Konzentriertes Gejammer: NZZ schließt Kommentarspalte

Marcus Klöckner

Bild: Roland Fischer/CC BY-SA-3.0

Schweizer Traditionsblatt will mit „implizitem Machtgefällle“ auf dem „Hoheitsgebiet von Redaktionen“ gewissenhaft umgehen

„Am Mittwoch, dem 8. Februar, werden wir die Kommentarspalte auf NZZ.ch bei den meisten Artikeln deaktivieren.“ Mit diesen Worten wendet sich die Redaktion der Neuen Zürcher Zeitung an ihre Leser.

Damit entscheidet sich das Schweizer Traditionsblatt zu einem Schritt, den auch anderen Medien, wie etwa die Süddeutsche Zeitung (Kampf um die Leserforen oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ schaltet lieber ab) bereits unternommen haben: Die Meinung des Lesers innerhalb der Plattform wird nicht mehr oder nur noch in einem beschränkten Umfang zugelassen.

Wer sich die Einlassungen der NZZ zum neuen „Community-Konzept“ durchliest, bekommt einen Eindruck davon, wie schwer es offensichtlich vielen Redaktionen fällt, damit umzugehen, dass Leser oft eine Sicht auf die Dinge haben, die dem gelieferten Journalismus diametral gegenüber steht. Aber die Ausführungen der Schweizer Tageszeitung zeigen vor allem auch: So manche Redaktion scheint keine konstruktive Mittel in der Hand zu haben, um mit Lesern umzugehen, die mit Begriffen wie „Systempresse“ oder „Propagandaschleudern“ Medien angreifen.

Über weite Strecken liest sich der NZZ-Artikel wie das konzentrierte Gejammer einer Medienlandschaft, die den Aufbruch des Meinungsmonopols durch das Internet nicht akzeptieren will. Zwischen den Zeilen findet sich die Wehmütigkeit einer Presse, die sich auch nach vielen Jahren Internet nicht damit arrangieren kann, dass das Sender-Empfänger-Prinzip längst nicht mehr in dem Maße gilt, wie es noch vor dem Internet der Fall war.

Man kann sich geradezu vorstellen, wie die NZZ nicht ohne Gram auf jene Zeit blickt, in der die Medien Sender und die Mediennutzer Empfänger waren. Zu einer Zeit also, wo der „einfache Bürger“ mit Sendungsbewusstsein, der etwas in der medialen Öffentlichkeit sagen wollte, kaum über das Schreiben eines Leserbriefes hinaus gekommen ist – um dann in schöner Regelmäßigkeit von den Wächtern der veröffentlichten Meinung abgefangen zu werden.

Ja, gewiss: Die Möglichkeit, dass heute jeder, der über einen Internetzugang verfügt, selbst zum Sender werden und, wie in den Foren der großen Medien, direkt öffentlich die Veröffentlichungen dieser Medien kritisieren kann, birgt Probleme. Bis zu einem gewissen Grad kann man die Redaktionen verstehen, wenn diese sich über scharfe, teilweise verletzende und beleidigende Kritik, beschweren.

staatslehre

Wer einen Blick in die Foren der Medien wirft, muss feststellen, dass so mancher Leser Kritik mit dem Vorschlaghammer anbringt. Jeder, der im öffentlichen Raum kommentiert, sei dies nun ein professioneller Journalist oder aber ein Leser, der etwas sagen möchte, sollte sich ruhig immer wieder beim Verfassen seiner Kritik darüber im Klaren sein, welch mächtiges Schwert er in der Hand hält.

Jeder weiß: Sprache kann verletzen. Wer in einem Kommentar nur darauf abzielt, den Adressaten herabzuwürdigen – und sei der Zorn vielleicht auch noch so berechtigt -, sollte einmal ernsthaft in sich gehen und darüber nachdenken, wie er sich fühlte, wenn dieser Schwerthieb ihm gelten würde.

