Staseve Aktuell – Arbeitsgemeinschaft Staatlicher Selbstverwaltungen

Überwachung: „Der Staat darf illegal erworbene Daten verwenden“

Videokameras sollen das Leben sicherer machen. Ihre Daten sind jedoch oft unverschlüsselt und können schon mit Babyphonen angezapft werden. Das kann ungeahnte Folgen haben.

von Katrin Tominski

Terror in Berlin, Amoklauf in München, Tote in Nizza – die Bilanz der vergangenen zwölf Monate könnte besser sein. Eine stärkere Videoüberwachung soll nun Abhilfe schaffen. Das vermeintlich einfache Aufrüsten durch Kameras birgt jedoch Gefahren, derer sich viele Menschen nicht bewusst sind.

Schillo: Datentransfer birgt Risiken

Bildrechte: Franz-Josef Schillo

Darauf macht der Dresdner Rechtsanwalt Franz-Josef Schillo aufmerksam. „Etwa drei Viertel der privaten Überwachungskameras senden ihre Daten unverschlüsselt durch den Äther“, sagt Schillo dem MDR. „Diese lassen sich einfach – sogar mit Babyphonen – anzapfen.“ Die Risiken des Datentransfers würden oft vernachlässigt.

„Selbst in der Strafjustiz schicken Richter ungeschützte E-Mails durch die Gegend. Das geht überhaupt nicht“, erklärt Schillo. „Der sekundäre Schutz wird in der Regel nicht durchdacht. Das ist ein Albtraum.“

Bundesinnenminister: Mehr Kameras – mehr Sicherheit

Seit dem Anschlag in Berlin fordern Politiker aber auch der Städte- und Gemeindebund eine stärkere Überwachung an öffentlichen und privaten Plätzen. Erst Ende des vergangenen Jahres hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) den Entwurf des sogenannten Videoüberwachungsverbesserungsgesetzes vorgestellt. Mehr Kameras sollen künftig mehr Sicherheit bringen. Gleichzeitig soll es dem Staat möglich sein, in Zukunft auf die Daten privater Sicherheitsanbieter zugreifen zu können.

Verwendung illegal erworbener Daten

Genau darin liegt für Schillo das Problem. „Ich bin sehr vorsichtig mit der Aussage, wir lassen die Privaten einfach machen“, erklärt der renommierte Strafverteidiger, der unter anderem durch die erfolgreiche Verteidigung des „Körperwelten“-Plastinators Gunther von Hagens bekannt wurde. „Die Staatsanwaltschaft sammelt und verwertet alle Daten – unabhängig ob sie legal oder illegal erworben wurden“, sagte Schillo. Im Falle einer strafrechtlichen Verfolgung könne dies zum Nachteil sein. „Der Staat darf illegal erworbene Daten verwenden.“ Deutlich werde das beispielsweise an den Steuersünder-CDs.

„Jeder hat etwas zu verbergen“

Nach Umfragen befürworten über 70 Prozent aller Deutschen eine stärkere Videoüberwachung. Viele sehen keine Gefahr, weil sie selbst „nichts zu verbergen haben“. Dies hält Rechtsanwalt Franz-Josef Schillo für eine unkritische Sichtweise. „Jeder hat etwas zu verbergen. Sie glauben gar nicht, wofür man Überwachung alles einsetzen kann“, sagt Schillo. „Die Leute sind sich nicht klar, wozu diese Daten alle verwendet werden können.“ Bei Krankheit könnten beispielsweise Daten zur Krankenkasse oder zum Arbeitgeber gelangen. Zudem gebe es Dinge, die gingen niemanden etwas an. Ärger mit der Partnerin oder dem Partner, den Kindern – dies gehöre alles zum absolut privaten Raum. Viele Menschen seien sich nicht bewusst, wie groß die Datenlecks und die Handhabe des Staates sind, so Schillo weiter.

Konfiszieren aller Daten in Steuerstrafverfahren

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Als Beispiel nennt der Anwalt unter anderem Steuerstrafverfahren. Die Fahnder kopieren dabei nicht selten alle im Unternehmen befindlichen Daten „ohne jegliche Einschränkung“ und werten diese jahrelang aus. Dazu gehören auch Daten der Kunden und alle mit dem Unternehmen in Interaktion stehende Akteure.

„Auch wenn das Bundesverfassungsgericht sagt, nach sechs Monaten ist Schluss, es wird oft alles ausgewertet.“ Viele Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts begrenzten die Nutzung der Daten auf sechs Monate, die Praxis sehe jedoch anders aus.

Kameras halten Attentäter nicht ab

Bedenken bei der Ausweitung der Videoüberwachung formuliert auch Andreas Schneider, Referatsleiter des Sächsischen Datenschutzbeauftragten. „Kameras halten potenzielle Attentäter nicht von Terrorakten ab“, sagt er. „Die Attentäter sind unabhängig von Kameras zu allem entschlossen.“ Bislang konnte eine „Gefahrenabwehr durch Videoüberwachung nicht in gewünschtem Maße nachgewiesen werden“. Eine stärkere Überwachung mit Kameras sei deswegen nicht sinnvoll. „Wirksam sind Kameras jedoch bei der Strafverfolgung“, sagte er. Dies habe man zuletzt bei der Fahndung der Berliner U-Bahn-Täter zur Weihnachtszeit gesehen. Die Dateneigentümer seien jedoch zum sorgfältigen und gesetzeskonformen Umgang mit den Daten verpflichtet.

Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.Bildrechte: dpa

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Rückendeckung bekommt Schneider von der ehemaligen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: „Es gibt bereits sehr viele Überwachungskameras sowohl im staatlichen und kommunalen als auch im privaten Bereich.“ Allein in München seien 10.000 Videokameras im Einsatz. Statt der pauschalen Forderung nach mehr Überwachung gehe es vielmehr darum, „konkret zu benennen, wo es wirklich einen gefährdeten Raum gibt und Überwachungskameras einen Sinn machen“, sagt sie.

Polizei statt Kameras

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht die Politik in der Pflicht. „Das Gefühl, dass unter Kameras eine Straftat nicht begangen werden könnte, prägt die Menschen“, sagt die ehemalige Ministerin. „Die Politik hat die Verantwortung deutlich zu machen, dass kaum eine präventive Wirkung von Kameras ausgeht.“ Es müsse vermittelt werden, dass „wir eine sehr gute ausgebaute Sicherheitsinfrastruktur haben mit vielen kompetenten Fachleuten, die auch entsprechend handlungsfähig ist.“ Um dem Sicherheitsverlust zu begegnen, seien andere Maßnahmen viel hilfreicher. Leutheusser-Schnarrenberger und auch Datenschützer Schneider plädieren für mehr Präsenz von Polizisten.

Quelle: MDR vom 22.01.2017

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