Drohungen gegen Politiker „Du stinkende Ratte“

 

So etwas lesen Politiker derzeit dauernd. Und noch Schlimmeres. Was macht das mit, zum Beispiel, einem hessischen Landrat?

25.10.2015, von Friederike Haupt

© dpa Pegida-Kundgebung in Dresden: Der Galgen hat sich im Internet längst selbständig gemacht.


Jeden Tag werden Politiker in Deutschland mit Gewalt bedroht oder gar mit dem Tode. Mal sprühen die Täter die Drohung an eine Hauswand, mal schreiben sie einen Brief, mal eine E-Mail. Von vielen Drohungen kriegen die normalen Bürger gar nichts mit. Aber die Politiker müssen jede einzelne aushalten. Warum eigentlich?

Morddrohungen, weil Politiker ihre Arbeit tun

Im Kino läuft gerade ein guter Film, „Der Staat gegen Fritz Bauer“. Er erzählt von dem jüdischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der zwölf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Täter in Deutschland vor Gericht stellen wollte. Besonders dringend den früheren SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann. In dem Film gibt es eine Szene, da tritt Fritz Bauer in einer Fernsehsendung auf, um über seine Arbeit zu sprechen. Daraufhin kommt ein Packen Briefe in seinem Büro an. Drohbriefe. „Jude verrecke!!!“ und so etwas. Das hat sich der Filmemacher nicht ausgedacht. Und es leuchtet auch sofort ein. Bauer machte schließlich Jagd auf die übelsten Gestalten. Die und deren Freunde wehrten sich auf übelste Art. Das war Ende der fünfziger Jahre.

Im Oktober 2015 kriegt ein Staatsanwalt in Deutschland schon Morddrohungen, wenn er gegen einen Pegida-Demonstranten ermittelt. Der hatte vor zwei Wochen in Dresden einen selbstgebauten Galgen hochgehalten, per Beschriftung reserviert für Sigmar Gabriel und Angela Merkel. Morddrohungen bekommen außerdem Politiker, bloß weil sie ihre Arbeit tun. Und die besteht nun einmal auch darin, Menschen menschenwürdig unterzubringen, darunter Flüchtlinge. Sterben sollen nach Ansicht anonymer Bedroher beispielsweise ein Bundestagsabgeordneter, der eine Flüchtlingsfamilie bei sich zu Hause aufgenommen hat, der Landrat des Main-Kinzig-Kreises, der Landrat des Burgenlandkreises, zwölf Konstanzer Stadträte, der Fraktionschef der Linkspartei im Freitaler Stadtrat, der Bürgermeister von Bernau, der Oberbürgermeister von Magdeburg, der Oberbürgermeister von Leipzig, der Ministerpräsident von Thüringen, die Bundestagsvizepräsidentin und ebendie Bundeskanzlerin.

Es gibt Bundespolitiker, deren Kinder werden mit dem Tode bedroht. Das wollen sie aber nicht öffentlich sagen, damit die Bedroher nicht noch aggressiver werden. Anscheinend ist das zu erwarten. Eine Politikerin aus Berlin, die schon einmal Interviews gab zu Morddrohungen gegen sie, lässt jetzt ein Gespräch freundlich absagen. „Von denen, die drohen, wird das Auftauchen in den Medien als Ermutigung aufgefasst.“ So sieht das auch der Landrat des Main-Kinzig-Kreises. Aber er fühlt sich selbst mutig genug, um das in Kauf zu nehmen. Es lohnt, seinen Fall genauer zu betrachten; man versteht dann Bedrohte und Bedroher besser.

