Gedankenpolizei: Medienprofessor fordert den Facebook-Blockwart

20.09.2015

Markus Mähler

Tschüss Meinungsfreiheit: Bei Facebook kommt jetzt das »Müll-Sortieren«. Nicht erst seit der Flüchtlingskrise wüten Politik und Leitmedien gegen das »asoziale Netzwerk«. Dort gedeihen Meinungen, die sie früher einfach wegzensiert haben. Das geht nicht mehr, also müssen sich die Deutschen jetzt selbst kontrollieren. Medienprofessor Bernhard Pörksen will dafür den Nachwuchs in Schulen und Unis politisch korrekt einnorden lassen: Die digitale Neuauflage für den Blockwart, den IM der Stasi und Orwells Gedankenpolizei.

Deutschlands Alpha-Tiere sind wütend: Zensur! Warum – verdammt nochmal – spielt dieser Marc Zuckerberg dabei nicht mit! Facebook ist das neue Feindbild, zumindest bei Politikern, Journalisten und Medienwissenschaftlern. Nicht erst seit der Medienkrise gedeihen hier Meinungen, die früher verboten waren. Ein paar aus gutem Grund, sie liefern geistige Totalausfälle.

Es gibt aber auch die große andere Seite: Viele Menschen genießen eine digitale Freiheit, die neu ist. Sie dürfen endlich unbequem und unangepasst sein. Selber denken. Vorher waren sie angekettet an eine Mainstream-Meinung im Land. Journalisten zogen sie in eine gewünschte Richtung wie den Ochsen am Nasenring.

Mit der Idiotie eines Einzelnen wird die Freiheit aller eingeschränkt

Diesen Job als Viehtreiber sollen die Deutschen jetzt selber übernehmen – weil Politik und Medien Facebook einfach nicht in den Griff bekommen. Es lässt sich nicht zum Zensur-Instrument machen.

Gerade läuft dazu eine große Kampagne in den Medien: »Facebooks hässliche Fratze«. Der Berliner Benjamin Sch. »feierte« im sozialen Netz den Tod des Flüchtlingsjungen Aylan – und die ganze Welt schaute zu. Blöd gelaufen.

Wieder einmal wird die bedauernswerte Idiotie eines Einzelnen missbraucht, um die Freiheit für alle einzuschränken. Ausgerechnet die Springer-Medien klagen über eine angebliche Welle der »Facebook-Hetze« gegen Flüchtlinge – ein menschlicher Abgrund, den man doch nicht hinnehmen darf. Facebook wird von den Beschwerden dieser Journalisten geflutet, die angeblich massenhaft Hetz-Kommentare im sozialen Netzwerk sichten. Anschließend berichten sie triumphierend: Boykottiert Facebook, die reagieren ja gar nicht! Dort darf »ungehemmt gepöbelt, gehasst und verleumdet werden«.

Ein Sturm im Wasserglas: Justizminister Maas will Facebook maßregeln

Diese Hetz-Kampagne gegen Hetze soll das soziale Netz unter Druck setzen: Damit Facebook einknickt und den deutschen Zensurwünschen nachgibt. Justizminister Heiko Maas bestellte sogar Richard Allan ein. Allan ist der Europa-Botschafter des US-Netzwerkes, reiste aus Dublin an und wurde von Maas gemaßregelt: Sofort alle Hasskommentare löschen und die Community-Standards überarbeiten.

Die Frage ist natürlich, wie ernst der blaue Riese aus Kalifornien die Show eines Ministers überhaupt nimmt – oder Journalisten mit ihrem Sturm im Wasserglas. Vor allem die deutschen Medien brauchen den Internet-Giganten, der ihnen Leser und Klicks bringt. Bisher bleibt man in Kalifornien hart: Unser Netzwerk, unsere 1,5 Milliarden-Nutzer, unsere Regeln.

Nippel und Meinungsfreiheit – wie Äpfel und Birnen

In Deutschland wird die Hetz-Kampagne gerade auf ihre Spitze getrieben. Journalist Joachim Dreykluft nennt das Netzwerk »asozial und heuchlerisch«, veröffentlicht den Kommentar auf Facebook und illustriert ihn mit den Brustwarzen einer Frau. B.Z.-Chefredakteur Peter Huth flutet mit seinem Springer-Blatt das Netzwerk sogar mit Akt-Gemälden. Das ist nackte Effekthascherei, die schon an Sturheit grenzt. Die Journalisten wollen nur zu gerne behaupten: Seht her, Facebook löscht nackte Frauen sofort – aber die Hetze bleibt stehen!
Besatzungsrecht-Amazon

Warum ist das wohl so? Weil Nippel nun mal eindeutig sind! Die Meinungsfreiheit – was man sagen darf oder nicht – ist aber weitaus heikler und auch schützenswerter. Ein Zensur-Kahlschlag trifft immer auch viele Unschuldige, glaubt man in Kalifornien. Zum Glück für viele Facebook-Nutzer. Der freie Markt der Ideen darf also weiterleben, das Prinzip von Rede und Gegenrede. Hier wird nicht mundtot gemacht, was keinen Platz in der Mehrheits-Blase von Massenmedien hat. Am deutschen Justiz- und Medienwesen mag eben doch nicht die ganze Welt genesen.

Wir können Facebook nicht ändern, aber seine Nutzer

Damit hat sich wieder ein öffentlicher Kampagnen-Zug festgefahren, bei dem man fragt: Wer ist hier eigentlich bei wem aufgesprungen? Die Politiker bei den Journalisten oder umgekehrt? Egal, Deutschland bleibt ja dank Facebook doch digital meinungsfrei, oder? Nein, denn jetzt kommt das Ass im Ärmel, der Tübinger Medienprofessor Bernhard Pörksen. Er wird von den Leitmedien schon lange als Vordenker einer kriselnden Branche gefeiert, weil von ihm einfache Antworten kommen, wie die Massenmedien ihre Macht im digitalen Zeitalter retten.

