Teetrinken in Deutschland: Schwer gebeutelt

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Von Tom König

Teezeit: In Deutschland nur in Ostfriesland genießbar

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Teezeit: In Deutschland nur in Ostfriesland genießbar


Für Kaffeeliebhaber herrschen in Deutschland inzwischen paradiesische Zustände. Dumm nur, wenn man passionierter Teetrinker ist. Denn die haben hierzulande in der Gastronomie nichts zu lachen.

Neulich, am Kölner Hauptbahnhof, kaufte ich mir einen Schwarztee to go. Während ich auf meinen ICE wartete, nippte ich vorsichtig. Das Heißgetränk war nicht sehr heiß, und so nahm ich einen kräftigen Schluck.

Mit einem lauten „Wuäch“ gab ich einen Schwall der Brühe von mir – nebst vieler kleiner Krümel. Mein Schwarztee hatte ein penetrantes Vanillearoma – und einen undichten Beutel.


Bedauerliche Ausnahme? Nein, mein täglich Brot. Ich gehöre zu einer schwerstbenachteiligten Minderheit: Ich bin Teetrinker. Und das ist in Deutschland wahrlich kein Spaß.Ein passabler Kaffee lässt sich inzwischen überall auftreiben, mehr noch: In Großstädten kann man kaum noch irgendwo hingehen, ohne dass einem umgehend eine Tasse manufakturgerösteter reinsortiger Arabica aufgedrängt wird.

Aber was ist mit Tea?

So viele Arten, einen Tee zu töten

Man soll sich vor Pauschalurteilen hüten, aber da mir bei dem Thema wirklich der Teebeutel platzt, fälle ich jetzt trotzdem eines: Deutsche Gastronomen können keinen Tee.

Man sollte meinen, dessen Zubereitung sei nicht schwierig. Schwarztee, zum Beispiel: Tun Teeblätter in Tasse. Gießen beinahe kochendes Wasser drauf. Machen ziehen lassen. Fertig sein.

Was ist daran so kompliziert? Offenbar einiges, denn egal wo ich hingehe – was man mir vorsetzt, mag in Form und Farbe leicht variieren, ist letztlich jedoch immer: Brackwasser. Oh, wie viele Möglichkeiten es gibt, Tee zu töten! Deutschlands Gastronomen kennen sie alle. Um nur die Klassiker zu nennen:

  • Ich bestelle ein Kännchen Darjeeling. Fünfzehn Minuten steht es auf der Theke, bis der Kellner sich bequemt, es zu bringen. Der Teebeutel liegt daneben. Ich könnte ihn jetzt in die Kanne hängen. Ich könnte aber auch aufs Klo gehen und den Beutel dort unter den Wasserhahn halten. Das Ergebnis wäre geschmacklich dasselbe.
  • Wie oben. Nur dass der Teebeutel von Anfang an im Kännchen war und ich statt Darjeeling nun erstklassigen Pinselreiniger habe.
  • Der Teebeutel landet im heißen Wasser und wird umgehend serviert – nur leider in einer überdimensionierten Milchkaffeeschale, in der Getränke schneller auskühlen als ein Vierjähriger in der Nordsee.

Eine Zeitlang ging ich dazu über, Grüntee zu bestellen, weil der mit lauwarmem Wasser zurechtkommt. Doch immer wenn ich das tat, wurde der Tee mit siedendem Wasser überbrüht. Also wieder: Brackwasser.

Hinzu kommt, dass grüner Tee in Restaurants seltsamerweise immer aromatisiert daherkommt. Im besten Fall schmeckt er nach Zitrone. Ich hatte aber auch schon Grüntee Ananas oder Grüntee Mandarine.

Überhaupt, Aromen, ihr Gastronomen: Ist euch eigentlich bewusst, dass es viele verschiedene Teesorten gibt? Dass Darjeeling nicht dasselbe ist wie Assam? Und dass man jemandem, der einen schwarzen Tee bestellt, niemals ungefragt Earl Grey auftischen sollte? Das ist nämlich so, als ob ein Kunde einen Kaffee ordert und Ihr ihm ungefragt Lebkuchensirup hineinschüttet.

Was bloß ist der Grund für diese flächendeckende Tee-Inkompetenz? Sind wir Teetrinker eine derart kleine Minderheit, dass sich die Mühe für uns nicht lohnt?

Ich vermute eher ein kulturelles Phänomen. Schon Heinrich Heine wusste, dass Tee ein Getränk für Menschen mit Feinsinn ist:

Sie saßen und tranken am Teetisch,
und sprachen von Liebe viel.
Die Herren, die waren ästhetisch,
die Damen von zartem Gefühl.

Möglicherweise ist dem Deutschen, dieser von Natur aus groben Leberwurst, die Sache mit dem Tee deshalb einfach nicht beizubringen – zu nuancenreich, zu subtil, kurz: zu ungermanisch.

Da hilft wohl nur, auf Kaffee umzusteigen oder auszuwandern. Entweder nach China oder in die einzige Gegend Deutschlands, die etwas von Tee versteht: nach Ostfriesland.

Quelle: Spiegel-online vom 18.11.2015

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