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Wegweisendes Verfahren in Polen: Vorrang für nationales oder EU-Recht?

20. Juli 2021
Wegweisendes Verfahren in Polen: Vorrang für nationales oder EU-Recht?
INTERNATIONAL

Warschau. Ein brisantes Verfahren vor dem polnischen Verfassungsgericht, das jede Menge Sprengstoff für die EU birgt: das polnische Höchstgericht muß jetzt entscheiden, ob nationales Recht vor EU-Recht geht – eine hochsensible Grundsatzfrage auch für alle anderen 26 EU-Länder. Konkret geht es bei dem Verfahren, das am Dienstag begonnen hat, darum, ob eine Reihe von Bestimmungen in den EU-Verträgen mit der polnischen Verfassung vereinbar sind.

Das betrifft unter anderem die Frage, ob polnische Gerichte eine Prüfung durch den EuGH veranlassen dürfen, ob ein vom polnischen Präsidenten ernannter Richter „unabhängig“ im Sinne des EU-Rechts ist. Es geht außerdem darum, ob der Europäische Gerichtshof (EuGH) das Land zwingen kann, einen Teil der von der nationalkonservativen Regierungspartei PiS vorangetriebenen Justizreformen aufzuheben.

Die Initiative des Verfahrens geht vom polnischen Ministerpräsidenten Morawiecki aus. Dieser hatte im März 2020 das Verfassungsgericht angerufen, um den Vorrang der polnischen Verfassung festzustellen. Morawiecki äußerte, er gehe davon aus, daß das Gericht diesen bestätigen werde. EU-Justizkommissar Didier Reynders hatte Warschau Anfang Juni aufgefordert, den Antrag zurückzuziehen – was die polnische Regierung unterließ.

In Brüssel ist man alarmiert. EU-Justizkommissar Reynders sagte der „Financial Times“ am Dienstag mit Blick auf die Entscheidung in Polen, es bestehe das Risiko einer „echten Gefahr für die gesamte Architektur unserer Union“. Dabei verwies er auch auf das EZB-Urteil in Deutschland, mit dem sich das Bundesverfassungsgericht über eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hinweggesetzt hatte. „Wenn man das nicht stoppt, dann wird es mehr und mehr Möglichkeiten für unterschiedliche Mitgliedstaaten geben, den Primat des EU-Rechts und die Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofs herauszufordern“, warnte Reynders.

Das ist ein Wink mit dem Zaunpfahl: wenn das Gericht dem Antrag der polnischen Regierung folgt und das EU-Recht der polnischen Verfassung unterordnet, wird Brüssel auf jeden Fall ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Außerdem wird der Druck wachsen, auch finanzielle Sanktionen gegen Warschau in die Wege zu leiten.

Allerdings: schon das bisherige Vorgehen gegen angebliche Rechtsstaatsverletzungen in Polen hat keinerlei grundlegende Änderungen gebracht. Das betrifft sowohl das Artikel-7-Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit als auch mehrere Vertragsverletzungsverfahren, die die Kommission allesamt vor dem EuGH gewonnen hat.

Jetzt will die Regierung in Warschau aufs Grundsätzliche gehen und sich vom Verfassungsgericht offiziell bescheinigen lassen, daß nationales Recht Vorrang hat. Eine brisante Entwicklung, in der manche einen Schritt in Richtung „Polexit“ sehen – also eine Entwicklung, an deren Ende der Austritt Polens aus der EU oder zumindest ihrem Rechtssystem stehen könnte. (rk)

Quelle: zuerst.de vom 20.07.2021

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