„Spürbarer Wandel“ – Kippt die Stimmung? Das erleben Flüchtlingshelfer nach der Silvesternacht in Köln

Donnerstag, 14.01.2016, 22:47 · von FOCUS-Online-Autorin Ida HaltaufderHeide 

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dpa/Kay NietfeldHelfer versorgen wartende Flüchtlinge vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) bei frostigen Temperaturen mit Heißgetränken.

Seit Monaten schuften freiwillige Flüchtlingshelfer rund um die Uhr, um medizinische Versorgung, Kleider, Essen und Betreuung für Neuankömmlinge zu organisieren. Doch nach Silvester droht die Stimmung zu kippen. FOCUS Online hat aktive Helfer gefragt, wie sie damit umgehen.

Bisher bekamen die vielen Flüchtlingshelfer vor allem Lob und Anerkennung für ihre Arbeit. Nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht in Köln jedoch hat sich die Einstellung mancher Deutscher zu Flüchtlingen verändert.

Die Helfer sind nicht mehr nur mit den Problemen ihrer Schützlinge beschäftigt, sie müssen sich nun auch um ihre eigene Sicherheit Sorgen. FOCUS Online hat mit einigen Ehrenamtlichen gesprochen.

Alexander Schoen, Helfer am Hauptbahnhof: Man ruft uns zu „Ihr habt das Pack ins Land geholt“

Seit Wochen betreut Schoen mit einer Helfergruppe jede Nacht Flüchtlinge, die vom Kölner Hauptbahnhof aus zu Verwandten oder einem anderen Wunschziel weiterreisen. Seit Silvester ist die Arbeit dort schwieriger geworden.

„Es hat in der Gesellschaft nach der Silvesternacht einen spürbaren Stimmungswandel gegeben. Vorher waren die Menschen 90:10 auf unserer Seite und haben unsere Arbeit gelobt, jetzt hört man schon ab und zu blöde Kommentare. Meistens stellen sich die Kritiker nicht einmal einer Diskussion, sie rufen nur im Vorbeigehen etwas wie ‚ihr habt das Pack ins Land geholt‘.

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„Wir achten darauf, dass wir draußen nicht mehr als Helfer erkennbar sind“

Unter den Helfern wird sehr viel über die Ereignisse der letzten Wochen gesprochen, vor allem in den Facebook-Gruppen findet eine intensive Diskussion statt. Die Aktiven vor Ort lassen sich aber nicht beirren und halten an ihrer Überzeugung fest. Ich kenne keinen einzigen Helfer, der jetzt das Handtuch geschmissen hätte. Sie kennen viele Flüchtlinge persönlich – und was man kennt, macht einem keine Angst. Das gilt übrigens auch für die jungen Frauen unter den Helfern.

Wir machen uns eher Sorgen um die Menschen, die wir betreuen, als um uns selbst. Die Parolen gelten ja den Flüchtlingen, nicht den Helfern. Trotzdem ist man natürlich etwas vorsichtiger. Wir Helfer achten zum Beispiel darauf, dass wir weniger alleine im Bahnhof unterwegs sind und unsere Westen vor dem Verlassen des Gebäudes ausziehen, sodass wir draußen nicht mehr als Helfer erkennbar sind.“

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Angst nach Silvesternacht in Köln: Pfefferspray ist ausverkauft


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  • Tanja Schmieder, Helferin am Hauptbahnhof: „Was mir Sorgen macht, sind die Bürgerwehren“


Schmieder arbeitet beruflich und ehrenamtlich mit Flüchtlingen, hat sich in den vergangenen Monaten als Organisatorin zahlreicher Facebook-Gruppen und Hilfsaktionen hervorgetan, unter anderem mit der Initiative „city of hope cologne – HBF Engel“. Nun fürchtet sie Übergriffe durch Bürgerwehren.

„Für uns als Helfer hat sich nichts geändert. Die Zahlen sind stabil und das Engagement ist ungebrochen. Unser Motto ist: ‚Wir machen weiter wie bisher!‘ Anfeindungen habe ich bisher nicht erlebt – weder persönlich, noch bei Facebook. Und das, obwohl ich als Organisatorin ziemlich stark in der Öffentlichkeit stehe. Das hat mich fast schon überrascht.

