Wirtschaft – „Nord Stream 2“ – Ein Projekt in politisch schwierigem Fahrwasser

 

„Nord Stream 2“ – Ein Projekt in politisch schwierigem Fahrwasser

Als im Juni 2015 beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg Gazprom den Bau von zwei weiteren Pipeline-Strecken in der Ostsee verkündete, hatte noch niemand damit gerechnet, dass sich so schnell so viele Investoren finden lassen. Heute ist „Nord Stream 2“ das wichtigste Projekt Gazproms in Europa – nicht zuletzt weil South Stream und Turkish Stream im Sand verlaufen sind. Dennoch bestehen nach wie vor zahlreiche politische Hindernisse bei der Realisierung des Projekts.

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Im September 2015 wurde ein Aktionärsabkommen zum Bau des Gastransportsystems von Gazprom, BASF, E.ON, ENGIE, OMV und Shell unterzeichnet. Gazprom beteiligt sich mit 51 Prozent am Projekt, „E.On“, „Royal Dutch Shell“, „Wintershall/BASF“, „OMV“ mit jeweils 10 Prozent, Engie mit 9 Prozent. Nachdem Gazrom ein Prozent seines Anteils an das französischen Unternehmen Engie verkauft hatte, beträgt nun der Anteil aller nichtrussischen Firmen jeweils gleichermaßen 10 Prozent. Erwartet wird, dass die beiden neuen Pipelines bis zu 55 Millionen Kubikmeter Gas im Jahr transportieren, das wäre also genauso viel wie „Nord Stream“ bei voller Transportkapazität. Im Gegensatz zur bestehenden Pipeline wird das Gas von Ust-Luga ausgeliefert.

Verteilstation für Erdgas von GDS Vladivostok in Russland

Alle nicht-russischen Unternehmen, die sich an dem Projekt beteiligen, verfügen über enge Verbindungen zu Russland: E.On unterhält fünf Elektrostationen in Russland, Royal Dutch Shell hält 27,5 Prozent des Grundkapitals an Sakhalin-2, OMV schwört seit Jahrzehnten auf enge Verbindungen zur russischen Energiewirtschaft, Wintershall und Engie besitzen Anteile an „Nord Stream“. Analysten gehen davon aus, dass das Ziel des Projektes für die Unternehmer vor allen in der Konsolidierung ihrer Position auf dem russischen Markt liegt.

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Politische Aspekte

Auch wenn es sich hierbei um ein internationales Projekt handelt, ist es vor allem Deutschland, welches als Hauptakteur für das Projekt eintritt. Die Position der Regierung ist hierbei aber gespalten. Einerseits muss sich die deutsche Bundesregierung an die Europäischen Energie-Leitlinien halten, anderseits aber die eigenen Interessen durchsetzen. Aus diesem Grund wird vom Kanzleramt immer wieder betont, dass es sich bei dem Pipeline-Projekt um eine unternehmerische Entscheidung der beteiligten Firmen handeln würde: „Wir pushen die Sache nicht und wir bekämpfen sie nicht“, heißt es aus dem Kanzleramt. Man versucht hier jeden politischen Bezug zur Pipeline zu verwischen.

Doch lässt sich politische Einflussnahme nicht vollkommen verleumden. Ende Oktober besuchte Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Moskau und betonte das Interesse der Regierung an dem Projekt. Er werde sich auch dafür einsetzen, dass die juristische „Regulierungshoheit“ bei Deutschland bleibe, um auf diesem Weg Brüssel heraushalten zu können. Des Weiteren hat kurz vor Weihnachten das Bundeskartellamt europäischen Unternehmen die Erlaubnis erteilt, sich an dem Projekt beteiligen zu können. Somit wurde der Grundstein für die Bildung eines Joint Ventures zum Bau der Gaspipeline gelegt.

