Grüne fast so stark wie CDU: Zum Teufel nochmal

Aus Stuttgart und Berlin berichten Jan Friedmann und Florian Gathmann

Kretschmann im Wahlkampf: Wie einst Helmut Kohl

DPA

Kretschmann im Wahlkampf: Wie einst Helmut Kohl

Ein grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg – das erschien den Christdemokraten als Betriebsunfall. Nun aber macht sich Winfried Kretschmann sogar daran, die CDU als stärkste Partei abzulösen.

Ist das Erwin Teufel? Mancher Baden-Württemberger dürfte etwas irritiert sein, wenn man das Konterfei dieses grauhaarigen, älteren Ministerpräsidenten auf Wahlplakaten sieht, unterlegt mit staatstragenden Slogans wie „Verantwortung und Augenmaß“ oder „Dem Land verpflichtet“. Doch Teufel ist ja lange im Ruhestand. Der frühere CDU-Regierungschef, dem seine Partei bis heute hinterhertrauert, hat allerdings einen Nachfolger – nur ist der bei den Grünen.




Winfried Kretschmann, 67, ist nach fünf Jahren im Amt des Ministerpräsidenten in eine Rolle hineingewachsen, wie sie seit Teufels Zeiten keiner mehr bei den Schwaben und Badenern innehatte: der Landesvater. Kretschmann ist so populär im Ländle, dass er und die Grünen inzwischen vom ganz großen Wurf träumen.

Sie wollen die CDU bei der Landtagswahl am 13. März als stärkste Partei ablösen.

Noch traut sich keiner im Kretschmann-Lager, offen darüber zu sprechen. Demut ist ein Lieblingswort des Ministerpräsidenten. Zudem gilt die Grünen-Politikerin Renate Künast mit ihren einst hochfliegenden Plänen in Berlin als abschreckendes Beispiel. Aber die Zahlen lassen Platz eins in greifbare Nähe geraten, der Trend spricht für Kretschmann: In einer aktuellen Infratest-Umfrage von SWR und „Stuttgarter Zeitung“ liegen die Grünen mit 28 Prozent nur noch drei Prozentpunkte hinter der CDU (31 Prozent). Die Differenz wird im Vergleich zu den letzten Erhebungen immer kleiner, weil die Christdemokraten besonders unter dem AfD-Boom (zwölf Prozent) leiden. Und: Kretschmann hängt im direkten Vergleich der Sympathiewerte den CDU-Spitzenkandidaten Guido Wolf weit ab.

Dabei war Baden-Württemberg einst die Hochburg der Christdemokraten, 58 Jahre lang regierte die CDU, am Ende im Stile eines Lehnsherrn. Dass man 2011 die Regierungszentrale an die Grünen verlor, wurde als Betriebsunfall abgetan. Rot-Grün hatte nur eine knappe Mehrheit, die CDU lag immer noch 15 Prozentpunkte vor Kretschmanns Partei. Der profitierte damals von Patzern des konservativen Amtsinhabers Stefan Mappus, zudem hatten die Grünen nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima und wegen Stuttgart 21 Rückenwind. Kurzum: Aus CDU-Sicht sollte der grüne Ministerpräsident eine Episode bleiben.

Eine Klatsche, die auch im Kanzleramt schmerzen würde

Wenn nun aber wirklich nur der zweite Platz hinter den Grünen herauskäme? Es wäre eine Klatsche, die auch im Kanzleramt schmerzen würde. Zahlreiche CDU-Abgeordnete würden ihre Mandate verlieren, die Schuld dafür dürften dann viele Angela Merkel und ihrer Flüchtlingspolitik geben.

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Man hat den Öko-Konservativen Kretschmann lange unterschätzt – aber auch seine Partei. Die hat bewiesen, dass sie regieren kann: Der linke Grünen-Flügel in Baden-Württemberg hat sich dem Mitte-Kurs Kretschmanns untergeordnet. Und auch in der Bundespartei nahm man mehr oder weniger Rücksicht auf ihn.

In der Flüchtlingskrise ist Kretschmann weiter nach rechts gerückt: Die Grünen sind eine tendenziell asylfreundliche Partei, aber der Regierungschef setzt mitunter auf den Sound eines Otto Schily. Er sagt: „Wer straffällig geworden ist, der hat sein Bleiberecht verwirkt.“ Da halten zwar viele in seiner Partei die Luft an, aber öffentlich regt sich kaum Kritik. Außerhalb der Grünen dagegen kommt Kretschmann damit gut an. Das Gleiche gilt, wenn er der Bundesregierung bei der Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsländer hilft. Die Grünen ächzen mehr leise als laut, die breite Mehrheit applaudiert.


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In der Wirtschaftspolitik orientiert sich Kretschmann unterdessen an einem anderen populären CDU-Amtsvorgänger: Lothar Späth. In seinen Wahlkampfreden sieht er „Hidden Champions in jedem zweiten Schwarzwaldtal“.

Die Wahlkampagne ist komplett auf Kretschmann ausgerichtet. Dabei war personalisierter Wahlkampf früher tabu für die Grünen. Nun kommen sie daher wie einst die CDU mit Helmut Kohl: „Grün wählen für Kretschmann“ heißt der zentrale Slogan. Die Grünen deklarierten sich zuerst als „neue Wirtschaftspartei“, inzwischen nennt man sich ganz ungeniert die „neue Baden-Württemberg-Partei“. Das erinnert an die CDU. Und soll es wohl auch.

Kretschmann vereinnahmt die Kanzlerin

Selbst die Kanzlerin hat Kretschmann inzwischen vereinnahmt: Er lässt keine Gelegenheit aus, Angela Merkel in der Flüchtlingspolitik zu loben. Sie sei eine „erfahrene Krisenmanagerin“ und kämpfe für den europäischen Zusammenhalt, sagt Kretschmann. CDU-Kandidat Wolf verspottete ihn deshalb jüngst als „Kanzlerinnenversteher“. Verkehrte Welt.

Das Spiel um Platz eins birgt aber auch Risiken. Wenn Kretschmann komplett auf Sieg setzt, könnte er im Wahlkampf kaum mehr Rücksicht auf den bisherigen Koalitionspartner nehmen. Die Sozialdemokraten aber schwächeln ohnehin (14 Prozent in der aktuellen Umfrage) – sie verlieren wohl zum einen ebenfalls Wähler an die AfD und zum anderen an die Grünen. Wenn es am Ende nicht mehr für Grün-Rot reichte, könnte die CDU auch eine andere Koalition stricken – und Kretschmann wäre das Ministerpräsidentenamt los.

Dennoch: Falls die Grünen stärkste Partei werden, wäre Kretschmann in einer guten Position, um weiterzuregieren. Dann wäre sogar eine Koalition von Grünen und CDU möglich – in dieser Reihenfolge: Grün-Schwarz, mit den Christdemokraten als Juniorpartner und Kretschmann als Ministerpräsident.

Mal wieder was Neues in Baden-Württemberg.

Quelle: Spiegel-online vom 18.02.2016

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Ulrike
Ulrike
8 Jahre zuvor

Ich frag mich echt was sich die Stuttgarter gedacht haben als sie diesen Trampel gewählt haben . Obwohl sein Vorgänger war noch toller. Den hat man dann nach Brüssel abgeschoben wo er jetzt seine geistigen Ergüsse von sich gibt. Vor allem dass man immer noch die Grünen wählt werde ich nie verstehen.

Ich schäme mich für Baden-Württemberg.