Nur rechtsradikaler Hass

Der Landrat heißt Erich Pipa, SPD. Das „SPD“ gehört gewissermaßen zum Namen dazu, so wie bei anderen der „Dr.“. Pipa ist seit fünfzig Jahren Genosse. Und seit zehn Jahren eben Landrat. Diese Woche war für ihn insofern besonders, als er am Montag das Bundesverdienstkreuz bekam und dann, an jedem weiteren Tag, einen neuen Drohbrief seiner anonymen Feinde erwartete. Denn „Ihre Kollegen“, dröhnt Pipa lustig-empört und meint damit einen Radiosender, hätten verkündet, dass er den Orden bekommen habe wegen der Flüchtlinge. Dabei war das Verdienstkreuz schon seit eineinhalb Jahren beantragt, allgemein für seine Arbeit. „Da wird wohl bald wieder eine Drohung in der Post sein.“ Das hat ihm die Polizei vorausgesagt. Drei Briefe hat er schon.

Der erste kam im Juli. Pipa war auf dem Richtfest eines Flüchtlingsheims gewesen und hatte frohgemut gesagt beziehungsweise, wie die Lokalzeitung anschließend schrieb, sogar betont: „Das Boot ist nicht voll.“ Kurz darauf bekam Pipa Post: eine Kopie des Zeitungsartikels. Auf das Zeitungsfoto hatte jemand einen Blitz gemalt, der in Pipas Kopf einschlägt. Es lag auch ein Brief dabei, Computerbuchstaben auf weißem Papier, Überschrift: „Kanaken-Landrat verpiss Dich!!!“ Der Text ist fast so arrangiert wie ein Gedicht, immer zwei bis vier Zeilen in Strophen, aber ohne Reim, nur rechtsradikaler Hass.

„Ich beschloss, trotzdem aufzutreten“

Pipa las: „Der Blitz soll Dich treffen. Schämst Du Dich nicht?“ Und dann: „Noch so ein Unsinn und Du wirst sehen, was passiert. Wir erstellen derzeit ein Bewegungsprofil von Dir. Wir wissen fast alles über Dich, Du Ratte. Fühle Dich nur nicht zu sicher.“ Absender war eine sogenannte Initiative Heimatschutz Kinzigtal. Pipa dachte zwar gleich an den Thüringer Heimatschutz, aus dem der Nationalsozialistische Untergrund hervorgegangen ist. Aber na ja! Er gab den Brief der Polizei und vergaß ihn, so sagt er, wieder.

Ungefähr zwei Wochen später kam der nächste. Ging gleich gut los: „Du hast dich nicht gebessert, Du stinkende Ratte. Wir hatten dich gewarnt.“ Dann der Hinweis auf ein Volksfest, auf dem der Landrat in wenigen Tagen auftreten würde. „Wir können jederzeit jemanden in der Besucherschar plazieren, der Dich aus dem Weg räumt. Die Gelegenheit ist günstig.“

Auf das Briefpapier gedruckt war auch ein Porträtfoto von Pipa. Sein Gesicht hatte dort jemand mit einem roten X durchkreuzt. Er las das, „und nachdem ich mich fünf Minuten erholt hatte, beschloss ich spontan, trotzdem aufzutreten“. Wenn Pipa heute von den Drohungen erzählt, klingt er ein bisschen wie ein Comic-Held. Als sei alles ganz easy gewesen. Aber zum einen ist Pipa jemand, der halt gerne lustig erzählt, und zum anderen jemand, der wirklich trotzig ist. Vor allem, wenn ihm Rechtsradikale etwas vorschreiben wollen. Er verkündete also auf einer Pressekonferenz, dass er bedroht werde. Dann trat er auf dem Volksfest auf. Nichts passierte. Es war allerdings auch Polizei da, zu seinem Unmut begleitete die ihn sogar aufs Klo. Dennoch: „Ich habe mich überall getummelt.“

Vom Absender keine Spur


Noch mal drei Wochen später kam der dritte Brief. Pipa war auf einer Kundgebung gegen rechts aufgetreten. Nun klangen die Briefeschreiber angesichts seiner ausdauernden Freude daran, sich nicht zu bessern oder, aus Demokratensicht, zu verschlechtern, fast ratlos: „Du bist weiter unter Beobachtung! Wir behalten uns jede nur denkbare Aktion vor!“ Auch diesen Brief gab der Politiker der Polizei. Vom Absender bis heute keine Spur.

