WikiLeaks-Sprecher: „Whistleblower werden von Tag zu Tag wichtiger“

Für Informationen zu TTIP hat WikiLeaks eine Belohnung von 100.000 Euro ausgelobt. 70 Prozent der Summe sind schon beisammen: Gespendet haben unter anderem Yannis Varoufakis, Vivienne Westwood, Slavoj Žižek und Terry Gilliam. Wie es mit der Enthüllungsplattform weiter gehen soll – im Sputniknews-Interview mit WikiLeaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson.

Wikileaks bietet nun eine Art Kopfgeld auf Informationen zu TTIP an. 100.000 Euro. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Wir dachten schon immer, dass Whistleblower schlecht entlohnt werden. Und wenn sie Informationen liefern, begeben sie sich häufig in Gefahr. Wir versuchen natürlich, eine sichere Möglichkeit der Informationsübermittlung an uns und somit an die Öffentlichkeit anzubieten. Wir dachten, es wäre eine gute Idee, finanzielle Gegenleistungen für besonders wichtige Informationen anzubieten. Damit möchten wir auch die Bedeutung davon hervorheben, dass diese Informationen öffentlich bekannt werden. Die Geheimniskrämerei um ein derart wichtiges Abkommen ist inakzeptabel und  undemokratisch.

Und wieso gerade zu TTIP? Könnten sie das genauer erklären?

Wenn ich sage, dass TTIP undemokratisch ist, beziehe ich mich natürlich auf das Vorgehen im Arbeitsablauf. Es ist nicht akzeptabel, dass solche wichtigen Dokumente und ein Abkommen, dass die Allgemeinheit so stark beeinflusst, im Verborgenen verhandelt wird. Der Grund, warum wir uns jetzt auf TTIP konzentrieren, ist einfach, weil wir ohnehin schon Teile von zwei anderen Abkommen veröffentlicht haben.

WikiLeaks
© Foto: Jagz Mario

Diese werden gerade in verschiedenen Stadien verhandelt. Eins ist TiSA, das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, das auf den Dienstleistungssektor abzielt. Das andere ist TPP die Transpazifische Partnerschaft, dabei handelt es sich um ein Abkommen zwischen 12 pazifischen Nationen. TPP ist ein Wegbereiter und befindet sich in den letzten Phasen und TTIP, die atlantische Variante, nimmt es sich zum Vorbild.

Wir haben auch versucht, den Fakt hervorzuheben, dass alle diese Abkommen gemeinsam bewertet werden müssen. Sie sind alle Teil von ein und derselben globalen Strategie, die von den USA durchgedrückt werden soll. Sie werden alle im Geheimen verhandelt. Bei allen gibt es absolut keinen Zweifel an der Tatsache, dass sie darauf abzielen, große Unternehmen zu begünstigen, auf Kosten der Konsumenten, der Gesundheit und der Umwelt. Also dadurch, dass wir uns jetzt auf TTIP konzentrieren, hoffen wir, dass bekannt wird, dass es sich bei TTIP im Gesamten um — wie Hillary Clinton schon gesagt hat — die ökonomische Version der NATO handelt. Das sagt schon alles.

Es ist Teil eines Zusammenschlusses von zwei Dritteln des Weltmarktes mit den Vereinigten Staaten im Zentrum, der aber sehr wichtige wachsende Wirtschaften ausschließt, aus politischen und wahrscheinlich militärischen Gründen. Zum Beispiel China, Brasilien, Indien, Südafrika und natürlich Russland, die BRICS-Staaten.

Viele Jahre nun war es nicht möglich, Informationen an WikiLeaks zu online zu übermitteln. Woran lag das und was hat sich geändert, dass die Plattform nun wieder funktioniert?

