Freihandel: Impressionen von der Schnittstelle zwischen Propaganda und Verdunkelung

06.10.2015

Markus Gärtner

Die siechende Supermacht USA erzielt bei ihrem Kampf gegen den fortschreitenden Bedeutungsverlust einen kleinen Erfolg, der aber nichts am Niedergang ändern wird. Am Montag wurde mit elf Anrainerstaaten des Pazifiks die »Transpazifische Partnerschaft« im Prinzip vereinbart. Die USA versuchen mit dem Vertragswerk, das in den Teilnehmerländern erst noch ratifiziert werden muss, 40 Prozent der Weltwirtschaft mit 800 Millionen Einwohnern noch mehr von ihren Standards aufzuzwingen und gleichzeitig den Aufstieg Chinas zu bremsen.



Die ersten Reaktionen der Mainstream-Medien in Nordamerika zeigen, worum es den USA geht und was auf uns Europäer zukommt, wenn erst einmal das transatlantische Gegenstück TTIP eingetütet wird.

»Wir verkaufen noch mehr amerikanische Produkte und Dienstleistungen auf der Welt«, jubelt Barack Obama über dieses Abkommen, das zu jenen Erfolgen gehört, die er nach Ende seiner zweiten Amtszeit an einer Hand wird abzählen können.

Die großen Zeitungen und Magazine preisen das Abkommen in den höchsten Tönen. »Das ist gut für die USA und das Vermächtnis von Obama«, frohlockt das Magazin Time . »Das ist ein Handelsabkommen, das es zu feiern lohnt«, schreibt entzückt die Washington Post.

Die Time gibt den wahren Grund ihrer Freude erst im letzten Teil des Artikels preis, an einem Punkt, bis zu dem viele Leser nicht kommen werden. Mehr als das zusätzliche Wirtschaftswachstum für die USA, so heißt es dort, zähle der geopolitische Landgewinn, der mit dem Abkommen erzielt werde, denn die USA »erreichen ja weniger in der Welt in diesen Tagen«.

Das ist ein klares Eingeständnis dafür, wie die USA derzeit in Syrien durch das Einschreiten Russlands vorgeführt werden, wie die noch-Supermacht im Pazifik Einfluss verliert und wie der Widerstand im Rest der Welt gegen die Hau-drauf-und-mach-Schluss-Diplomatie der USA wächst.

In den USA selbst findet man kritische Töne zu der transpazifischen Handelsdiplomatie des Landes fast ausschließlich in der digitalen Gegenöffentlichkeit des Internets. Zum Beispiel im Blog End of the American Dream von Michael Snyder.

Dieser entlarvt das Abkommen als »Trojanisches Pferd«. Es finde nicht nur ein »Coup der großen multinationalen Unternehmen« statt, in der schriftlichen Vereinbarung werde auch ein Sammelsurium an Initiativen verewigt, für die Obama im Parlament in Washington nicht die gewünschte Mehrheit bekam und die er jetzt mit Hilfe des Abkommens am Kongress vorbei durchboxen will.

Dazu zählen eine verschärfte Kontrolle des Internets, Reformen des Gesundheitssystems, gelockerte Bestimmungen für die Nahrungsmittelindustrie, das Aufweichen von Umweltstandards und die Beschneidung bürgerlicher Freiheiten.

Bei Zero Hedge erinnert Tyler Durden daran, mit wie viel Geheimhaltung und Verdunkelung gegenüber der amerikanischen Öffentlichkeit das Abkommen ausgehandelt worden ist, einschließlich der brisanten und für die Demokratie schädlichen Möglichkeiten von Firmen, gegen Regierungen zu klagen, wenn neue Gesetze deren Gewinn schaden:

»Diese Festlegung in dem Abkommen ist heimtückisch«, schreibt Zero Hedge. »Die unterzeichnenden Staaten geben freiwillig ihre Souveränität bei Firmentribunalen ab, ohne Berufungsinstanzen und ohne Ausweichmöglichkeiten«.

Und was lesen wir in Deutschland zu dem anderen großen Handelsabkommen, das die USA mit dem führenden Wirtschaftsraum Europa verhandeln? Noch keine Jubelmeldungen über einen Abschluss, denn der ist weit entfernt. Aber vom Spiegel über n-tv bis hin zur Welt sind deutsche Mainstream-Blätter heute traurig, denn der »VW-Abgasskandal könnte die TTIP-Verhandlungen erschweren«. Dabei bedarf es solcher Sabotage im Augenblick gar nicht.

Denn TTIP, das von den Unterhändlern der EU und den USA ab dem 19. Oktober in der elften Runde weiter verhandelt werden soll, wird derzeit von zwei Seiten ausgebremst: In den USA sorgen das nächste Haushalts-Drama und die 2016 anstehende Präsidentenwahl dafür, dass das Thema TTIP auf der Prioritätenliste zurückfällt. In Europa nimmt der Widerstand gegen das Abkommen zu.

An diesem Mittwoch übergibt die Europäische Bürgerinitiative »Stop TTIP« eine Liste mit Unterschriften in Brüssel. Bis zum Wochenbeginn hatten mehr als drei Millionen Menschen unterzeichnet. Und am Samstag ist die bislang größte Demonstration gegen das geplante Handelsabkommen in Berlin geplant. Bei Facebook haben 18 000 Menschen ihre Teilnahme angekündigt.

Der Widerstand entzündet sich nicht nur an den umstrittenen Schiedsgerichten, sondern vor allem auch an den geheimen Verhandlungen. Bundestagsabgeordnete beklagen sich darüber, dass sie die Dokumente der Gespräche nicht einsehen können.

Den Bürgern bleiben folglich nur die Propaganda von Lobbyisten und die wenigen Auftritte von Beteiligten, deren Aussagen aber nicht überprüfbar sind. Zum Beispiel das Interview, das vor wenigen Tagen der TTIP-Chefverhändler der Europäer, Ignacio Garcia Bercero dem Standard gegeben hat.

In dem Interview räumt Bercero ein, dass zu vielen der mehr als 20 Wirtschaftssektoren, über die verhandelt wird, noch gar keine Vorschläge auf dem Tisch liegen. Das strittige Thema Investitionsschutz liegt demnach wegen interner Konsultationen »seit einem Jahr auf Eis«. Und es gibt laut Bercero noch keine abschließend verhandelten Sektoren, wobei sich die Vorschläge der EU »in den meisten Fällen« sogar »signifikant von jenen der USA« unterscheiden.
Besatzungsrecht-Amazon

Dennoch behauptet Bercero in dem Interview, er gehe davon aus, dass die Verhandlungen »bis zum Ende der Amtszeit von Präsident Barack Obama« abgeschlossen werden können. Hier schließt sich der Kreis zu Propaganda und Verdunkelung.

Entweder, die Gespräche können bis 2016 tatsächlich abgeschlossen werden, oder es stimmt, dass in vielen Punkten die Verhandlungen noch gar nicht begonnen haben. Man kann sich aussuchen, welchem Teil der widersprüchlichen Botschaft man mehr Glauben schenkt. Doch beide auf einmal können nicht wahr sein.

Das bestätigt uns erneut, wie Politik und Medien das Wahlvolk auch bei diesem Großprojekt im Dunkeln lassen und für dumm verkaufen.
Kredit für Selbständige
Quelle: Kopp-online vom 07.10.2015

Dieser Beitrag wurde unter Aktuell, Geschichte, Kultur, Nachrichten, Politik, Soziales, StaSeVe Aktuell, Völkerrecht, Wirtschaft, Wissenschaft abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.
0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments