Flüchtlinge „Bei uns werden die Menschen regelrecht abgeladen“

15. Oktober 2015, 18:42 Uhr
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Münchner Tafel verteilt Lebensmittel, 2006
Münchner Tafel verteilt Lebensmittel, 2006 Bedürftige Menschen stehen bei der Ausgabestelle einer Münchner Tafel in der Isartalstraße Schlange und warten auf kostenlose Lebensmittel. (Foto: CATH)

Immer mehr Menschen bitten bei den Tafeln um Lebensmittel, darunter viele Flüchtlinge.
Die mit Spenden betriebenen Tafeln fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen.
Staatliche Stellen kalkulieren offenbar mit der ehrenamtlichen Hilfe.

Von Benedikt Peters

Elisabeth Spöttle ist nicht wohl dabei. Aber sie hat jetzt doch das neue System eingeführt, das mit den roten und grünen Karten. Die Menschen mit den grünen Karten dürfen zu bestimmten Zeiten einkaufen kommen, die mit den roten zu anderen. Wer die falsche Karte dabei hat, wird abgewiesen. „Das ist blöd, aber anders war es nicht mehr zu machen. Es war so katastrophal voll“, sagt Spöttle. Sie leitet den Tafelladen in Schramberg, einem Städtchen im Schwarzwald. Dort geben sie Lebensmittel an Bedürftige, für zehn Prozent des Kaufpreises.

Im August ging es los. An einem Morgen kamen nicht mehr 50 Menschen in den Tafelladen, sondern 70. Am nächsten Tag 80, später dann 100. Unter den neuen waren viele aus anderen Ländern, sagt Spöttle: Aus Somalia, Albanien, Eritrea, Syrien. In Schramberg leben derzeit 205 Flüchtlinge. Dass mittlerweile viele von ihnen in den Tafelladen kommen, stört Spöttle nicht: „Wir wollen allen Menschen helfen.“ Aber sie macht sich Sorgen. „Wenn es so weitergeht, reichen irgendwann die Lebensmittel nicht mehr.“

Die Behörden tragen eine Mitschuld

Schramberg ist kein Einzelfall. „Viele Tafeln sind an ihrer Belastungsgrenze“, sagt Jochen Brühl, Vorsitzender des Tafelverbands. Ihm zufolge unterstützen die Tafeln 150.000 Flüchtlinge zusätzlich zu den etwa eine Million Nutzern täglich mit Lebensmitteln. Bei einzelnen Tafeln im Süden und in Nordrhein-Westfalen sei die Situation dramatisch. Nach SZ-Recherchen bemühen sich die meisten Tafeln dennoch, allen Bedürftigen gerecht zu werden. Die Entscheidung aus Dachau, keine Lebensmittel an Flüchtlinge zu geben, ist eine Ausnahme.

Dennoch könnten die Tafeln bald vor einem Dilemma stehen. Die Ressourcen der Einrichtungen sind oft knapp. Sie finanzieren sich nahezu ausschließlich aus Spenden, fast alle Mitarbeiter sind Ehrenämtler. Wenn die Kapazitäten nicht mehr reichen, könnten in Zukunft Menschen abgewiesen werden.

Dem Verbandsvorsitzenden Brühl zufolge haben die deutschen Behörden eine Mitschuld daran. „Staatliche Stellen schicken die Menschen zum Teil ganz bewusst zu unseren Ausgabestellen“, sagt der Tafelverbandsvorsitzende Brühl. „Eine unlautere Praxis“ sei das, schließlich bekämen die Tafeln von staatlicher Seite kaum Unterstützung. „Bei uns werden die Menschen regelrecht abgeladen.“

Zu wenige Kalorien und Vitamine

Die Kritik ist nicht neu, schon vor Jahren gab es Beschwerden, dass etwa Jobcenter Hartz-IV-Empfänger zu den Tafeln schicken würden, da die staatliche Unterstützung nicht für die Ernährung reiche. Durch die Flüchtlinge kommen nun noch mehr Menschen hinzu.

Dass immer mehr von ihnen bei den Tafeln um Lebensmittel bitten, ist nicht verwunderlich. Zwar verbringen sie die ersten Wochen meist in einer Aufnahmestelle, in der es Vollverpflegung gibt. Spätestens nach drei Monaten aber müssen Flüchtlinge in Wohnungen untergebracht werden. Statt der Vollverpflegung gibt es dann Geld – nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts den Hartz-IV-Satz. 359 Euro müssen dann für alles reichen. Mit dem heute im Bundestag verabschiedeten Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz könnte sich dies verändern – demnach sollen Asylbewerber statt drei bis zu sechs Monaten in den Aufnahmelagern bleiben, wo sie voll verpflegt werden.

Ob das die Lage verbessert? Georg Classen ist da skeptisch. „Die Qualität der Verpflegung in vielen Aufnahmestellen ist unterirdisch“, sagt der Mitarbeiter des Berliner Flüchtlingsrats. Statt einer ordentlichen Mahlzeit gebe es vielerorts „ein paar Scheiben Brot und ein paar Teebeutel, manchmal auch eine undefinierbare Masse. In jedem Fall sind es zu wenige Kalorien und zu wenige Vitamine.“ Daher gingen viele Flüchtlinge zusätzlich zu den Tafeln.

Beschimpfungen für die Helfer

Das Bundessozialministerium will dazu nichts sagen. Dass Bedürftige von Behörden systematisch zu Tafeln geschickt würden, könne man „weder bestätigen noch überprüfen“.

Der Vorsitzende des Tafelverbands Jochen Brühl sagt, auch in Zukunft solle kein Bedürftiger von den Tafeln abgewiesen werden. Aber er spürt auch, dass es mancherorts zu Konflikten und fremdenfeindlichen Äußerungen komme. Die Tafel-Mitarbeiter würden mitunter sogar dafür beschimpft, dass sie Flüchtlingen Lebensmittel gäben. Er sagt: „Wir brauchen Unterstützung durch den Bund. Nicht bloß warme Worte.“ Mehr staatliche Hilfe würde sich auch Frau Spöttle in Schramberg wünschen. Immerhin: Für ihren Tafelladen übernimmt die Stadt die Kaltmiete.

Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 16.10.2015

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