Zahl der Todesopfer steigt auf vier
Österreichs Innenminister Nehammer: Getöteter Attentäter war ISIS-Sympathisant +++ Mindestens ein Angreifer noch auf der Flucht +++ Bevölkerung soll Innenstadt meiden +++ Merkel: „Der islamistische Terror ist unser gemeinsamer Feind. Der Kampf gegen diese Mörder und ihre Anstifter ist unser gemeinsamer Kampf“
In einem Ausgehviertel in der Wiener Innenstadt sind am Montagabend mehrere Menschen bei einem Terroranschlag getötet und verletzt worden. Mindestens ein Täter befand sich auch Stunden später noch auf der Flucht, sagte Österreichs Innenminister Karl Nehammer bei einer Pressekonferenz in der Nacht zu Dienstag. „Der Angriff läuft noch.“
Die Angreifer töteten am Montagabend mindestens drei Menschen, mehrere weitere wurden verletzt, unter ihnen ein Polizist. Ein Tatverdächtiger sei erschossen worden, teilte die Wiener Polizei mit.
„Zahlenmäßig eingrenzen können wir das noch nicht, wir sind noch dabei, uns einen Überblick zu verschaffen“, sagte der Sprecher der Wiener Berufsrettung, Daniel Melcher, der österreichischen Nachrichtenagentur APA am Montagabend. Nach Angaben des Chefs der Wiener Hospitäler, Dr. Michael Binder, gibt es „15 Verletzte, sieben schwer. Alle mit Schussverletzungen.“ Die letzte Krankenhauseinlieferung war demnach um 22.10 Uhr.
Der Angriff hatte gegen 20 Uhr in einem belebten Viertel begonnen, in der kurz vor Beginn neuer Corona-Ausgangssperren viele Menschen unterwegs waren. Die Polizei hatte die Bevölkerung daraufhin dazu aufgerufen, öffentliche Plätze zu meiden.
Innenminister Karl Nehammer weitete die Warnung später in der Pressekonferenz auf das gesamte Stadtzentrum von Wien aus. Die Schulpflicht werde am Dienstag ausgesetzt.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz hat den Angriff als „widerwärtigen Terroranschlag“ verurteilt. „Wir werden uns durch Terrorismus niemals einschüchtern lassen und diese Angriffe mit allen Mitteln entschieden bekämpfen“, erklärte Kurz am Montagabend. Die Polizei werde entschlossen gegen die Täter vorgehen.
Er sprach von einem „Terroranschlag mit schwer bewaffneten, sehr professionell vorgehenden Tätern.“ Ob am Dienstag „das öffentliche Leben starten kann, ist noch nicht sicher.“ Das hänge von den nächsten Stunden ab.
Die Lage in Wien ist immer noch unübersichtlich. Zuerst fielen im Bereich der Seitenstettengasse Schüsse, später gab es nach Polizeiangaben sechs Tatorte. „Mehrere Täter mit Langwaffen (Gewehr)“, schrieb die Polizei bei Twitter.
Terrorismus-Experte Peter Neumann bei BILD Live: „Wenn sich das alles so herausstellt, wie das jetzt aussieht, ist das etwas, das die europäischen Sicherheitsbehörden so nicht erwartet haben, weil es wegen der zerstörten Moral von ISIS schwer war, solche koordinierten Anschläge zu verüben. Das ist eine neue Dimension.“
Und weiter: „Ich gehe davon aus, dass bei so vielen Tätern, die mit Sturmgewehren durch die Stadt laufen, mindestens ein Dutzend Tote zu beklagen sein werden. Das wäre einer der größten Anschläge. Das wäre dramatisch für Wien aber auch für ganz Europa.“ Dass es sechs Tatorte in der Wiener Innenstadt gibt, bezeichnet der Terrorismus-Experte als „größte koordinierte Organisation seit Brüssel – das wäre absolut unglaublich!“
Neumann glaubt, dass das „länger geplant und koordiniert war und dass der Anschlag in Nizza möglicherweise der Auslöser war.“
In Frankreich hatte es in den letzten Wochen drei Anschläge gegeben, die Ermittler gehen jeweils von einem islamistischen Hintergrund aus. Zuletzt hatte ein Mann in einer Kirche in Nizza mehrere Menschen brutal mit einem Messer angegriffen – drei Menschen starben.