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Nur einmal gab es Kritik im privaten Umfeld, aber daraus mache ich mir nichts. Was mir Sorgen macht, sind die Bürgerwehren, die sich jetzt formieren und auf Patrouille gehen. In Köln gibt es zum Beispiel die ‚Kölner Bürgerwehr Sturmtruppe‘, die halte ich für ziemlich gewaltbereit.

Wir machen uns Sorgen, dass es für ausländisch aussehende Menschen auf den Straßen gefährlich wird. Es hat ja schon Übergriffe gegeben. Und natürlich ist auch die Stimmung am Hauptbahnhof anders: Es ist mehr Polizei da und mehr Sicherheitspersonal von der Bahn. Es werde viel mehr Kontrollen gemacht. Inzwischen wird eigentlich jeder, der arabisch aussieht, kontrolliert.“

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  • Marleena Bamberg, Helferin am Flughafen: „Anfeindungen kommen vor“

Bamberg engagiert sich beim Drehkreuz-Köln am Flughafen und kümmert sich dort um ankommende Flüchtlinge.

„Wir haben große Sorge um die Sicherheit der Flüchtlinge. Die aggressiven Demonstrationen und Angriffe auf Asylbewerber haben alle Helfer empört und erschreckt, aber wir sind dadurch nur bestärkt in unseren Bemühungen, zu helfen.

Mir ist noch niemand begegnet, der jetzt Zweifel oder Angst hat. Die Helferzahlen sind gleich geblieben. Auch ich mache mir keinerlei Sorgen um meine persönliche Sicherheit, vor allem nicht wegen der Flüchtlinge.

Anfeindungen von Flüchtlingsgegnern kommen zwar vor, allerdings arbeite ich überwiegend am Flughafen und nicht am Bahnhof. Am Bahnhof habe ich auch schon einmal einen unverschämten Kommentar von einem Passanten gehört. Am Flughafen sind die Helfer in einem eigenen Bereich, da ist man besser abgeschirmt.“

Carolin Goldbach, Helferin am Bahnhof: „Ich passe besser auf mich auf als früher“

Die Studentin unterstützt die Helferteams am Hauptbahnhof. Als junge Frau hört sie deshalb manchmal besorgte Stimmen, ihrer Überzeugung schadet das aber nicht.

„In meinem Umfeld hat sich durch die Ereignisse der Silvesternacht nichts verändert. Wir reden zwar darüber und tauschen uns aus, aber mehr Angst hat niemand. Alle Helfer, die ich kenne, sind weiterhin überzeugt davon, das Richtige zu tun. Man darf nicht von ein paar Tätern auf die ganze Gruppe der Flüchtlinge schließen. Wenn man eine Million Deutsche unter diesen Umständen in ein anderes Land bringen würde, wäre der Prozentsatz derer, die negativ auffallen, der gleiche.

Der Großteil der Flüchtlinge war bisher aber völlig unauffällig und hat sich nichts zu Schulden kommen lassen – gerade diese Menschen brauchen unsere Hilfe jetzt umso mehr. Unentschlossene tendieren jetzt vielleicht eher zu einer negativen Sichtweise, aber unter den aktiven Helfern ist die Stimmung weiterhin positiv.

Aus meinem Umfeld würde niemand mein Engagement kritisieren. Mir ist aber aufgefallen, dass gerade diejenigen, die keinen direkten Kontakt zu Flüchtlingen haben, besorgt sind. Meine Freundinnen von der Uni sagen mir manchmal, ich solle auf mich aufpassen.

Das tue ich auch. Vorher hat man sich als junge Frau weniger Gedanken gemacht, nun weiß man, dass so etwas passierenkann. Die Ereignisse haben sensibilisiert – aber weniger gegenüber der Bedrohung durch Flüchtlinge als gegenüber Männergruppen im Allgemeinen.“

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Quelle: Focus-online vom 15.01.2016

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Ulrike
Ulrike
8 Jahre zuvor

Diese naiven Leute werden auch noch wach werden. Spätestens wenn ihre lieben Freunde Übergriffe auf sie vornehmen. Es wird ein böses Erwachen für einige dieser Gutmenschen geben.

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