Dass es Foristen gibt, die nur darauf warten, zur Blutgrätsche anzusetzen, ist bitter – und es sagt auch so einiges über den Zustand der Gesellschaft aus. Auch wenn die Klagen der großen Medien über Foristen, die jeden Anstand vergessen, ihre Berechtigung haben, muss man schon sehr naiv sein zu glauben, dass die Schließung der Foren nur mit einem beleidigenden Ton zu tun hat. Sagen wir es doch offen: Die Tatsache, dass gerade bei den großen Konfliktthemen unserer Zeit, Mediennutzer gegen die von den großen Leitartikler gelieferten Wirklichkeitsauffassungen Sturm laufen, weil sie diese als zu eindimensional, als zu undifferenziert und ja, mitunter auch als verfälschend klassifizieren, ist für viele Medien ein Riesenärgernis.

Das Schließen der Leserforen ist ein politischer Schritt

Auch wenn das Verhalten mancher Mediennutzer gewaltig am Ego der Alphajournalisten kratzt und Leser mit Nachdruck immer wieder klarmachen, dass sie von den Eitelkeiten, die in Teilen des journalistischen Feldes vorherrschen, nichts halten: Bei dem Schließen der Leserforen geht es nicht nur um persönliche Befindlichkeiten von Journalisten. Das Schließen der Leserforen und die Verbannung des Lesers in „kleine Diskussionsräume“, die noch auf der Plattform zur Verfügung gestellt werden, ist geradezu ein politischer Schritt.

Wenn reichweitenstarke Medienplattformen ihre Leserforen schließen, dann verhindern sie nicht nur, dass unflätige Kommentare veröffentlicht werden. Sie verdrängen mit diesem Schritt auch unerwünschte politische Diskussionen und Ansichten aus jener Öffentlichkeit, die die Plattform bietet.

Der Grund dafür, dass Medien gerne darüber bestimmen möchten, welche politischen Ansichten und Meinungen auf ihren Plattformen Gehör finden, liegt nahe: Meinungen können Politik machen. Veröffentlichte Meinungen können Bürger als Orientierung bei der eigenen Meinungsfindung und Meinungsbildung dienen.

Diese Erkenntnis ist weitreichend. Was ist, wenn die großen Leitartikler samt ihrer Publikationsorgane zu einem bestimmten Thema eine Meinung haben, aber viele bis sehr viele Mediennutzer in ihren Forenbeiträgen eine ganz andere Sicht auf die Dinge vertreten?

Die Antwort auf die Frage ist einfach: Diejenigen Bürger, die sich zu einem bestimmten politischen Sachverhalt noch nicht festgelegt haben, deren Meinung also noch ungefestigt ist, können die Ansichten der jeweiligen Medien und die Ansichten des Publikums miteinander vergleichen. Dies kann dazu führen, dass jene Sicht auf die Dinge, die von den großen Leitmedien vorgegeben wird, abgelehnt wird, weil der geneigte Leser zu dem Ergebnis kommt, dass die Ansichten, wie sie in den Foren zu finden sind, glaubhafter sind als die, die von den „Experten“ der journalistischen Zunft zum Besten gegeben werden.

Um es abzukürzen: Die Frage, welche Meinungen in der Breite des öffentlichen Raum zugänglich sind und welche nicht, kann einen entscheidenden Einfluss auf politische Entscheidungen haben. Politik ist, wenn auch längst nicht immer, auf eine gewisse Zustimmung in der Bevölkerung angewiesen.

Dass Leitmedien dazu übergehen, die „Schotten dicht zu machen“, hat in erster Linie damit zu tun, dass sich alle Entscheider genau darüber bewusst sind, welche Auswirkungen zu weit von den eigenen Veröffentlichungen abweichende Lesermeinungen – insbesondere, wenn sie in großer Zahl auftauchen – haben können. Die Möglichkeit ist gegeben, dass sich ein politisches Klima verändern kann. Und das will man verhindern.

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Erstens: Wer heute ernsthaft glaubt, dass unterdrückte Meinungen sich durch das Schließen eines Leserforums aus dem öffentlichen Raum verdrängen lassen, handelt so wie ein Feuerwehrmann, der meint, ein Feuer würde dadurch gelöscht, indem man sich von ihm abdreht. Nur weil er das Feuer nicht mehr sieht, heißt es nicht, dass es nicht mehr da ist.