Bei Twitter kursiert ein Video, auf dem ein Schusswechsel zu sehen ist. Ein anderes Video zeigte eine große Blutlache vor einem Restaurant.
Lokale Medien berichteten zunächst von einer Geiselnahme in einem Hotel – das stellte sich aber später als Falschmeldung heraus. Außerdem soll sich laut „Kronen Zeitung“ ein Täter mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft gesprengt haben. Der stellte sich allerdings im Laufe der Nacht als Attrappe heraus, wie Michael Ludwig, Bürgermeister von Wien, bei „oe24.TV“ bestätigte. Dafür hatte der Täter ein Sturmgewehr bei sich.
Die ersten Schüsse seien in der Seitenstettengasse abgegeben worden, einer belebten Straße im Zentrum. Ob die nahe gelegene Synagoge Ziel des Angriffs war, lasse sich noch nicht bestätigen, sagte die Ministeriumssprecherin. Eine ORF-Reporterin berichtete, dass weite Teile der Innenstadt abgesperrt seien und die Polizei nach etwaigen weiteren Tätern suche.
Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, schrieb auf Twitter, es könne derzeit nicht gesagt werden, ob der Stadttempel eines der Ziele war. „Fest steht allerdings, dass sowohl die Synagoge in der Seitenstettengasse als auch das Bürogebäude an derselben Adresse zum Zeitpunkt der ersten Schüsse nicht mehr in Betrieb und geschlossen waren.“
In der Wiener Innenstadt werden nach Angaben der Polizei keine Haltestellen mehr vom öffentlichen Nahverkehr angefahren. „Bleiben Sie in Sicherheit, verlassen Sie öffentliche Orte umgehend“, twitterte die Polizei der österreichischen Hauptstadt am Montagabend.
Nach dem Terroranschlag drückten Politiker der Nachbarländer ihre Anteilnahme aus. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat Österreich sein Mitgefühl ausgesprochen. Macron habe Österreichs Kanzler Sebastian Kurz am Montagabend volle Solidarität und Unterstützung Frankreichs zugesagt und Hilfe angeboten, falls diese notwendig sei, hieß es aus Kreisen des Präsidentenpalasts in Paris.
Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) twitterte u.a.: „Entsetzliche Nachrichten aus Wien – in Gedanken bei den Opfern und ihren Angehörigen.“ Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erklärte: „Der Terroranschlag von Wien erschüttert uns zutiefst (…)“.
TV-Journalistin Antonia Rados, die sich zurzeit in Wien aufhält, erzählte bei BILD Live: „Die Leute sitzen zum Teil noch in den Kaffeehäusern, trauen sich nicht nach Hause. Die Lage scheint noch nicht komplett unter Kontrolle zu sein, es ist höchste Alarmbereitschaft im 1 Bezirk, es ist kaum jemand auf der Straße zu sehen.“
Journalistin Sabrina Fröhlich von OE24 erzählte BILD Live: „Die Leute haben sich in den Cafés verbarrikadiert, das Licht ausgemacht. Spezialeinheiten sind durch die Straßen gelaufen, haben Autos angehalten und kontrolliert. Mittlerweile fühlt sich niemand in Wien sicher.“
Weiteres Opfer gestorben
Nach Angaben von Innenminister Nehammer ist ein weiteres Opfer gestorben. Damit wurden bei der Bluttat am Montagabend insgesamt vier Passanten getötet – zwei Männer und zwei Frauen. Zudem wurde der Täter von der Polizei erschossen. Bei Hausdurchsuchungen „im Umfeld des Täters“ seien zudem mehrere Menschen festgenommen worden, hieß es aus dem Innenministerium. Am Montagabend waren bei dem Terrorangriff in der Wiener Innenstadt nahe einer Synagoge von mindestens einem Täter zahlreiche Schüsse abgefeuert worden.