Thüringen schiebt derzeit kaum abgelehnte Asylbewerber ab

Es vergeht kein Tag, an dem in Thüringen nicht Asyl- und Flüchtlingspolitik eine Rolle spielt. Politische Sommerpause? Fehlanzeige. Die CDU verlangt eine Sondersitzung zu diesem Thema. Rot-Rot-Grün wiederum wirft der Union Populismus vor.

Bald wieder Sachleistung statt Bargeld – zumindest für jene Flüchtlinge, die keine Bleibeperspektive haben? Das ist der Forderungen, die die Thüringer CDU jetzt an die rot-rot-grüne Landesregierung richtet. Foto: Peter Michaelis Bald wieder Sachleistung statt Bargeld – zumindest für jene Flüchtlinge, die keine Bleibeperspektive haben? Das ist der Forderungen, die die Thüringer CDU jetzt an die rot-rot-grüne Landesregierung richtet. Foto: Peter Michaelis
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Erfurt. Es vergeht kein Tag, an dem in Thüringen nicht Asyl- und Flüchtlingspolitik eine Rolle spielt. Politische Sommerpause? Fehlanzeige. Die CDU macht jetzt Druck, verlangt eine Sondersitzung zu diesem Thema – und einen Bericht von der rot-rot-grünen Landesregierung. Ein Punkt: Warum werden aktuell so wenige abgelehnte Asylbewerber zurückgeschickt? Thüringen fällt hier aus dem Rahmen – liegt mit 59 Personen mehr als 50 Prozent hinter der Zahl des Vorjahres zurück. Im ersten Halbjahr 2014 waren – bei damals noch deutlich geringeren Flüchtlingszahlen – 118 Personen aus Thüringen abgeschoben worden in ihre Heimatländer, im ganzen Jahr waren es 234. In diesem Winter aber gab es einen Abschiebestopp, der bis in den Frühling dauerte. Das rot-rot-grüne Kabinett berät am heutigen Dienstag über Asyl und die Folgen für Land und Kommunen. Migrationsminister Dieter Lauinger (Grüne) werde über die aktuelle Situation der Unterbringung von Flüchtlingen im Freistaat Thüringen informieren, heißt es aus der Staatskanzlei. An diesem Dienstag wird auch Professor Frank Eckardt von der Bauhaus-UniWeimar beim Minister sein: Er will den Abschlussbericht zum Thema Willkommensstädte vorstellen. Artern, Erfurt, Gera, Jena, Meiningen und Mühlhausen wurde dazu ins Blickfeld genommen.Willkommen? Ja, aber. Nicht jeder, der kommt, erfüllt die Vor­aussetzungen. Mike Mohring verweist auf die Zeitung „Die Welt“, die jüngst berichtete, dass „in Thüringen die Zahl der Abschiebungen gegen den Bundestrend und trotz wachsender Antragszahlen gesunken“ sei. Die Gründe dafür zu erhellen, ist eine Absicht, die die CDU mit ihrer Forderung nach einer Sondersitzung des Landtags voraussichtlich am 24. August hegt. Mohrings CDU will dabei auch in Erfahrung bringen, welche Praktiken es gibt, um „nach erfolgter Ablehnung eines Asylantrags zu einer Aufenthaltsgenehmigung zu gelangen“ – und wie dies zu bewerten sei. Derzeit sollen etwa 800 abgelehnte Asylbewerber in Thüringen leben. Gäbe es nur noch Sachleistungen statt Bares, so die Überlegung, könnte der Wille heimzureisen, wachsen.Die Frage ist, wer kommen soll, wer bleiben darf – und wie die Lasten der Kommunen minimiert werden können. Nach den Worten des CDU-Fraktionschefs „muss das Asylrecht konsequent so angewandt werden, dass der damit beabsichtigte Schutz tatsächlich nur den Schutzbedürftigen zugutekommt und der Asylantrag nicht mehr als Eintrittsticket für ganz normale Migranten missverstanden werden kann.