Handelt es sich beim IS im Nordirak um eine wahhabitische Kolonie Saudi-Arabiens?

18.12.2015
Tony Cartalucci

Der ideologische Quellcode des Islamischen Staates (IS) findet sich auch bei den amerikanischen Verbündeten in Riad. Vor Kurzem trafen so genannte »syrische Rebellen« in der zweiten Dezemberwoche zu einer Konferenz in Saudi-Arabien zusammen. Zu den Teilnehmern gehörte ein Sammelsurium zerstrittener, im Ausland lebender »Oppositions«-Führer sowie Kommandeure verschiedener in Syrien kämpfender militanter Gruppen wie etwa die Ahrar al-Scham und die Dschaisch al-Islam, die beide der mit al-Qaidaverbundenen Al-Nusra-Front zugerechnet werden, die seit 2012 vom amerikanischen Außenministerium als »ausländische terroristische Organisation« eingestuft wird.


Die BBC berichtete unter der Überschrift »Syrien-Konflikt: Zerstrittene Opposition beginnt Einheitsgespräche in Riad«:

»Mehr als 100 syrische Rebellen und Politiker der syrischen Opposition treffen in Riad zusammen, um zu versuchen, eine Einheitsfront für mögliche Friedensgespräche zu bilden.

Zu Beginn der Konferenz in der saudischen Hauptstadt Riad schlug eine der einflussreichsten Rebellengruppen einen kompromisslosen Ton an. Die Ahrar al-Scham beharrte darauf, Präsident Baschar al-Assad müsse vor Gericht gestellt werden. Die Gruppe kritisiert darüber hinaus die Anwesenheit von aus Syrien kommenden, von Assad tolerierten Oppositionsvertretern und das Fehlen mit al-Qaida verbundener Gruppen des Landes.«

Ahrar al-Scham fordert also mit anderen Worten unverblümt die Beteiligung der al-Qaida zugerechneten Al-Nusra-Front bei den Gesprächen in Riad und zeigte damit zusammen mit Dschaisch al-Islam, der einzigen anderen militanten Gruppe, die von der BBC namentlich als Konferenzteilnehmer genannt wurde, unverhohlen, dass es sich bei der gesamten so genannten »Opposition« um direkte Verbündete oder sogar Teile von al-Qaida handelt, die an der Seite von al-Qaida kämpfen und sie auch politisch außerhalb der Kämpfe unterstützen.

Ahrar al-Scham und Dschaisch al-Islam sind Teil des großangelegten amerikanischen und saudi-arabischen »Hütchenspiels«, bei dem sie Al-Qaida-Terroristen unter einer Vielzahl unterschiedlicher und sich immer wieder ändernden Bezeichnungen und Frontorganisationen ausbilden, finanzieren und unterstützen. Als Folge dieser Unterstützung gelang al-Qaida und dem IS ein ansonsten unerklärlicher Aufstieg und weitgehende Dominanz auf den Kampfschauplätzen, ganz zu schweigen vom gigantischen und stetigen Zustrom von den USA bereitgestellter Waffen und Fahrzeuge, die al-Qaida »ungewollt in die Hände fielen«.

Der Aufstieg al-Qaidas in Syrien war von Anfang an das Ziel

Schon die Gründung al-Qaidas war ein Gemeinschaftsprodukt amerikanisch-saudischer geopolitischer Ambitionen. Die Moslembruderschaft, die in Syrien unter Hafiz al-Assad, dem Vater und Amtsvorgänger des jetzigen Präsidenten, zerschlagen und praktisch vernichtet worden war, wurde von den USA und Saudi-Arabien neu organisiert und nach Afghanistan geschickt, um dort in den 1980er Jahren einen Stellvertreterkrieg gegen die Sowjetunion zu führen, deren Streitkräfte im Dezember 1979 in Afghanistan einmarschiert waren.

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Seit jener Zeit waren diese »Mudschaheddin« wie durch glücklichen Zufall praktisch auf jedem Konfliktschauplatz und in jeder Region aktiv, in der die USA ihren Einfluss verstärken wollten, sei es nun auf dem Balkan und in Tschetschenien oder sogar im Nahmittelosten und Nordafrika (MENA) oder selbst in so entlegenen Regionen wie Südostasien.