Was bedeutet das nun für Pipa? So easy, wie es aussieht, ist es nicht. Wenn der Landrat mal schwache zehn Sekunden hat, rückt er damit raus, dass er seiner Frau den dritten Brief zunächst verschwiegen hat. Die bekam aber doch Wind davon, woher, weiß er gar nicht genau. Wohl über Ecken, es wussten ja ein paar Vertraute Bescheid. Jedenfalls gab es dann Ärger am Frühstückstisch. Er kann seine Frau verstehen, aber auch sich selbst, denn er wollte sie bloß schützen vor der schlimmen Angst. Kürzlich besuchte das Ehepaar einen Gesangsverein, und eine Oma mit schlohweißem Haar sprach scherzend zu Pipa: „Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir. Da sind Sie sicher!“ Seine Frau, die das hörte und wieder an die Bedroher denken musste, fand das gar nicht so lustig.

Dann, vor einer Woche, der Anschlag auf Henriette Reker in Köln. Seitdem ruft die Polizei öfter bei Pipa an. Das läuft zum Beispiel so:

Polizei: „Sie machen ja Wahlkampf…“

Pipa: „Ja, was denn sonst?“

Pipa ist nämlich Spitzenkandidat seiner Partei bei der Kommunalwahl nächstes Jahr. Auf keinen Fall will er seinen Terminkalender im Wahlkampf ausdünnen, wie es ihm vorgeschlagen wurde. Auch die Idee der Polizei, er solle sich eine kugelsichere Weste zulegen, stößt bei ihm auf wenig Gegenliebe. Weil: „Die trägt ja auf!“ Das meint er ernst, seine Erklärung lautet, dass er Journalistenspott befürchtet. Nach dem Motto: Der Pipa ist ja fett geworden! Ziel solcher Sprüche zu werden, das sieht Erich Pipa, SPD, nicht ein. Er will ja gewinnen. Obwohl er 67 ist, denkt er nicht daran, es nun mal gut sein zu lassen. Wobei er, wie er in nochmal zehn schwachen Sekunden bekennt, nach dem zweiten Drohbrief schon gedacht habe: Was tue ich mir hier an? Aber der Gedanke war bald wieder weg. Der Landrat sagt folgenden Satz, der bei ihm tatsächlich echt klingt: „Arbeit ist mein Leben.“

Ein Landtagsabgeordneter bekam seine eigene Todesanzeige

Also arbeitet Pipa weiter, und seine Feinde beobachten ihn weiter. Dem Landrat fallen im Gespräch allerlei Kollegen ein, die auch schon bedroht wurden. Und das nicht öffentlich machten. Ein Landtagsabgeordneter fand seine eigene Todesanzeige in der Post. Er sagt, er habe sie der Polizei gezeigt, kurz darauf in den Müll geschmissen und weitergemacht. Pipa erzählt auch, dass in seinem Landkreis berüchtigte Rechtsradikale bei einer CDU-Politikerin zu Hause geklingelt hätten. Das Gesicht ihres Ehemannes sei zwar alt, hätten die gesagt, aber noch halbwegs intakt. Sie wolle doch, dass das so bleibe? Diese Männer, so Pipa, laufen zum Teil in Uniformen auf der Straße herum. Phantasieuniformen, militärischer Stil. In Hessen, ein paar Kilometer östlich von Frankfurt.

Es wird auf absehbare Zeit wohl nicht gemütlicher in Deutschland. Das Bundeskriminalamt drückt das so diskret wie möglich aus. Auf Anfrage heißt es, die Zahl der Straftaten gegen Asylunterkünfte steige stetig; in dem Zusammenhang gewinne die „Agitation zum Nachteil von vermeintlich Verantwortlichen wie zum Beispiel Politikern“ an Bedeutung. Auf Nachfragen kommen keine Antworten: „Bitte haben Sie Verständnis dafür.“ Darum bittet auch die Polizeidirektion Dresden bei Fragen zu Drohungen gegen Politiker. „Wir wollen das nicht noch stärker befeuern. Der Effekt der Trittbrettfahrerei ist zu befürchten.“ Das klingt ein bisschen wie bei Kindern, die gemobbt werden und nicht sagen wollen, wer der Täter ist, damit der nicht noch schlimmer mobbt.