Wichtig ist dabei für Berlin lediglich, dass die Ukraine ihre Stellung als Transitland nicht verliert. Gazprom hatte zwar geplant, sein Erdgas ab 2019 nicht mehr über die Ukraine zu transportieren. Im Juni 2015 hat dann aber Alexei Miller, Vorstandsvorsitzender von Gazprom, verkündet, dass sein Unternehmen bereit sei, die Ukraine auch nach 2019 als Transitland zu nutzen.




Unabhängig von der bestehenden Rhetorik, einzig der europäische Zusammenhalt und eine gemeinsame europäische Energiepolitik seien Grund, warum sich einzelne europäische Staaten gegen das Projekt stellen, spielt eigentlich der finanzielle Aspekt eine wohl noch größere Rolle. Ein Beispiel hierfür ist Polen: Das Land hat sich noch bis Ende letzten Jahres gegen den Bau der „Nord Stream“ ausgesprochen. Donald Tusk, ehemals Präsident von Polen und jetzt Präsident des Europäischen Rates, bestand beim EU-Gipfel im Dezember darauf, dass die EU-Kommission die juristischen Fragen klärt. „Wir werden europäisches Recht knallhart verteidigen.“ Aus seiner Sicht trägt „Nord Stream“ nicht zur Diversifizierung der Energieversorgung in Europa bei. Doch schon im Januar hat sich Polens Außenminister Witold Waszczykowski gegenüber der Bild-Zeitung anders geäußert. Künftige Pipelines, die russisches Gas nach Europa transportieren werden, sollen über das Territorium Polens verlaufen. Das wäre ein Zeichen der Solidarität und Partnerschaft, so Waszczykowski. Neben Polen sind es aber vor allem die Ukraine, die Slowakei, in geringerem Maße auch Rumänien, die Tschechische Republik und Ungarn, welche signifikante Verluste durch die „Nord Stream“-Pipelines befürchten. Aus diesem Grund hat Gabriel bei seiner eintägigen Reise nach Polen im Februar betont, dass man die Lieferungen nach Osteuropa über die Yamal-Pipeline von Russland nach Polen, Weißrussland und Deutschland auch weiterhin sichern würde.

Trotz der Zusicherungen die osteuropäischen Transitländer fürchten um ihre Marktstellung: Auch wenn „Nord Stream 2“ die Gaslieferungen über Osteuropa nicht vollkommen beendet – Gazprom hat immer noch langjährige Verträge, die den Transit über Jahre hinweg regeln, macht das Projekt Deutschland in jedem Fall zur größten Gasverteilungsstation in Europa. Gazprom wiederum wird mit bis zu 60 Prozent Marktanteil der größte Gaslieferant Deutschlands.


Wirtschaftliche Aspekte

Neben diesen Bedenken gegenüber einer weiteren Pipeline in der Ostsee, wird auch eingeworfen, dass der Gasverbrauch in der EU in den nächsten Jahren zurückgehen wird. Schon in den Jahren 2010 bis 2014 sank der Gasverbrauch in der EU um 23 Prozent. Analysten verweisen darauf, dass dies zum einen auf bessere Dämmungen zurückzuführen ist, aber auch, auf steigende Steinkohlegewinne in Folge der Wirtschaftskrise.

In den USA hat die Schiefergasproduktion dazu geführt, dass Kohle auf dem amerikanischen Markt keine Abnehmer finden konnte und nach Europa exportiert wurde. Doch mit der Unterzeichnung der Pariser Verträge vom 12. Dezember 2015 (Temperatur der Erde darf nicht mehr als 2 Grad steigen) muss Europa seinen Kohleverbrauch senken. In Deutschland sollen von 2016 bis 2019 zahlreiche Braunkohlekraftwerke stillgelegt werden. Die Unternehmen bekommen vom Bund eine Milliardenentschädigung. So sollen die CO2-Emissionen bis 2020 um 11-12,5 Millionen Tonnen pro Jahr reduziert werden. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) wird eine Tonne Kohle bis 2025 bis zu 30 Dollar kosten und bis zum Jahre 2040 sogar schon 50 Dollar.

