Zwei Tage Undercover-Flüchtling in Traiskirchen

VideoText: Christa Minkin, Rosa Winkler-Hermaden, Video: Maria von Usslar – 27. August 2015, 20:41

Ein Wiener verbrachte 40 Stunden in Traiskirchen und gab sich als Asylwerber aus. Er sah Müllberge, fehlendes Klopapier und beobachtete einzelne Flüchtlinge, die sich Spenden aneigneten. Die Behörden wissen nichts von einem Schwarzmarkt

Irgendwann reichte es Markus S.* – er hatte so viele gegensätzliche Informationen über die Situation im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen gehört, dass er beschloss, sich selbst ein Bild zu machen. Er begab sich heimlich und mit einer versteckten Kamera in die Einrichtung. Seine Mutter stammt aus Afghanistan, er spricht Farsi. Das in 40 Stunden gesammelte Bild- und Tonmaterial liegt dem STANDARD vor. „Ich wollte ein ungeschöntes Bild zeigen, damit einem niemand etwas vorspielen kann“, sagt S.

derstandard.at/von usslar
Mit einer Kamera in der Bauchtasche filmte Markus S. seinen Aufenthalt in Traiskirchen.

Der 32-Jährige schlief im Freien, dann in einem Zelt. Er sprach mit Flüchtlingen, mit Security-Mitarbeitern und dem Betreuungspersonal. Was er vorfand, waren Flüchtlinge, die „in der Luft hängen“, die nicht wissen, ob „heute etwas mit ihnen passiert oder in drei Tagen oder drei Monaten“. Es fehle an Informationen, Betreuungsangebot und Deutschkursen.

foto: privat
Spenden landen ungeordnet im Erstaufnahmezentrum in Niederösterreich.

Eine der wenigen Beschäftigungsmöglichkeiten ist jene als sogenannter Remunerant für die das Lager betreuende Firma ORS. Für drei Euro pro Stunde können die Asylsuchenden etwa Reinigungsarbeiten erledigen. Doch die Wartelisten sind lang – erst nach drei bis vier Monaten habe man eine Chance, eingeteilt zu werden.

Müll am Gang

Wer einen Job ergattert, muss etwa Müll einsammeln. S. nahm Bilder von Müllbergen auf. Das Problem sei, dass es zu wenige Mistkübel gibt. Den Bewohnern bleibt nichts anderes übrig, als den Müll in den Gängen abzustellen. „Natürlich stinkt das dann.“

foto: privat
Behälter für den Müll fehlen.

Wie schon Amnesty International machte auch S. die Erfahrung, dass die hygienischen Zustände katastrophal sind. Weder bekämen die Bewohner Seife, Shampoo oder Zahnbürsten, noch gäbe es Klopapier. Wie die Leute dann ihr Geschäft verrichten? „Ich weiß ehrlich nicht, wie sie das lösen.“ Zumindest bei den Duschen sei nachgebessert worden: Dort seien nun Vorhänge angebracht.

S. testete auch die medizinische Versorgung. Unter dem Vorwand akuter Bauchschmerzen ging er zu den Ärzten. Dort wurde er wieder weggeschickt. Bereits Ärzte ohne Grenzen hatten kritisiert, dass die behördlich vorgesehene Untersuchung der Neuankömmlinge zuerst stattfindet, auch wenn bereits untergebrachte Patienten über akute Beschwerden klagen.

foto: privat
Markus S. filmte die Essensausgabe.

Neue Einblicke liefert S. von der Essensausgabe. Es stellte überhaupt kein Problem dar, sich mit einer um zehn Euro von einem Asylwerber geborgten ID-Karte um Essen anzustellen. Auf dem Ausweis ist zwar ein Foto, doch „es wird niemandem ins Gesicht geschaut“ und nur der Strichcode eingescannt. Es gab Puten-Cordon-Bleu mit Reis und Salat. „Selbst beim Bundesheer war das Mittagessen besser.“

Handel mit Waren

S. berichtet von einem Kiosk am Gelände, wo man Hygieneartikel, Zigaretten und Snacks einkaufen könne. Ein Feuerzeug kostet zwei Euro. Für einen Schokoriegel bezahlt man am Snackautomaten 90 Cent, für zwei 2,50 Euro.

Beobachtungen machte S. auch am Zaun, wo viele Spenden abgegeben werden. Er kritisiert, dass die Verteilung nicht von den Behörden organisiert werde und die Dinge deshalb nicht ankommen, wo sie gebraucht würden.

Entlang des Zaunes, wo man der Sonne ausgesetzt ist, stünden meist Männer. Sie würden Spenden nur weitergeben, wenn man sie danach fragt. Frauen und Kinder, die sich eher im Schatten aufhielten, würden oft durch die Finger schauen. Die Männer würden die Ware behalten, um sie einzutauschen. S. beobachtete einen Mann, der Waren in mehreren Zelten sammelte. Dieser habe ihm gesagt, er sei kein Asylwerber. Ein Anrainer beobachtete, dass auch fremde Personen Spenden entgegennahmen. Beweise für professionell hochgezogene Deals mit gespendeten Waren fand S. nicht.

foto: privat
Die Bibliothek in Traiskirchen: Unordnung und keine passenden Bücher für Menschen, die gerade erst Deutsch lernen.

Wilhelm Brunner, operativer Leiter von ORS, dementierte im Gespräch mit dem STANDARD fehlende Hygieneartikel, diese könne man sich jederzeit nachholen. Von einem Schwarzmarkt habe er keine Kenntnis. Da nun die privaten Zelte abgebaut wurden, erübrige sich das Thema ohnehin. (Christa Minkin, Rosa Winkler-Hermaden, Maria von Usslar, 27.8.2015)

Quelle: Der Standard vom 27.08.2015

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