Das neue Einreichungssystem wurde letzten Winter fertig gestellt und ist nun seit einiger Zeit geöffnet. Wir haben schon einiges an Information durch diesen neuen Informationszugang erhalten. Wir mussten es für unterschiedliche Gründe seit Längerem geschlossen halten. Zum einen war das alte System nicht sicher. Diese Systeme müssen sehr regelmäßig aktualisiert werden. Zum anderen waren wir mit unserer Arbeit überwältigt und durch die Bankenblockade gegen uns von all unseren Spenden abgeschnitten. Uns fehlten also die Mittel, diese großen Datenmengen zu verarbeiten. Nun sind wir wieder mit aller Kraft dabei und funktionieren wieder total. In den letzten Monaten haben wir die Dokumente aus dem saudischen Außenministerium veröffentlicht, NSA-Spionage-Dokumente die sich auf befreundete Regierungen bezogen, das deutsche Kanzleramt und deutsche Wirtschaftsangelegenheiten, die brasilianische Regierung und die japanische Regierung. Und das sind nur ein Paar der Dinge, die in den letzten Monaten passiert sind. Wir waren die wichtigste Bezugsquelle von Rohinformationen bezüglich der T-Abkommen TiSA, TPP und TTIP, und das wollen wir beibehalten.“

Wenn Sie sagen, sie wollen das beibehalten, was sind ihre weiteren Zukunftspläne für WikiLeaks?

Nun, wir werden weiterhin versuchen, unter diesen schwierigen Umständen zu überleben. Die USA ermittelt immer noch gegen uns, vor einer geheimen Grand Jury in Alexandria, Virginia, mit dem offensichtlichen Ziel, Klage gegen Julian Assange und einige andere WikiLeaks-Beschäftigte zu erheben.  Wir sind aber überzeugt davon, dasselbe zu tun, was wir bis jetzt gemacht haben, davon eine Plattform für Informationen zu sein, die unterdrückt wird und die um einer gesunden Demokratie willen veröffentlicht werden muss.

Wie wichtig sind Whistleblower in unserer Zeit?

Whistleblower werden von Tag zu Tag wichtiger, weil wir uns mit mehr und mehr Geheimhaltung konfrontiert sehen, sowohl im Unternehmensbereich als auch im Regierungsbereich. Gleichzeitig sehen wir einen Trend dazu, im Grunde genommen Krieg gegen Whistleblower zu führen. Das gilt besonders für die Vereinigten Staaten, wo schwere Strafen auf jene warten, die auspacken, und es gibt Menschen, die deswegen leiden müssen. Aber das wird die Whistleblower nicht stoppen, denn es gibt genügend Leute, die den Mut und die Integrität haben, um das Richtige zu machen. Wenn die sich mit Ungerechtigkeit konfrontiert sehen, wenn sie Fehlverhalten auf der Arbeit sehen, dann werden sie auspacken. Durch Wikileaks können sie dies anonym und sicher machen. Manche nutzen die Chance, hervorzutreten, und wir haben immer versucht, sie durch unsere Courage Foundation zu unterstützen, so wie Edward Snowden und all die anderen Whistleblower. Sie sind extrem wichtig in unserer Zeit, und das ist die Reflexion dieser schwierigen Situation, in der wir uns befinden.

Einige der Anklagen gegen Julian Assange sind jetzt fallen gelassen worden, könnte das seine Situation verbessern?

Erst einmal möchte ich klarstellen, dass Julian nicht angeklagt worden ist.  Es handelt sich hier um Anschuldigungen, die untersucht werden, und bis jetzt wurde noch keine Klage gegen in vorgebracht. Es stimmt, dass drei der vier Vorwürfe nun verjährt sind, die Untersuchungen in diesen Fällen werden nun eingestellt. Wir hoffen, dass dies heißt, dass der letzte Fall auch fallengelassen wird, weil er unbegründet ist. Es ist aber natürlich sehr enttäuschend, dass die schwedische Staatsanwältin Jahre und Jahre gewartet hat, ohne dass der Fall, durch ein formelles Verhör von Julian in London, vorangekommen ist. Es ist total unverständlich, warum dies so passiert ist. Vor allem angesichts der Tatsache, die jüngst bekannt geworden ist: Im selben Zeitraum, in dem die schwedische Staatsanwaltschaft sich geweigert hat, Julian in London zu interviewen,  hat sie 44 Verdächtige und Zeugen in London vernommen. Es ist also unverständlich, warum all diese Zeit verziehen konnte, ohne dass der Fall vorwärts ging. Die vollständige Schuld daran, dass sich dieser Fall so lange hinzieht, liegt bei der schwedischen Staatsanwaltschaft.

Interview: Bolle Selke

Quelle: Sputnik vom 17.08.2015

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