Es ist also anzunehmen, dass der Gasverbrauch in den nächsten Jahren in Europa steigen wird. Alleine schon um den Ausfall durch die zurückgehende Kohleproduktion aufzufangen. Laut der IEA wird der Energieverbrauch in Europa nicht vor 2040 sinken und bis dahin sogar um 0,8 Prozent auf 610 Milliarden Kubikmeter Gas ansteigen. Die Niederlande hat ihre Spitzenproduktion schon 2007/2008 erreicht. Es wird damit gerechnet, dass das Land in 15 Jahren Nettoimporteur von Erdgas wird. Großbritannien ist auf Gasimporte seit 2005 angewiesen und laut Prognosen soll bis 2020 70-75 Prozent des benötigten Gases importiert werden. Frankreich hingegen ist bis heute von seiner Atomenergie absolut abhängig und hat es nicht geschafft alternative Quellen zu erschließen.

Ausblick

„Nord Stream“ bietet eine Möglichkeit – sie muss jedoch nicht die einzige bleiben. Sicher kann man über wirtschaftliche alternativen Sprechen. Doch in Brüssel sind es eben nicht wirtschaftliche Faktoren die Ausschlaggeben sind. In der momentanen politischen Situation ist „Nord Stream“ ein Politikum geworden. Zumindest werden wirtschaftliche Interessen einzelner Staaten als politische Argumente verkleidet.

Am 7. März wurde an Jean-Claude Juncker, Chef der EU-Kommission, ein Brief gerichtet, indem sich die Regierungschefs Tschechiens, Estlands, Ungarns, Lettlands, Polens, der Slowakei, Rumäniens und Litauens gegen „Nord Stream 2“ aussprachen. Die Verfasser sehen in dem Projekt „gewisse Risiken für die Energiesicherheit Zentral- und Osteuropas“ und befürchten „potenziell destabilisierende geopolitische Folgen“. Der Ausbau der Gaspipeline „Nord Stream“ wird eine starke Auswirkung auf die Entwicklung des Gasmarktes und das Schema des Gastransits in der Region, insbesondere auf den Gastransit über die Ukraine, haben“, heißt es im Dokument.

Da das Pipelinesystem in Gewässern juristisch nicht reguliert ist, kann Gazprom theoretisch das Projekt auch ohne Genehmigung der EU bauen. Wichtig ist hierbei, in wieweit Deutschland die Entscheidungsgewalt bei sich behalten kann und wieweit sich Brüssel einschalten kann. Gazprom könnte also die Pipeline unabhängig von der EU bauen – wenn es die Finanzierung stemmt. Momentan sind aber Gazproms Finanzen und Produktion anderweitig gebunden: Alleine die sich gerade im Bau befindende Pipeline „Kraft Sibiriens“ kostet 55 Milliarden Euro. Hinzu kommt, das Gazprom bisher noch keine Details dahingehend liefern konnte, dass es auch die 55 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr durch „Nord Stream“ bereitstellen kann. Und selbst wenn die Lieferung gewährleistet werden kann, bleibt zu bezweifeln, dass die Pipeline voll ausgeschöpft wird. Schon die ersten beiden Stränge der Pipeline sind nicht vollends ausgelastet.

„Nord Stream 2“ soll die Gasversorgung über die Ukraine ablösen – auch das wird selbst im Idealfall nicht vollkommen möglich sein. Aber, und da sind sich die Analysten einig, es wird zumindest die immer wieder auftretenden Probleme der Gasversorgung in Zusammenhang mit dem Transit durch die Ukraine minimieren. Sollte man sich jedoch gegen das Projekt entscheiden, dann müsste eine Alternative aufgezeigt werden. Hierbei sollte man aber nicht politische Aspekte benutzen, um eigene wirtschaftliche Interessen durchzusetzen.

Quelle: Russia Today (RT) vom 19.03.2016

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