Während der Besetzung des Iraks durch die USA trug al-Qaida entscheidend dazu bei, die irakische Bevölkerung zu spalten und gegeneinander aufzuhetzen, und vereitelte so die Entstehung einer vereinigten schiitisch-sunnitischen Front gegen die Besatzer. Saudi-Arabien finanzierte Terroristen, die aus der gesamten MENA-Region, darunter auch aus der heute berüchtigten Terrorhauptstadt Libyens, Bengasi, stammten. Sie wurden über das NATO-Mitglied Türkei mithilfe der späteren syrischen Opposition über syrisches Territorium geschleust und landeten schließlich im Irak.
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2007 wurde enthüllt, dass die USA und Saudi-Arabien offen darangingen, diese Terroristen ein weiteres Mal, und zwar diesmal zum Sturz der syrischen und der iranischen Regierung, einzusetzen. Der renommierte investigative Journalist und Pulitzer-Preisträger Seymour Hersh schilderte in seinem 2007 veröffentlichten Artikel mit der Überschrift»The Redirection«Die Neuausrichtung«) ausführlich nicht nur die vorausgegangenen Planungen, sondern warnte vor einem durch religiöse Spannungen ausgelösten Blutbad, das mit fast hundertprozentiger Sicherheit die Folge sein würde.

Als dann 2011 die ersten Schusswechsel im syrischen Konflikt erfolgten, war denjenigen, die al-Qaida seit Langem beobachten, von Anfang an klar, dass sich die Prophezeiung Hershs nun leider erfüllte. Seit 2011 ist dieses auf religiös sektiererische Streitigkeiten zurückgehende Blutbad, das er schon 2007 kommen sah, schreckliche Wirklichkeit geworden. Und es war keine Frage, dass sich nach der vorsätzlichen Manipulation der rasch an den Rand gedrängten authentischen syrischen Opposition al-Qaida als der von jeher beherrschende Faktor des »Widerstands« erweisen würde.

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Und wie sich aus der Einschätzung des amerikanischen Außenministeriums, bei der Al-Nusra-Front handele es sich um eine ausländische terroristische Organisation, ergibt, war von Anfang an klar, dass al-Qaida landesweit operieren würde. In der Erklärung des Außenministeriums heißt es:

»Seit November 2011 hat die Al-Nusra-Front nach eigenen Angaben fast 600 Angriffe bzw. Anschläge durchgeführt. Sie reichen von mehr als 40 Selbstmordanschlägen bis hin zu Aktionen mit Kleinwaffen und so genannten unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (IED) in größeren Zentren von Städten wie Damaskus, Aleppo, Hama, Dar‘a, Homs, Idlib und Deir ez-Zor. Diese Anschläge forderten zahlreiche Todesopfer in der syrischen Zivilbevölkerung. Mit diesen Anschlägen und Angriffen versuchte die Al-Nusra-Front, sich als legitime syrische Opposition zu präsentieren, während es sich doch in Wirklichkeit um den Versuch von al-Qaida im Irak (AQI)handelt, die Konflikte der syrischen Bevölkerung für ihre eigenen bösartigen Zwecke auszunutzen.«

Vor allem das letzte Argument ist interessant, da nicht nur das amerikanische Außenministerium behauptet, die Al-Nusra-Front versuche, sich als Teil der legitimen syrischen Opposition zu präsentieren. Auch viele Gruppen, die nach amerikanischer Sicht zur legitimen Opposition zählen,haben ebenfalls erklärt, die Al-Nusra-Front gehöre zu ihnen.
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Der Aufstieg der Al-Nusra-Front und des IS war nicht die Folge unerwarteter negativer Resultate der amerikanischen Außenpolitik in Syrien, sondern vielmehr das gewünschte Ergebnis dieser amerikanischen Außenpolitik.

Hersh argumentiert in seinem Artikel, die Bemühungen der USA und Saudi-Arabiens, eine bewaffnete Opposition in Syrien aufzubauen, mit deren Hilfe die syrische Regierung gestürzt werden könnte, würden vorhersehbar zur »Stärkung extremer sunnitischer Gruppen führen, die eine militante Vision des Islam vertreten und Amerika feindlich gesonnen sind, al-Qaida aber wohlwollend gegenüberstehen«.