“ Mohring verweist auf das bestehende Zuwanderungsgesetz. Über all dies wird voraussichtlich am 24. August im Landtag zu debattieren sein – und auch darüber, wie sehr sich Linke, SPD und Grüne in ihrer Bewertung der Lage unterscheiden. Die Fronten sind schon jetzt klar, wie eine TLZ-Umfrage unter den Fraktionen im Landtag zeigt. Es zeigen sich aber auch vor allem zwischen SPD und Grünen Unterschiede, die Mohring Streit nennt.Aus Sicht der CDU geht ein Riss durch die rot-rot-grüne Koalition nicht zuletzt deshalb, weil Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) für eine konsequente Abschiebe-Politik steht, während Migrationsminister Dieter Lauinger (Grüne) diese für untauglich halte, so Mike Mohring. „Es gibt eine Vielzahl widersprüchlicher Einlassungen aus der Regierungskoalition. Die Regierung hat monatelang den Eindruck erweckt, als sei jeder Asylantragsteller ein Integrationsfall. Der Innenminister lässt sich damit vernehmen, dass das Instrument der Abschiebung konsequenter genutzt werden soll, derweil der Integrationsminister es für untauglich hält oder zum Beispiel Astrid Rothe-Beinlich strikt dagegen ist.“ Mohring stellt fest: „Staatskanzleiminister Hoff bejubelt bei Twitter einen neuen, von Schleswig-Holstein angekündigten Wintererlass, derweil SPD-Chef Andreas Bausewein dies ablehnt. Im Bundesrat argumentierte Thüringen zuletzt gegen die Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, das von der Großen Koalition auf den Weg und für dringend notwendig erachtet wird. Eine in sich schlüssige Politik sieht anders aus“, so der CDU-Fraktionschef. Sein Vorhalt gegen Rot-Rot-Grün lautet zudem: „Die Kommunen erhalten nicht das vom Bund für sie vorgesehene Geld.“ Die Linke sieht das ganz anders: „Wir können nicht erkennen, wie Mike Mohring zu dieser Einschätzung des Regierungshandelns gekommen ist“, sagt André Blechschmidt der TLZ. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken betont, dass die Regierungsmitglieder sich einig seien, „die Kommunen bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu unterstützen. Dazu beziehen sie eindeutig Position. Das zeigen der Flüchtlingsgipfel und aktuelle Besuche von Ministern und des Ministerpräsidenten in Flüchtlingseinrichtungen.“ Der Sondersitzung sieht er gelassen entgegen: „Wir werden uns der Debatte stellen.“ Aber: Wir werden in der Flüchtlingspolitik keine Rückschritte zulassen. Geldleistungen statt Sachleistungen sind mühsam erkämpft worden. Stammtischniveau ist kein Mittel der notwendigen Klärung offener Fragen“, so seine Einschätzung. In der Flüchtlingspolitik bestehe „eine besondere Verantwortung“, macht Blechschmidt an die Adresse der CDU deutlich.SPD-Fraktionschef Matthias Hey macht auf TLZ-Anfrage deutlich: „Ich weiß, dass die Regierung alle die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente nutzt und Mittel aufwendet, um für die Flüchtlinge und die Thüringer Kommunen eine angemessene Lösung zu finden und die Situation zu entspannen. Ich glaube nicht, dass es uns weiter bringt, die Debatte zur Flüchtlingspolitik formal und unter hohen Aufwendungen nun auch noch im Landtag in einer Sondersitzung zu thematisieren. Jetzt ist Handeln vor Ort gefragt.“ Mit Blick auf die Asyl- und Flüchtlingspolitik in Thüringen und Deutschland erklärt Hey: „Wichtig ist, dass wir die Kommunen – so schnell es geht – entlasten. Das bedeutet: Die Bearbeitung von Asylanträgen muss beschleunigt werden. Es müssen schnell weitere Unterkünfte gefunden werden, die langfristig für die Erstaufnahme von Flüchtlingen genutzt werden können. Der Bund ist gefordert, durch zielgenaue Zuweisungen an die Länder die Kommunen finanziell stärker zu unterstützen. Hier könnten wir uns einen Zuschuss pro Flüchtling anstelle von Pauschalen vorstellen. Denn die aktuelle Situation hat gezeigt, dass pauschale Zuweisungen schnell überschritten sind und mangelnde finanzielle Mittel oft die Handlungsfähigkeit einschränken und die schnelle Lösung der angespannten Situation verhindern.