Flüchtlingskrise in Österreich: Das große Chaos

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Von Björn Hengst

Slowenisch-österreichische Grenze (Archivbild): Streit in Wiener Regierung

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Slowenisch-österreichische Grenze (Archivbild): Streit in Wiener Regierung

Die Flüchtlingskrise belastet zunehmend die Große Koalition in Österreich: Die konservative Innenministerin bringt immer wieder einen Zaun an der slowenischen Grenze ins Spiel, die Sozialdemokraten lehnen genervt ab.

Sie will einen Zaun, er nur ein „Türl mit Seitenteilen“ – und der Dritte sagt, dass ein Zaun „Symbolpolitik ohne reales Substrat“ wäre. Ein Thema, drei Stimmen und drei Meinungen: Willkommen in der Politik von Österreichs Großer Koalition in der Flüchtlingskrise. Die Akteure: die Innenministerin, der Bundeskanzler und der Verteidigungsminister.

Während sich die Berliner Bundesregierung zuletzt mühsam auf einen Kompromiss in der Flüchtlingspolitik einigte, manövriert sich Österreichs Koalition aus Sozialdemokraten (SPÖ) und Konservativen (ÖVP) täglich tiefer in einen Streit.

Es geht bei dem Konflikt in Wien um ein heikles Thema: Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hatte „bauliche Maßnahmen“ an der österreichisch-slowenischen Grenze bei Spielfeld angekündigt. Dort kommen täglich Tausende Flüchtlinge an und stellen die Behörden vor große Herausforderungen. Schnell war die Debatte über einen Grenzzaun eröffnet und damit der Schlagabtausch über eine umstrittene Maßnahme von besonderem Symbolwert – ein Zaun, Signal der Abschottung.

Ungarns Premier Viktor Orbán wurde zuletzt zum Buhmann Europas, als er an der Grenze zu Serbien einen Stacheldrahtzaun hochziehen ließ, um weitere Zuwanderung in sein Land zu unterbinden. Jetzt also auch Österreich?

„Das können Zäune sein, was auch immer“

Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) rechnete mit den Ideen der Innenministerin ab: Ein Zaun bringe nichts, sei teuer und würde viel Personal binden. Das vernichtende Urteil des Sozialdemokraten: „Symbolpolitik ohne reales Substrat“. Er forderte stattdessen weitere Flüchtlingsübergänge zu Slowenien, um Spielfeld zu entlasten – und legte ein entsprechendes Konzept vor.

Seit Tagen betont die SPÖ zudem, dass es ohnehin nicht darum gehe, „mit dem Stacheldraht“ zu agieren, ein Zaun komme nicht infrage. Ein solcher Schritt würde auch in erheblichem Widerspruch zur Entscheidung von Kanzler Werner Faymann (SPÖ) vor wenigen Wochen stehen, als er in Absprache mit der deutschen Regierungschefin Angela Merkel Flüchtlinge aus Ungarn nach Österreich und Deutschland einreisen ließ.

Dennoch: Die österreichische Innenministerin lässt sich von den Absagen der SPÖ an einen Zaun nicht beeindrucken: Ein Zaun sei „nichts Schlechtes“, wenn es um Sicherheit gehe, sagte die ÖVP-Politikerin etwa am Mittwoch in der ARD-Talkshow „Anne Will“. Auch an diesem Freitag äußerte sie sich zu dem Konzept ihrer „baulichen Maßnahmen“, das in wenigen Tagen vorgestellt werden soll: „Das können Gitter sein, das können Sperrcontainer sein, das können Zäune sein, was auch immer“, sagte Mikl-Leitner laut einem Bericht des „Standard“ bei einem Besuch an der österreichisch-slowenischen Grenze. Es gehe aber lediglich darum, den Flüchtlingszuzug zu kontrollieren. Die geplanten Maßnahmen seien nicht mit dem Vorgehen Ungarns zu vergleichen.

Zahl der Asylanträge nimmt stark zu

Ähnlich wie Deutschland sieht sich auch Österreich wegen der anhaltend hohen Zahl von Flüchtlingen vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Von Januar bis September wurden dem Wiener Innenministerium zufolge 56.356 Asylanträge gestellt – das entspricht einem Anstieg von 231 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Das Kabinett hatte sich wegen der schwierigen Situation in Spielfeld zuletzt auf „technische Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich“ geeinigt. Mikl-Leitner sah sich daher offenbar ermutigt, von einem Zaun zu sprechen.

Die jüngste Kritik des Verteidigungsministers an Mikl-Leitner verschärft den Streit im Regierungsbündnis, dessen Rückhalt in der Bevölkerung zunehmend schwindet: ÖVP und SPÖ hatten zuletzt bei mehreren Landtagswahlen erhebliche Stimmenverluste hinnehmen müssen, wovon die rechtspopulistische FPÖ profitierte. Die ÖVP forderte Kanzler Faymann am Freitag laut dem „Standard“ dazu auf, den Minister „zur Kooperation und Ordnung zu rufen“. Es sei völlig unverständlich, dass dieser „eine gemeinsame Regierungslinie torpediert, nachdem erst letzte Woche die Prüfung von baulichen Maßnahmen beschlossen wurde“.

Ein solcher „Ordnungsruf“ vom Kanzler und SPÖ-Chef ist nicht zu erwarten. Die Sozialdemokraten hatten dem Verteidigungsminister wegen seines Vorstoßes nämlich zuletzt höchstes Lob ausgesprochen.

Der Streit in der österreichischen Regierung dürfte also weitergehen. Die rechtspopulistische FPÖ, in landesweiten Umfragen längst auf Platz eins, reagierte auf ihre Weise: Die Regierung, so Parteichef Heinz-Christian Strache, sei rücktrittsreif.

Quelle: Spiegel-online vom 06.11.2015

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