Und genau so ist es gekommen.

Der IS ist eine wahhabitische Kolonie

Nachdem 2011 der Versuch, Syrien gleich in der Anfangsphase des Stellvertreterkrieges zu überwältigen, gescheitert war, wurde die »Dekonstruktion« Syriens zum Alternativziel. Im Zentrum der westlichen Politik stehen gegenwärtig offensichtlich die Bestrebungen, im erweiterten Konfliktgebiet zwei Regionen als eigenständige Akteure zu etablieren: eine kurdische Region im Nordirak, die vom Kurdenführer Masud Barzani kontrolliert wird, der als wichtigster Handlanger amerikanischer Interessen in der Region gilt, und eine von den Saudis, Katar und der Türkei kontrollierte Einflusssphäre, in der al-Qaida die dominierende Kraft ist. Ein gespaltenes und geschwächtes Syrien würde immer noch seinen Zweck erfüllen, den Iran weiter zu isolieren und seinen Einfluss in der Region zu schwächen.

Im Verlauf der letzten Jahrzehnte hat sich Saudi-Arabien immer als gefügiger Klientelstaat der USA erwiesen. Würde es gelingen, einen ähnlichen, wenn vielleicht auch geringeren Abhängigkeitsstatus in Syrien und dem Irak herbeizuführen, wäre das aus amerikanischer Sicht ideal. Einen saudisch- katarisch-türkischen Einflussbogen vom Schwarzen Meer bis zum Persischen Golf zu etablieren, ist für die USA ebenso erstrebenswert wie es ein schiitischer Einflussbogen für Syrien, die Hisbollah im Libanon, den Iran und Russland ist.

In diesem Zusammenhang dient der IS als Mittel, um Teile des Iraks und Syriens mit der gleichen vergifteten Ideologie zu »kolonisieren«, die seit langer Zeit in Riad vorherrscht: dem Wahhabismus, einer extrem rückständigen und fundamentalistischen Perversion des Islam, die seit dem 18. Jahrhundert der Sicherung der Herrschaft des Hauses Saud dient.

Der Wahhabismus sollte seine Anhänger indoktrinieren und vom Mehrheits-Islam abgrenzen. Der wichtigste Unterstützer Muhammad ibn ʿAbd al-Wahhābs und seiner Anhänger (der Wahhabiten) war [seit dem Bündnis zwischen dem Emir Muhammad ibn Saud und al-Wahhab aus dem Jahr 1744] das Haus Saud, dem es gelang, über Eroberungen und Unterwerfungen seine seitdem anhaltende regionale Vorherrschaft zu festigen. Der Wahhabismus erlaubt grausames Verhalten, Gewalt und Krieg und wurde mehrheitlich vom Islam abgelehnt und sogar teilweise verboten. In den Nachbarländern konnte er sich (mit Ausnahme Katars) kaum durchsetzen.

Der Wahhabismus diente seitdem dazu, zusätzlich zur breiten Masse der Untertanen des Hauses Saud gehorsame, bereitwillige Extremisten heranzuziehen, die bereit waren und sind, blind für die eigennützigen Interessen Saudi-Arabiens zu kämpfen und zu sterben. Mit ihrer Hilfe gelingt es den Saudis und ihren Unterstützern in der Wall Street und in Washington bis heute einerseits, ihre Macht innerhalb der Grenzen Saudi-Arabiens zu behaupten, andererseits aber auch weitreichenden Einfluss über die Landesgrenzen hinaus auszuüben.

So gesehen repräsentiert der IS praktisch das »Exportprodukt« dieser vergifteten Ideologie, und zwar nicht in Form einer schemenhaften Terrorgruppe, sondern als regelrechte Armee und »Staatswesen«. Die Ähnlichkeiten zwischen dem IS und dem Hause Saud sind selbst bei oberflächlicher Betrachtung kaum zu übersehen.