Pörksen befeuert jetzt mit einem Essay die Facebook-Kampagne der Journalisten noch einmal. Er fordert die »Ausweitung der Verantwortungszone«. Was heißt das? Ganz einfach: Wir können Facebook nicht ändern, aber seine Nutzer. Wir können nicht mehr flächendeckend zensieren, also müssen sich die Menschen selber überwachen.

Der digitale Blockwart: Ganz alte Moden für eine neue Zeit

Denunziantentum heißt die neue Zensurformel: Das darfst du nicht mehr sagen, sonst muss ich dich melden und meiden. Diese neue Strategie stammt aus der alten Welt. Es erinnert an den Blockwart, an die informelle Spitzelarmee der Stasi, an Orwells Gedankenpolizei.

So brutal direkt sagt es Pörksen natürlich nicht. Er spricht lieber von einer »redaktionellen Gesellschaft«. Redaktionell heißt aber nichts anderes als: Die Menschen werden ihr eigener Zensor. Wer ist unfreier – der, der überwacht wird, oder der, der sich selber überwacht? Was erlaubt und was verboten ist, möchte Pörksen den jungen Deutschen bereits in den »Schulen und Universitäten« einimpfen lassen.

Was Pörksen verschweigt

Dort werden sie mit »Leitmaximen« eingenordet. Sie sollen denken, was erwünscht ist. Andere zur Konformität zwingen. Das klingt nicht wirklich neu, denn noch kein politisches System hat seinem Nachwuchs System-Kritik gelehrt. Pörksen schreibt zwar, dass hier eine neue Öffentlichkeit und neue Spielregeln entstehen. Was er aber verschweigt: Daran kann auch das alte System zerbrechen und jetzt wird es brisant.

Journalismus, das war bisher eine immens wichtige Berufskaste. Wer schrieb, hat die öffentliche Meinung geformt. Pörksen führt das noch weiter aus: Sie »waren mächtige Gatekeeper […], institutionell fassbare publizistische Machtzentren mit enormer Deutungshoheit, die darüber entscheiden konnten, was publiziert wird und was nicht«.

Meinung ohne Medien

Klingt verschwurbelt, ist aber ganz einfach übersetzt: Der Laden läuft nicht mehr. Die Journalisten bekommen die öffentliche Meinung aus der Hand genommen. Meinung ist aber auch Macht. Die sozialen Netze ziehen von beidem immer mehr ab. Die freie Meinung von Menschen für Menschen kommt ohne komplizierte Vermittler aus. Journalisten und Politiker verlieren dafür und verkommen von Akteuren zu ohnmächtigen Zuschauern.

Das ist übrigens der wahre Grund für die endlosen Medien-Kampagnen unserer Zeit. Pro-Flüchtlinge, gegen Facebook und seine Hetzer, gegen das »Pack« und die »Dunkeldeutschen«. Seht her, wir können es noch! Als ob die Journalisten der Politik beweisen wollen, dass sie noch nicht abgemeldet sind.

Journalisten allein reichen nicht mehr aus

Die glaubt vermutlich selbst nicht mehr daran. Die Meinungsmacht der sozialen Netze ist bereits größer als die Meinungsmacht der Journalisten. Die müssen immer plakativer werden, die Wahrheit immer einfacher halten. Sie müssen das Publikum anschreien, um noch gehört zu werden. Die Massenmedien gehen also immer drastischer vor. Im Moment können sie sich noch gegen die Meinungsmacht der anderen behaupten.

Die Zukunft ist aber bereits jetzt klar: Eine spezialisierte Journalisten-Kaste allein reicht nicht mehr aus, die über richtig und falsch entscheidet. Sie erreicht gar nicht mehr alle Menschen. Deshalb bekommt jetzt der Nachwuchs im Land einen journalistischen Grundkurs, weil er noch jung, formbar und greifbar ist: in den Schulen und Universitäten. Damit könnte ein Heer von digitalen Blockwarten entstehen. Hilfs-Zensoren, die sich selber im Zaum halten oder bei Facebook denunzieren.

Wohlfühl-Diktatur ohne Zukunftsperspektive?

Pörksen will den jungen Menschen ein »normatives Verständnis der Entstehung von Öffentlichkeit« einimpfen. Das klingt wieder verschwurbelt, wichtig ist allein ein Wort: »Norm« – das Gesetz, wie ich mich verhalten soll. Die Norm schränkt mich ein und nimmt mir Freiheit, die ich nach oben abgeben muss. Pörksen glaubt tatsächlich, dass die Menschen sich ihre neu gewonnene Meinungsfreiheit gegenseitig wieder rauben wollen. Die alten Massenmedien haben ihre Macht verloren, also sollen die Menschen jetzt auch noch ihren Job erledigen und selbst Gedankenpolizei sein.

Pörksens »Ausweitung der Verantwortungszone« ist nichts weiter als ein Wunschmärchen. Wenn die Alpha-Tiere ihre Macht über die Öffentlichkeit verlieren, werden die Massen sie nicht wieder freiwillig zurückgeben. Das wäre zumindest einmalig in der Geschichte. Im Grunde wissen weder Journalisten noch Politiker noch Akademiker, wie es weitergeht. Sie wollen es nur nicht zugeben. Die digitale Spitzelarmee von der Schulbank wird es aber auf keinen Fall geben. Dafür fehlt es einfach an Freiwilligen. Hoffentlich.

Quelle: Kopp-online vom 20.09.2015

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