Arbeitsrecht: Wenn die Bosse fies werden

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28.12.2015
Udo Ulfkotte

Viele machen sich zum Jahreswechsel Gedanken über ihren Arbeitsplatz. Denn das ganze Jahr über schluckt man in der Hektik des Berufsalltags Dinge runter, über die man nun endlich einmal in Ruhe nachdenken kann.

Nie zuvor gab es zwischen Bossen und Arbeitnehmern so häufig Streit. Müssen Umkleidezeiten bezahlt werden? Busfahrer und Flugbegleiter zogen sich früher wie selbstverständlich zu Hause um. Immer mehr von ihnen wollen das jetzt nicht. Die Frage, ob Umkleidezeiten bezahlt werden müssen, kann da schnell vor Gericht landen. Und darf der Chef die Farbe der Unterwäsche bestimmen oder die persönlichen Sachen durchsuchen? Darf man am Arbeitsplatz auch mal ein paar Internetseiten mit privater Zielsetzung aufsuchen? Darf der Chef Facebook-Eintragungen, die man in der Freizeit macht, mitlesen und später im Arbeitszeugnis aufführen, obwohl sie mit der Firma nichts zu tun haben?

Alle dieser Fragen betreffen das Arbeitsrecht. Es wandelt sich derzeit überall in Europa so schnell wie kaum ein anderes Rechtsgebiet. In den Niederlanden bekommen die Arbeitnehmer jetzt beispielsweise das gesetzlich abgesicherte Recht auf Heimarbeit.

Unternehmen müssen es dann begründen, wenn sie ihre Arbeitnehmer in der Firma sehen wollen.

Und träumen können deutsche Arbeitnehmer auch nur von einem schon im Jahre 1970 verabschiedeten italienischen Gesetz (bekannt als »Artikel 18«), nach dem italienische Arbeitsnehmer in Italien nicht entlassen werden dürfen. Im katholischen Italien ist es heute leichter, sich von einem Ehepartner scheiden zu lassen als einen Arbeitnehmer wieder loszuwerden.


Ganz anders in Deutschland. Von den 39 000 Fachanwälten sind viele auf Arbeitsrecht spezialisiert, weil es in kaum einem anderen EU-Land so viel Ärger zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gibt. Kündigungen und Diskriminierungsklagen sind vor deutschen Gerichten an der Tagesordnung.

Was in Italien (»Artikel 18«) schnell vom Tisch gewischt wird und auch in den Niederlanden meist schnell und unbürokratisch zugunsten der Arbeitnehmer entschieden wird, das dauert in Deutschland vor Gericht viele Jahre und endet häufig im Fiasko, wenn man keinen fachkundigen Anwalt kennt.

Denn so wie Versicherungen gerne möglichst viele zahlende Kunden haben, aber im Schadensfall möglichst nichts zahlen und auf das dem Laien unverständliche Kleingedruckte verweisen, so ist es auch im Arbeitsrecht: Der Normalbürger fühlt sich im Recht, blickt aber im Gesetzesdschungel nicht mehr durch und braucht fachkundige Hilfe. Bei Versicherungsfragen, wenn etwa Berufsunfähigkeitsversicherungen nach einem schweren Unfall nicht zahlen wollen, gibt es in Deutschland nur wenige wirklich fachkundige Adressen. So hat die auf solche Fragen spezialisierte Bonner Anwältin Beatrix Hüller (sie hat die Seiten gewechselt, war früher selbst bei einer Versicherung, um Kundenforderungen abzuwehren und vertritt jetzt Geschädigte gegen Versicherungen) fast mehr zu tun, als ein normaler Mensch leisten kann.


Die Medien haben das erkannt und aus der Frau inzwischen eine Art Staranwältin gemacht, weil sie unermüdlich jenen Menschen hilft, die von anderen im Stich gelassen werden.

Selbst ihr quirliger Mischlingshund Cassius ist inzwischen ein Medienstar. Und sie engagiert sich in einem Verein, der Versicherungsopfern hilft, ihre Ansprüche gegen Versicherungskonzerne geltend zu machen.

So viel Engagement ist selten. Denn von den 150 000 Anwälten in Deutschland machen mehr als 110 000 einfach alles. Sie haben dann zwar von kaum einem Fachgebiet Ahnung, aber sie dürfen eben auch Arbeitnehmer vor Gericht vertreten.

Wie das oftmals ausgeht, kann man sich auch als juristischer Laie denken. Schließlich ist vor Gericht Fachwissen gefragt. Und da sind dann im Arbeitsrecht erfahrene Männer wie Axel Hiller gefragt. Der Frankfurter Arbeitsrechtler war früher Leiter der Rechtsabteilung bei Versicherungsmaklern und kennt alle Tricks. Im September 2015 hatte ich Fachanwalt Hiller folgende Anfrage geschickt:

»Ich schreibe an einem Artikel über Firmen, die in ihren Ruhegeldordnungen (die beigefügte eines bekannten Unternehmens stammt aus dem Jahre 1959, wird auch heute noch so an die Mitarbeiter verteilt) in ›Kann-Bestimmungen‹ Kürzungen oder die völlige Streichung von Betriebsrenten vorsehen, wenn die Empfänger der Betriebsrente als Rentner Nebentätigkeiten und Nebeneinnahmen haben. Die mir bekannten Schwerbehinderten als Empfänger der betrieblichen Altersversorgung sollen bei dem bekannten Unternehmen jetzt plötzlich als Rentner ihre Nebeneinnahmen offenlegen, damit ihnen die betriebliche Altersversorgung gekürzt oder gestrichen werden kann. Laut Ruhegeldordnung müssen sie sogar Stillschweigen dazu bewahren, sollen nicht öffentlich darüber sprechen. Die Mitarbeiter werden dabei nicht alle gleichbehandelt.