Saudi-Arabien vollstreckt Enthauptungen an Straftätern aller Art, auch der IS bestraft alle möglichen Straftäter auf diese Weise. Saudi-Arabien duldet keinerlei Opposition, das Gleiche gilt für den IS. Frauen, Minderheiten und politische Gegner genießen keinerlei Menschenrechte in Saudi-Arabien und ebenso wenig im Herrschaftsgebiet des IS. Lässt man einmal die geografische Lage außer Acht, kann man die beiden nur sehr schwer unterscheiden. Die Tatsache, dass Saudi-Arabien und der IS in politischer, finanzieller, ideologischer und strategischer Hinsicht praktisch unentwirrbar miteinander verbunden sind, untermauert die Einschätzung, dass es sich bei dem so genannten Islamischen Staat tatsächlich um eine wahhabitische Kolonie handelt.

Weit schwerer als diese oberflächliche Untersuchung oder sogar als Rückschlüsse, die sich aus den offensichtlichen Logistikverbindungen ergeben, die zum NATO-Mitgliedsland Türkei und Saudi-Arabien selbst führen, wiegt die Tatsache, dass bereits 2012 offizielle Dokumente des amerikanischen Militärgeheimdienstes DIA offen einräumten:

»Wenn die Lage sich entwirrt, besteht die Möglichkeit, dass ein erklärtes oder unerklärtes salafistisches Hoheitsgebiet im Osten Syriens (Hasaka oder Deir ez-Zor) ausgerufen wird. Dies ist genau das, was die Mächte, die die Opposition [in Syrien] unterstützen, anstreben. Sie wollen das syrische Regime isolieren, da es für die schiitische Expansion (im Irak und Iran) als strategisch hoch bedeutsam gilt.«

Um keinen Zweifel daran zu lassen, um wen es sich bei den »Mächten, die die Opposition unterstützen« handelt, stellt der DIA-Bericht klar:

»Der Westen, die Golfstaaten und die Türkei unterstützen die Opposition, während Russland, China und der Iran das Regime [in Damaskus] unterstützen.«

Es bestätigt sich immer mehr, dass – ähnlich wie bei den Planungen seit 2007 im Zusammenhang mit dem Aufstieg von al-Qaida in Syrien – die Entstehung eines »salafistischen« (islamischen) Hoheitsgebietes (Staates) von den USA und ihren Verbündeten, darunter an vorderster Stelle die Türkei und Saudi-Arabien, geplant war und auch umgesetzt wurde, wobei die Türkei logistische Unterstützung leistete und Saudi-Arabien sozusagen den ideologischen »Quellcode« lieferte.

Und denjenigen, die sich nun fragen, warum die USA seit mehr als einem Jahr in Syrien angeblich Luftangriffe fliegen, um »gegen den IS« zu kämpfen, ohne dabei allerdings substanzielle Erfolge zuerzielen, liefert die Tatsache, dass die USA vorsätzlich den IS geschaffen haben, um Syrien zu zerschlagen, vielleicht eine einleuchtende Erklärung. Denn es liegt im Interesse der USA, die Zerschlagung der Terrormiliz so lange wie möglich heraus zu zögern, bis dieses Ziel erreicht ist.

Und denjenigen, die sich die Frage stellen, warum Russland und das Regime in Ankara gerade zu einem Zeitpunkt kurz vor einem Krieg stehen, an dem die Versorgungslinien des IS in der Nähe der türkischen Grenze zu Syrien bedroht sind, erscheint die Tatsache, dass die Türkei diese Versorgungslinien geschaffen und außerordentliche Maßnahmen zu ihrer Aufrechterhaltung ergriffen hat, vielleicht auch als eine plausible Antwort.

Aber vielleicht fragen sich einige auch, warum Saudi-Arabien offensichtliche Komplizen al-Qaidas in seine Hauptstadt Riad einlädt, um dort an einer Konferenz über die Zukunft Syriens teilzunehmen.

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Das hängt vor allem damit zusammen, dass Saudi-Arabien von Anfang an eine führende Rolle dabei gespielt hat, al-Qaida als Mittel zur Einflussnahme auf die zukünftigen Entwicklungen in Syrien aufzubauen und einzusetzen. Und an diesen Machenschaften ist Saudi-Arabien eindeutig immer noch stark beteiligt, während die USA darin offenbar keinen Grund zur Sorge zu erkennen vermögen.

Kopp Verlag


Quelle: Kopp-online vom 18.12.2015

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