Flüchtlinge – Bundesland im Krisenmodus

 

Angesichts der hohen Zahl von Asylbewerbern läuft in Baden-Württemberg einiges schief. Da werden Flüchtlinge geschickt, ohne den Bürgermeister zu informieren. Einwände der Kommunen finden wenig Rücksicht.

19.08.2015, von Rüdiger Soldt, Donaueschingen

© Rüdiger Soldt Flüchtlinge in der ehemaligen Kaserne in Donaueschingen

In Donaueschingen ist bei der vorläufigen Flüchtlingsunterbringung viel schief gelaufen. Der Oberbürgermeister erfuhr erst von der Ortsfeuerwehr, dass Flüchtlinge in seine Stadt kommen würden. Eigentlich sollte es auch eine Informationsveranstaltung für die Bürger geben, bevor die ersten Feldbetten in der ehemaligen Kaserne der deutsch-französische Brigade aufgeschlagen wurden. Und dann mussten das Regierungspräsidium Freiburg und die grün-rote Landesregierung statt der ursprünglich angekündigten hundert Flüchtlinge auch noch mehr als 300 in die zweitgrößte Stadt im Schwarzwald-Baar-Kreis schicken.

Seitdem die Landesregierung einen Lenkungsausschuss zur besseren Organisation der Flüchtlingsunterbringung eingesetzt hat, nimmt man auf Einwände der Kommunen weniger Rücksicht. In Stuttgart müssen vorübergehend etwa 500 Flüchtlinge in einem Nebenraum der Hanns-Martin-Schleyer-Halle untergebracht werden, in Bad Saulgau sollen Feldbetten in einer Schule aufgestellt werden, in Herrenberg will die Landesregierung ein früheres Schulungszentrum der Computerfirma IBM für die vorläufige Flüchtlingsunterbringung herrichten. Andernorts sind schon Zeltstädte aufgebaut und Turnhallen belegt worden. Die Vereine fürchten sogar schon, dass die Fasnet in den Stadthallen abgesagt werden könnte und dass nach den Schulferien, die in Baden-Württemberg erst Anfang September zu Ende gehen, der Sportunterricht ausfallen könnte.

Die NPD versucht vielerorts, von der Situation politisch zu profitieren, sie will nur wenige Meter entfernt von der Landeserstaufnahmestelle (LEA) in Meßstetten demnächst eine neue Landesgeschäftsstelle einrichten. Es ist eine Situation eingetreten, die Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) immer verhindern wollte. Aber dennoch begegnen die Bürger angesichts der Lage den Problemen immer noch mit Geduld und grundsätzlich viel Verständnis.

Vielleicht hat das mit dem Wohlstand des Landes zu tun, der viele Bürger demütig macht, wenn sie aus den Medien täglich von dem Leid in den Krisenregionen der Welt erfahren. Vielleicht auch damit, dass – anders als zu Beginn der neunziger Jahre – die Baden-Württemberger heute aus ihrem Alltag schon wissen, dass sie in einer multiethnischen Gesellschaft leben. Vielleicht liegt es auch an der im Südwesten tief verwurzelten Tradition des Ehrenamtes, der Überzeugung, dass man, ohne lange zu fragen, in Not geratenen Menschen helfen muss.

Angesichts der Schwierigkeiten der grün-roten Landesregierung, der Lage Herr zu werden, bleibt die Stimmung auf einer Bürgerversammlung in den Donauhallen von Donaueschingen über zweieinhalb Stunden zivil und größtenteils sachlich. Die Stadt fürchtet vor allem, dass der Konversionsprozess, also die Umwandlung der Kaserne für eine zivile Nutzung, nun auf Jahre gestört werden könnte. Ältere Bürger hingegen haben noch Erinnerungen an aus Marokko stammende französische Soldaten, die sich nicht immer ganz vornehm benommen haben sollen in der Stadt am Rande des Schwarzwalds. „Zahm“ sei die Bürgerversammlung gewesen, sagt Wolf-Dietrich Hammann, der Ministerialdirektor des baden-württembergischen Integrationsministeriums, als er zu später Stunde in seinen Dienstwagen steigt. Allerdings musste sich Hammann gleich zu Beginn der Bürgerversammlung von Oberbürgermeister Erik Pauly (CDU) eine harsche Standpauke halten lassen und sich schließlich für das Vorgehen der Regierung entschuldigen: „Wir sind im Krisenmodus, die Kommunikation war missglückt, wir haben derzeit kein geordnetes Verwaltungshandeln, dafür entschuldige ich mich.“

Flüchtlingen schnell ein geregeltes Leben ermöglichen

Die Fragen der Bürger sind kritisch. Ihre größte Sorge ist, nicht aufrichtig informiert zu werden über Umfang sowie Dauer der Unterbringung. Die Kaserne wurde erst kürzlich von den französischen Soldaten verlassen und eignet sich deshalb hervorragend zur vorläufigen Unterbringung von Flüchtlingen. Deshalb will die Regierung sich nicht auf eine feste Belegungszahl festlegen. „Ich garantiere ihnen, in ein paar Monaten werden 1000 Flüchtlinge da sein, nur warum kann man uns das nicht sagen“, fragt ein Donaueschinger.

„Unser Leben verändert sich, unsere Stadt verändert sich, und es wird wieder nicht gesagt, wie lange die bleiben“, klagt sogar eine ehrenamtliche Flüchtlingshelferin. Ein anderer Bürger sagt, auch Donaueschingen sei „multikultifähig“. Mehrmals wird gefragt, ob die Polizei mit ihrem kleinen Revier in der Lage sei, eine Schlägerei in der Flüchtlingsunterbringung zu befrieden. Der Polizist antwortet, die Personalstärke sei lageabhängig. Für die Bürger ist das unbefriedigend. Als sich ein Mann, der sich als ehemaliger Mitarbeiter des Freiburger Regierungspräsidiums ausgibt, über das „heilige Bild vom Asylbewerber“ auslässt und gleich Drogendelikte und Kriminalität unterstellt, ruft ein anderer Teilnehmer der Bürgerversammlung „Schluss jetzt“ dazwischen.

Ein Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes nimmt den Vorwurf auf und sagt, von Drogen wisse er nichts. „Wir mussten den Leuten Schmerzmittel ausgeben, weil es vielen schlecht ging.“ Wer in die ehemalige Kaserne in der Friedhofstraße fährt, der sieht ein Flüchtlingsheim, das auch von ehrenamtlichen Helfern innerhalb einer Woche hergerichtet worden ist. Im früheren Gesellschaftsraum der französischen Soldaten steht neben dem künstlichen Kamin jetzt eine Schultafel. Der Iraker Majuf Hantosch unterrichtet Deutsch. Er hat 1972 in der DDR studiert und ist jetzt aus seinem Land geflüchtet.

Unter dem Dach wurde ein Spielzimmer eingerichtet, in dem Kinder und Jugendliche Monopoly spielen. „Children Paradise“ haben die Helfer mit Fingerfarbe an die Wand gemalt. Omar und Moutaz haben mit farbigen Handabdrücken signiert. In den zwei Kasernenhäusern leben fast nur syrische Kriegsflüchtlinge. Von den 300 Flüchtlingen ist ein Drittel noch im Kindesalter. „Wir versuchen“, sagt Servet Gürbiz von der Firma „Caring Hand“, die die Unterkunft aufgebaut hat, „den Flüchtlingen schnell ein geregeltes Leben beizubringen.“

Quelle: F.A.Z.vom 19.08.2015

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