“Wenn die CDU davon spricht, dass die Regierungskoalition in diesen Fragen überfordert und zerstritten sei, nennt Hey das „ein schönes Beispiel für eine Opposition, die keine konstruktiven politischen Vorschläge vorbringen kann. Die dynamische Entwicklung der sogenannten Flüchtlingsströme stellt nicht nur Thüringen vor große Herausforderungen. Das zeigt die bundesweite Berichterstattung und das weiß ich auch durch meinen Austausch mit Kollegen anderer Landtagsfraktionen. Natürlich diskutieren wir intern, wie wir mit der aktuellen Situation umgehen. Das gehört zu einer lebendigen Demokratie dazu. Es wäre schön wenn wir in Thüringen die Musterlösung für dieses Problem in der Schublade hätten. Aber so einfach ist das leider nicht. Das weiß auch die CDU. Von Streit in der Regierung kann hier keine Rede sein“, so Hey.Die Landtagsabgeordnete Astrid Rothe-Beinlich (Grüne) hat jedoch Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) jetzt auch bei Twitter Maß genommen und Widerstand gegen seine Haltung bei der Abschiebe-Politik deutlich gemacht. Ihre Hauptkritik aber richtet sich gegen den Bund. Die flüchtlingspolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion schätzt ein, dass „vor allem die CDU unter ihrer Kanzlerin Angela Merkel die Verantwortung dafür trägt, dass den Bundesländern noch immer keine strukturelle und dauerhafte finanzielle Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden zur Verfügung steht. Die Länder fordern dies seit langem. Schließlich sind die bisherigen finanziellen Hilfen des Bundes viel zu wenig. Auch die Abarbeitung von zigtausenden liegen gebliebenen Asylanträgen ist in erster Linie eine Aufgabe des Bundes und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Die Bundesländer für diese Situation verantwortlich zu machen, ist einfach nur verantwortungslos.“Auf Mohrings Forderung nach Sachleistungen statt Bargeld für bereits abgelehnte Asylbewerber reagiert sie so: „Wir sind froh, dass diese populistische und diskriminierende Praxis endlich ein Ende hat.“ Zudem macht sie klar, dass die Grünen „die Einstufung von weiteren Balkan-Ländern als sichere Herkunftsstaaten aus prinzipiellen Erwägungen ablehnen.“ Die Einstufung von Serbien, Mazedonien und Bosnien habe weder zur Verkürzung der Verfahren beigetragen, noch sei ein Abschreckungseffekt zu beobachten. „Hier wird wieder einmal von der CDU billiger Populismus auf dem Rücken der Asylsuchenden betrieben“, so Rothe-Beinlich. Grünen-Fraktionschef Dirk Adams hebt hervor, dass es „gerade jetzt darauf ankommt, vor Ort praktische Hilfe zu leisten und pragmatische Lösungen zu entwickeln. Eine vorgezogene Landtagssitzung, die lediglich Aktionismus demonstriert, wird an den Herausforderungen in den Landkreisen und Kommunen nichts ändern. Die CDU hat ihr ‚Sommerlochthema‘ entdeckt und versucht gezielt, von ihrer eigenen Verantwortung im Bund abzulenken“, so seine Einschätzung. Ganz anders die AfD: Deren asylpolitischer Sprecher und parlamentarischer Geschäftsführer Stefan Möller sagt, die rot-rot-grüne Landesregierung stehe „vor dem Scherbenhaufen ihrer von unrealistischem Wunschdenken geprägten und mit vielen Phrasen und Emotionen verkündeten Asylpolitik“. Zugleich betont die AfD, dass die CDU einige der zentralen AfD-Forderungen nun übernommen habe, so die Verfahrensbeschleunigung und der Vorrang von Sachleistungen.Mohring sieht seinen Vorstoß für eine Sondersitzung nicht nur als Gelegenheit, um eine Debatte über wichtige Themen in der Asylfrage zu führen. Möglicherweise helfe diese Sondersitzung auch der Landesregierung, „sich zu sortieren“. betont er.

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Gerlinde sommer / 11.08.15 / TLZ
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Quelle: Thüringer Allgemeine vom 11.08.2015
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