Die Foristen werden, wenn sie ihre Meinung nicht mehr wiedergeben dürfen, zu einem anderen Forum ziehen. Sind alle Foren geschlossen, suchen sie sich andere Plattformen, die es zur Genüge im Internet gibt.

Zweitens: Mit dem Schließen der Leserforen demaskieren Medien sich unfreiwillig selbst. Gerade diejenigen, die sich Pluralismus, Meinungsvielfalt und Öffentlichkeit auf die Fahnen geschrieben haben, zeigen nun, wie ernst ihnen Pluralismus und Co wirklich sind, wenn sie damit konfrontiert werden, dass sie auch von ihren Standpunkten abweichende Ansichten zu akzeptieren haben.

Medien, die allen Ernstes im Zeitalter des Internet meinen, sie könnten dem Leser einfach so den Boden unter den Füßen wegziehen (immer natürlich mit der Bitte versehen, sich doch noch ein Exemplar des erlesenen Produktes am Kiosk zu besorgen), zeigen: Sie sind noch nicht angekommen in der neuen Medienwelt. Sie haben noch immer nicht verstanden, dass Mediennutzer zum Teil der Medien geworden sind. Sie senden auch aus. Sie bewegen sich im Internet, haben ihre Blogs, Homepages und andere eigene Kanäle, auf denen sie „Inhalt“ produzieren und sich so innerhalb eines stark erweiterten Medienraumes zu Wort melden.

Die Vorstellung, dass Medien dem neuen Mediennutzer auf Augenhöhe begegnen, muss vielen Redaktionen völlig fremd sein. Man lese sich nur einmal folgende Ausführungen aus dem Artikel der NZZ durch:

Die Kommentarspalte ist ein digitaler Zwitter aus öffentlichem Leserbriefkasten und einem Forum. Da sie auf Nachrichtenseiten – also dem Hoheitsgebiet von Redaktionen – placiert ist, besteht ein implizites Machtgefälle. Wir als Betreiber entscheiden, welche Kommentare veröffentlicht werden, und sind darum in der Verantwortung, mit diesem Machtgefälle gewissenhaft umzugehen.

NZZ

Sicher, so kann man es auch ausdrücken. Man verfügt über ein „Hoheitsgebiet“ und verspricht mit einem „impliziten Machtgefälle“ gewissenhaft umzugehen. Wer so denkt, hat nicht begriffen, dass das eigene „Hoheitsgebiet“ immer kleiner wird und die „Macht“ der Medien zumindest teilweise bereits zerbrochen ist. In dieser Situation ein im Zusammenhang mit dem eigenen Forum noch vorhandenes „Machtgefälle“ anzusprechen, zeugt von wenig Sensibilität für die Gesamtsituation.

Drittens: Wenn Medien dazu übergehen, Foren in der Breite zu schließen, dafür aber dann eine gewisse Anzahl an von ihnen bestimmte Themen auswählen, zu denen jeweils ein Forum geöffnet wird, dokumentieren sie so offensichtlich, wie es kaum offensichtlicher sein könnte, worum es ihnen geht: Sie wollen darüber bestimmen, zu welchen Themen Leser sich innerhalb ihres Mediums äußern dürfen und zu welchen nicht. Dem Mediennutzer wird nichts anderes gesagt als: Deine Meinung darfst Du äußern, aber wir sagen Dir zu welchem Thema.

Angenommen werden darf: So agieren Medien, die neben Journalismus auch noch Politik machen wollen.

Quelle: heise.de vom 07.02.2017

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Ulrike
Ulrike
7 Jahre zuvor

Die meisten Lügenpressen haben ihre Kommentarspalten geschlossen.
Da würde nämlich die Wahrheit stehen wie das Volk zu bestimmten Dingen steht.
Das können die aber nicht gebrauchen weil sie sonst nicht weiter ihre Lügenmärchen erzählen könnten.

Dass die Schweiz nun auch schon so gehirnverschwurbelt ist hätte ich nie gedacht.
Hoffentlich gehen diese Medien bald unter mit Pauken und Trompeten. Verdient haben sie es.