Österreich: Die Wahlanfechtung der FPÖ ist richtig und wichtig

8. Juni 2016, 19:59 Uhr

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Wahl in Österreich Österreich „Unregelmäßigkeiten“: Strache ficht das Ergebnis der Wahl an. (Foto: AFP)

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Auch wenn man den Habitus der österreichischen Rechtspopulisten nicht mag: Auf diese Weise wird den Verschwörungstheoretikern der Wind aus den Segeln genommen.

Kommentar von Cathrin Kahlweit, Wien

Was waren da nicht alles für Verschwörungstheorien durchs Netz gegeistert im Nachklang zur österreichischen Bundespräsidentenwahl. Weil FPÖ-Kandidat Norbert Hofer seinem Konkurrenten, dem Grünen Alexander Van der Bellen, mit knapp 31000 Stimmen Abstand unterlegen war, explodierte die Stimmung in FPÖ-nahen Blogs und Chatrooms: Das System der alten, abgewirtschafteten Parteien habe nicht zugelassen, dass ein FPÖ-Mann gewinnt. Da sei planvoll manipuliert und gefälscht worden, Stimmen seien dem falschen Kandidaten zugeschlagen worden, ganze Urnen mit Briefwahlstimmen verschwunden.

Außerdem hatte der Generalsekretär der Partei schon vor der Wahl den Ton gesetzt: Wahlbetrug zulasten der FPÖ sei zu befürchten. Und der Parteichef selbst, Heinz-Christian Strache, war sich hinterher nicht zu schade gewesen, die diversen Verschwörungstheorien weiter anzuheizen: Da seien „fragwürdige Dinge“ passiert, „sonderbar“ sei die Auszählung verlaufen. Hofer selbst sagte öffentlich nach der Wahl, er sei ein guter, wenngleich trauriger Verlierer. Aber er schloss sich der Anfechtung an.

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Unregelmäßigkeiten seien nur „Spitze des Eisbergs“
Nach längerer Nachdenkfrist hat die FPÖ nun ihre Klage beim Verfassungsgerichtshof eingereicht, welche dieser innerhalb von vier Wochen bearbeiten muss. Am 8. Juli schon soll Van der Bellen vereidigt werden. Drei Wochen hatte sich die FPÖ Zeit gelassen, um in den Bundesländern, in Bezirken und Gemeinden Material zu sammeln: Hier wurde die falsche Farbe bei den Briefumschlägen ausgegeben, dort durften zwei unter 16-Jährige wählen, hier wurden Briefwahlstimmen schon in der Nacht zum Montag ausgezählt, dort wurde das falsche Wählerregister benutzt. Die in der 150-seitigen Anfechtung aufgelisteten Unregelmäßigkeiten seien nur die „Spitze des Eisbergs“, sagt FPÖ-Jurist Dieter Böhmdorfer.

Und legt in seiner Schrift noch einiges an grundsätzlicher Kritik darauf: Da sei die mangelhafte Überprüfbarkeit der Frage, ob die Briefwähler wirklich selbst ihre Stimmkarte ausgefüllt haben, es gebe zu kurze Einspruchs-Fristen, da sei die ungerechte Regelung, dass der unterlegene Kandidat nicht selbst klagen darf.

Die Wahlanfechtung der FPÖ wird mit großer Wahrscheinlichkeit – das sagen zumindest Experten – nicht erfolgreich sein. Es müsste ihr gelingen, nachzuweisen, dass durch die vielen kleinen formalen Fehler tatsächlich ein Bundespräsident Hofer verhindert wurde. Aber auch wenn man den Habitus der Partei nicht mag und ihre Klage, man habe ihr übel mitgespielt, nicht nachvollziehen kann, so ist der Schritt, den die FPÖ am Mittwoch getan hat, dennoch richtig und wichtig. Auf diese Weise wird zum einen den Verschwörungstheoretikern der Wind aus den Segeln genommen.

Wahlanfechtung wird Österreich nutzen
Der Rechtsstaat zeigt außerdem, dass er Kritiker ernst nimmt. Sollten sich in einzelnen Wahlbezirken die Fehler als so gravierend erweisen, dass sich Stimmverschiebungen ergeben haben (auch wenn sie vielleicht nicht das Endergebnis ändern würden), dann muss neu gewählt oder gezählt werden, das ist selbstverständlich. Vor allem aber: Das System der Briefwahl-Stimmen ist in Österreich dringend überarbeitungsbedürftig, sowohl was das Prozedere als auch die Auszählung angeht. Man darf es nicht abschaffen, wie jetzt laute Stimmen in der FPÖ fordern, aber es muss vor der nächsten Wahl auf seine Fehleranfälligkeit geprüft werden.

Heinz-Christian Strache hat in einem Punkt auf alle Fälle recht: Er sagte auf der Pressekonferenz, er sei dem Rechtsstaat und der Demokratie verpflichtet. Was immer seine Motive sind: Die Wahlanfechtung wird für Österreich von Nutzen sein.

Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 08.06.2016

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