Ich habe mit vielen Stellen telefoniert, aber bislang noch keinen Fachmann gefunden, der mir sagen könnte, ob eine betriebliche Altersversorgung wegen Nebeneinnahmen von Rentnern (wenn die etwa als Rentner noch bei Veranstaltungen Hammond-Orgel spielen oder Autos reparieren etc.) im Alter nachträglich durch jahrzehntealte ›Kann-Bestimmungen‹ gekürzt werden kann. Ich dachte immer, nach dem Betriebsrentengesetz dürften Betriebsrenten nicht gekürzt werden … Ich bitte um eine zitierfähige Einschätzung zu solchen Bestimmungen.

Beigefügt hatte ich dem Schreiben zwei Auszüge aus der Ruhegehaltsordnung der Frankfurter Firma.

 


 

Der Frankfurter Arbeitsrechtler Axel Hiller hat diese kniffelige Frage schnell lösen können und antwortete:

1. Nach § 5 Abs. 2 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) dürfen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung durch Anrechnung oder Berücksichtigung anderer Versorgungsbezüge, soweit sie auf eigenen Beiträgen des Versicherungsempfängers beruhen, nicht gekürzt werden. Dies gilt nicht für Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen, soweit sie auf Pflichtbeiträgen beruhen, sowie für sonstige Versorgungsbezüge, die mindestens zur Hälfte auf Beiträgen oder Zuschüssen des Arbeitgebers beruhen.

2. Anderweitige Erwerbseinkünfte, die der Versorgungsberechtigte nach Eintritt des Versorgungsfalls aufgrund einer freiberuflichen Tätigkeit oder eines zulässigen Nebenverdienstes in einem neuen Arbeitsverhältnis erzielt, sind grundsätzlich auf die betriebliche Versorgungsleistung anrechenbar, soweit hierfür eine vertragliche Rechtsgrundlage in der Versorgungsordnung existiert (vgl. Langohr-Plato, Betriebliche Altersversorgung, 4. Auflage, S. 136, Rn. 671; BAG NZA 1992, 65-67; ErfK/Steinmeyer, 14. Aufl. 2014, § 5 BetrAVG, Rn. 33). Eine solche Zusage verstößt nicht gegen § 5 Abs. 2 BetrAVG (vgl. BAG a.a.O.).

Im vorliegenden Fall handelt es sich bei § 13 Abs. 1 der Ruhegeldordnung vom 28.12.1959 in der Fassung vom 29.11.2000 um eine entsprechende vertragliche Rechtsgrundlage für die Anrechnung anderweitiger Erwerbseinkünfte.

3. Wenn auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung andere Leistungen angerechnet werden sollen, müssen die Anrechnungstatbestände für den Vertragspartner (Arbeitsnehmer) eindeutig und unmissverständlich beschrieben werden (vgl. BAG NZA 1990, 269‒271).

Eine eindeutige und unmissverständliche Beschreibung der Anrechnungstatbestände liegt hier meiner Meinung nach nicht vor, weil in § 13 Abs. 1 der Ruhegeldordnung nicht geregelt ist, dass Einnahmen angerechnet werden, sondern nur, dass Einnahmen angerechnet werden ›können‹, also nicht klargestellt ist, dass Einnahmen angerechnet werden.



4. Eine Regelung zur Anrechnung von Erwerbsbezügen auf betriebliche Versorgungsleistungen kann im Einzelfall gegen das Verbot der Willkür oder den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen (vgl. BAG NZA 1992, 65‒67). Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleichzubehandeln (BAG 21.9.2011, 5 AZR 520/10; juris). Im vorliegenden Fall liegt ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, wenn der Arbeitgeber nicht bei allen Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, Einnahmen auf die Betriebsrente anrechnet bzw. angerechnet hat, sondern nur bei einem Teil dieser Arbeitnehmer.«

Man sieht an dieser kleinen Aufgabenstellung, wie wichtig es ist, sich fachkundig beraten zu lassen.

So wie die Mehrheit der Deutschen die eigenen Steuerbescheide nicht versteht (weil sie in unverständlichem Behördendeutsch abgefasst werden), so sind viele auch schon bei den einfachsten arbeitsrechtlichen Fragen völlig hilflos.
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Wenn es dann Fachleute gibt, die da noch durchblicken und wissen, was zu tun ist, dann ist das eine große Hilfe. Denn viele Bürger fragen sich immer lauter, ob Deutschland überhaupt noch ein Rechtsstaat ist.

Quelle: Kopp-online vom 28.12.2015

 

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