- den miteinander verbunden. Diese Welle hat dazu geführt, dass große Technologie-Unternehmen die Weltwirtschaft zu dominieren beginnen.

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Die technologisch-industrielle Revolution hat eine zivile und eine militärische Komponente: In der zivilen werden neue Produkte geschaffen, die den Alltag ebenso verändern wie die Arbeit in den Unternehmen. In der militärischen Komponente werden alle Elemente kombiniert, um politische und wirtschaftliche Interessen mit Gewalt durchzusetzen. In solcherart »modernen« Kriegen werden Technologie und Industrie-Güter als Waffen eingesetzt, erprobt und weiterentwickelt. Viele der großen Technologie-Konzerne sind sowohl im zivilen Bereich als auch für die Rüstungsindustrie tätig. Der Krieg ist die Avantgarde dieser Revolution. Die »Kollateralschäden« in Form von zivilen Opfern, Vertreibung und Zerstörung werden in Kauf genommen, um geopolitische Interessen durchzusetzen und wirtschaftliche Vorteile zu erringen.

Die technologisch-industrielle Revolution verläuft global, gleichzeitig und ohne Hoheitsabzeichen. Es ist nicht mehr zu erkennen, wer der Urheber einer Aktion ist. Die Folgen jeder Aktion können überall auf der Welt auftreten.

Die modernen Kriege tragen einen ganz anderen Charakter als die klassischen Kriege, die um Macht und Territorien geführt wurden. Die modernen Kriege werden virtuell geführt, als Finanzkrise, als Cyber- und Propagandaschlachten. Nicht Armeen bestimmen das Kampfgeschehen, sondern Bilder, Illusionen und artifizielle Intelligenzen.

Die modernen Kriege schaffen neue Realitäten. Sie werden mit den Mitteln der technologisch-industriellen Revolution geführt. Krieg war immer ein wichtiges Experimentierfeld für die Zivilgesellschaft. Kriege sind aus humanistischen wie aus religiösen oder politischen Gründen grundsätzlich abzulehnen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hält fest, dass das Recht auf Leben für jeden Menschen universell gilt und durch niemanden beschnitten werden dürfe. Und doch führen die Nationen Kriege, seit die Menschheit denken kann. Joseph Schumpeter hat in seinem Buch »Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie« erklärt, wie sich mit der Modernisierung der Kriege auch die Struktur von Unternehmen und Wirtschaft der Zivilgesellschaft ändert – bis hin zum Typ des »Unternehmers«, der früher dem Typen des »Feldherren« entsprach, der selbst noch in die Schlacht zieht. Je technischer und abstrakter die Kriege, desto anonymer werden auch die Feldherren oder die Fürsten, in deren Namen die Armeen ihre Schlachten schlagen.

Diese Anonymität, das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wer Feind, wer Freund ist, prägt die technologisch-industrielle Revolution, deren zweite Welle jetzt über uns zusammenschlägt.

Wegen des universalen Charakters dieser Kriege kann sich niemand der Entwicklung entziehen – auch Deutschland nicht. Die Stärke der deutschen Wirtschaft, die politische Stabilität und der Wohlstand sind keine Garanten mehr für die Zukunft. Im Gegenteil: Vom Erfolg verwöhnt und allem Neuen eher mit Skepsis als mit Mut zum Risiko begegnend, hat Deutschland die ersten bei- den Wellen der technologisch-industriellen Revolution glatt verschlafen. Das hat gravierende Folgen: Die neuen Weltkonzerne heißen nicht mehr Volkswagen oder BMW, sondern Google, Apple, Yandex, Symantec, Palantir oder Alibaba. Die jungen Giganten exportieren ihre Produkte in alle Welt. Deutschland droht eine Zukunft als Werkbank der global tätigen Technologie-Konzerne, mit einschneidenden Veränderungen für Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Schwäche Deutschlands liegt auch in dem bequem und an manchen Stellen morsch gewordenen, politischen Establishment. Die Erfolge der Untertanen haben die Regierungen träge und selbstgefällig gemacht. »Heute können wir feststellen: Deutschland geht es so gut wie lange nicht«, sagte Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung im Januar 2014. Im Herbst 2013 hatte die Kanzlerin vor der Wahl gesagt: »Ganz grundlegend neue Sozial- und Wirtschaftsreformen brauchen wir nicht.«

Unter Angela Merkel hat sich der Wandel Deutschlands zur »Postdemokratie« vollzogen. Dieser Begriff des Soziologen Colin Crouch bezeichnet einen Zustand, in dem die offizielle Politik nur noch als Marketing funktioniert. Die Sachfragen werden ohne Mitwirkung der Wähler in elitären Zirkeln entschieden. Was die Wähler in wichtigen politischen Fragen denken, kümmert die Politik nicht. Politik und Gesellschaft driften auseinander.

Die Bruchlinien zeigen, dass die restaurativen Kräfte in Deutschland gegen den Willen der Bevölkerung operieren. Die von den Parteien dominierten politischen Entscheidungen zielen allein darauf ab, den Status quo zu erhalten. Doch die Bevölkerung braucht eine Perspektive für ihre Zukunft in den Wirren der technologisch-industriellen Revolution. In einer solchen Situation kommt es sehr auf die Fähigkeit einer Regierung und auf die Aufgeschlossenheit der Eliten an. Sie muss der Bevölkerung die Angst nehmen und einen Rahmen schaffen, in dem sich ein Land erneuern kann.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem neuen Buch von DWN-Herausgeber Michael Maier.

DWN-Herausgeber Michael Maier beschreibt in seinem neuen Buch die modernen Kriege und ihre Folgen auf die Gesellschaft. Seine Analyse zeigt, dass die Herausforderungen der technologisch-industriellen Revolution gravierend sind. Sie können von Politik und Interessenvertretern nicht gemeistert werden, sondern erfordern höchste Wachsamkeit und Kreativität eines jeden einzelnen.


Ein Rezensent schreibt auf Amazon:  Das Buch ist eine umbequeme aber notwendige Analyse unserer Lebensverhältnisse und ein Aufruf jetzt etwas daran zu ändern.

Michael Maier: „Das Ende der Behaglichkeit. Wie die modernen Kriege Deutschland und Europa verändern“. FinanzBuch Verlag München, 228 Seiten, 19,99€.

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Quelle: Deutsche Wirtschafts Nachrichten vom 05.11.2016

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Geronimo
Geronimo
7 Jahre zuvor

Jetzt kommt ja bald Weihnachten mit viel Freude. Freude, Freude im ganzen Haus, die ganze Welt ein Freudenhaus, nein, ein Kriegsschauplatz. Was wäre denn ohne Krieg mit der Wirtschaft oder den Arbeitsplätzen los? Angeblich geht es ja der Welt derzeit wirtschaftlich besser als je zuvor. Da ist es auch völlig egal, wer wessen Freund oder Feind ist. Die Koalitionen sind da flexibel und durchmüschen (Gauck) sich je nach Bedarf.