Alkoholismus – Süchtige Pfarrer – nur Einzelfälle?

In der Kirche ist Alkoholismus unter Geistlichen weitgehend ein Tabu. Gutachten bleiben unter Verschluss. Insider schätzen, dass acht bis zehn Prozent der Priester süchtig sind. Wir haben mit einem Würzburger Pfarrer gesprochen, der jahrzehntelang zur Flasche gegriffen hat – und dann Suchtberater wurde.

Von: Sabine Weis

Stand: 22.04.2016

Kreuz im Gegenlicht | Bild: picture-alliance/dpa

Bei Taufen, Hochzeiten oder Beerdigungen – immer wenn es nach dem Kaffee zum Höherprozentigen ging, lehnte der 75-Jährige Norbert Stroh ab und ging heim ins Pfarrhaus. „Und dort hab ich dann meinen Alkohol genossen – in Anführungszeichen ‚genossen'“, erinnert er sich. Nach einem Zusammenbruch kurz nach den Weihnachtsfeiertagen 1986 stellt sich Pfarrer Norbert Stroh seinem Problem und macht eine Therapie. Danach will er seinen betroffenen Kollegen helfen. Er gründet in Münsterschwarzach eine Selbsthilfegruppe für alkoholkranke Priester und Diakone, die sich dort seit über 28 Jahren regelmäßig trifft – obwohl er inzwischen im Ruhestand ist. Das Schwierigste ist, die Betroffenen mit ihrer Sucht zu konfrontieren, sagt er.

Pfarrer Norbert Stroh | Bild: BR/ Patrick Obrusnik

„Ich konnte die Sache eigentlich immer gut vor den Gemeinden verheimlichen. Man entwickelt als Alkoholkranker unwahrscheinliche Möglichkeiten, das zu verbergen. Mit Pfefferminzbonbons, die man ständig lutscht, um den Geruch zu vermeiden. Die größte Angst ist wirklich für einen alkoholkranken Pfarrer: Ich werde entdeckt! Wie kann ich das verheimlichen?“

Norbert Stroh (75), Priester im Ruhestand

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Versetzung statt Entzugsklinik

Als Norbert Stroh seine Alkohol-Abhängigkeit öffentlich macht, gilt diese Krankheit als Tabu. Einen Suchtberater für Geistliche gibt es damals nicht in seiner Diözese Würzburg. Bei Auffälligkeiten wurden Pfarrer meist in die nächste Gemeinde versetzt, statt zur Entzugsklinik gebracht. Das ist zwar inzwischen anders. Aber bis heute tun sich die Diözesen schwer, mit suchtkranken Mitarbeitern umzugehen, sagen deren Mitarbeiter im vertraulichen Gespräch.

„Das war ja ein völliger Tiefpunkt, auch glaubensmäßig. Gott, was machst du da mit mir? Ich setz mich für Dich ein, ich bin in deinem Dienst und versuche zu geben, was ich kann und du lässt mich so fallen. Was denken die Leute, die Kollegen? Was denkt der Bischof? Was mir geholfen hat: Ich will abstinent bleiben, ein ganzes Leben lang und will meine Erfahrungen offen mitteilen und anderen Glaubensbrüdern mitteilen und helfen, wie sie diese Krankheit bewältigen können in – und das war mir immer ganz wichtig – in einer zufriedenen Abstinenz.“

Norbert Stroh (75), Priester im Ruhestand

 

Doppelt so viele alkoholkranke Priester wie in der normalen Bevölkerung

Offizielle Zahlen gibt es weder von der evangelischen noch von der katholischen Seite. So durfte eine interne Studie des Deutschens Instituts für Sucht- und Präventionsforschung in Köln zum Thema „Alkoholsucht unter Priestern“ nicht veröffentlicht werden. Eine Sprecherin des evangelischen Landeskirchenamts spricht von „absoluten Einzelfällen“. Von katholischer Seite kursieren nur Erfahrungswerte. Wie zum Beispiel von Pfarrer Wilhelm Wietkamp aus Essen, der 40 Jahre lang alkoholkranke Seelsorgerinnen und Seelsorger aus ganz Deutschland betreut hat. Er sagt:

„In der normalen Bevölkerung sind etwa vier bis fünf Prozent alkoholkrank. Wir schätzen, dass es unter Priestern acht bis zehn Prozent sind.“

Pfarrer Wilhelm Wietkamp aus Essen

Das Recollectio-Haus in Münsterschwarzach betreut Seelsorger in Lebenskrisen. Falsch verstandenes Pflicht-Zöllibat, Einsamkeit und Verantwortungsdruck förderten bei manchen Menschen die Persönlichkeitsstruktur, die zum Alkoholismus führt, heißt es dort. Eine andere Sucht, die im Recollectio-Haus auch immer mehr zunimmt, ist die Computer- und Cybersex-Sucht. Zumindest gibt es inzwischen in den Bistümern eigene Mitarbeiter, die sich um suchtkranke Pfarrer, Pastoralreferenten oder auch Ordensfrauen kümmern. Alleine im Erzbistum München und Freising sind es acht bistumsinterne Suchtbeauftragte.

Fakten zur Alkoholabhängigkeit

  • Laut des Epidemiologischen Suchtsurveys 2012 sind in Deutschland  3,4 Prozent der 18 bis 64-Jährigen alkoholabhängig. Übertragen auf Bayern wären das etwa 270.000 Personen zwischen 18 und 64 Jahren.
  • Frauen zeigten im Vergleich zu Männern ein weniger als halb so hohes (bzw. ein um etwa 60 Prozent erniedrigtes) Risiko für eine Alkoholabhängigkeit.
  • Am häufigsten betroffen sind 55- bis 59-Jährige, deren Risiko im Vergleich zur Referenzgruppe der 20- bis 29-Jährigen um mehr als den Faktor 6 erhöht ist.
  • Mit steigender Ausbildung sinkt das Risiko für eine Alkoholabhängigkeit.

(Quelle: Bayerisches Gesundheitsministerium)

Quelle: Bayerischer Rundfunk (BR) vom 22.04.2016

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