Immerhin gibt ein Polizeisprecher Auskunft zu der Frage, warum eigentlich der Galgen für Merkel und Gabriel stundenlang durch Dresden getragen werden konnte, ohne dass die Polizei einschritt. Denn das ist ja, neben der Drohung selbst, ein großes Problem: dass der Hass dann für jeden zu sehen ist und jeder auch sieht, dass niemand was dagegen tut. Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen wegen des Verdachts auf Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten und der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten.

Der Galgen hat sich selbständig gemacht

Auf der Kundgebung seien etwa zweihundert Polizisten gewesen, sagt der Polizeisprecher. Die hätten den Galgen wohl nicht wahrgenommen. Er sei ja auch recht klein gewesen. Außerdem wurde es schon dunkel. Und außerdem sei es ja möglich, dass der Besitzer den Galgen nur ein- oder zweimal hochgehalten habe und den Rest der Zeit eben nicht. Irgendein Außerdem ist immer. Selbst wenn die Beamten den Galgen gesehen hätten, wäre abzuwägen gewesen, ob einkassieren oder nicht, weil eventuell „Solidarisierungsgeschichten“ drohen könnten. Also Hilfe für den Galgenmann.

Zum Trost sagt der Polizeisprecher: „Dass wir den Mann vor Ort nicht festnehmen, heißt nicht, dass er davonkommt.“ Sehr tröstlich ist das aber nicht, denn der Galgen hat sich längst selbständig gemacht. Im Internet sieht man ihn überall. Außerdem einen Galgen, vor den jemand Gesichter montiert hat: Merkel, Gabriel, Schäuble, Özdemir, Seehofer. Darüber steht: „Bitte nicht drängeln, jeder kommt dran!“
Besatzungsrecht-Amazon

Landrat Erich Pipa, SPD, gedenkt nicht, dranzukommen. Seiner Ansicht nach muss der Staat nun „Zähne zeigen“, so ungefähr wie Pipa selbst, nur eben in ganz Deutschland, nicht bloß im Main-Kinzig-Kreis. In seinem Landrat- und Ehemannleben will Pipa sich keineswegs einschränken lassen. Allerdings: „Die Polizei hält nichts von meinem Vorgehen.“ Das ist dann eben so. Pipa will sich nicht wichtig machen, aber er glaubt, dass Verschweigen nicht hilft. Die Leute sollen wissen, was mit den Politikern los ist. Das sind schließlich ihre Repräsentanten. Auch in Pipas Büro hat man sich an die Sonderlage inzwischen gewöhnt. Die Mitarbeiter erkennen schon die Schriftart, die auf den Umschlägen der Drohbriefe steht. Wenn sie die sehen, passen sie beim Öffnen besonders auf.
auxmoney.com - bevor ich zur Bank gehe!
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.10.2015

Dieser Beitrag wurde unter Aktuell, Geschichte, Kultur, Nachrichten, Politik, Soziales, StaSeVe Aktuell, Völkerrecht, Wirtschaft, Wissenschaft abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.
0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
2 Comments
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
stachelschwein
8 Jahre zuvor

80-90 % dieser nachrichten laufen wohl unter falscher flagge.denn wie sollten sich
diese politmarionetten,pfeifen und versager sonst noch interessant machen können?
wenn es denn wahr ist entsteht keine wirkung ohne ursache-von nichts kommt nichts

stachelschwein
8 Jahre zuvor

vermutlich nur ein vorwand,damit kriminelle schnüffler beim bürger spionieren können
was man ihm noch alles plündern kann.