Staseve Aktuell – Arbeitsgemeinschaft Staatlicher Selbstverwaltungen

Reichsbürger beschäftigen Gießener Gerichte schon lange

GIESSEN – (atm). Spätestens seit im Oktober vergangenen Jahres ein Reichsbürger in Mittelfranken einen Polizisten erschossen hat, ist das Thema in der Öffentlichkeit präsent. Den deutschen Gerichten ist diese Gruppierung schon seit langer Zeit bekannt. Auch das Amtsgericht und das Landgericht in Gießen erhalten fast wöchentlich Post von Personen, die dem Inhalt der Schreiben nach zu urteilen als Reichsbürger einzuordnen sind. Immer wieder kommt es auch zu Straf- und Zivilprozessen, vor allem am Amtsgericht. Im Gespräch mit dem Anzeiger berichteten Meinrad Wösthoff, Präsident des Amtsgerichts Gießen, und Dr. Patrick Liesching, Vizepräsident des Landgerichts, von ihren Erfahrungen.

„Reichsbürger sind keine homogene Gruppierung, die ein gemeinsames Gedankengerüst hat“, sagt Wösthoff. „Sie setzen alle lediglich an dem Punkt an, dass es die Bundesrepublik Deutschland eigentlich gar nicht gibt, begründen das aber teilweise unterschiedlich.“ Genauso unterschiedlich sei das Auftreten dieser Personen. Während einige ihre Überlegungen ruhig zu vermitteln versuchen, seien andere aggressiver. „Wir kennen das Problem schon lange und nicht erst seit dem tragischen Vorfall in Bayern“, sagt Wösthoff. „Es wäre aber vermessen zu sagen, dass jeder von ihnen zu solchen Exzessen neigt.“

Wie viele Verfahren das Amtsgericht gegen Reichsbürger führt, wird nicht erfasst. Auch ist nicht bekannt, wie viele Personen im Landkreis sich der Gruppierung zuordnen lassen. Das Landesamt für Verfassungsschutz geht von über 500 Reichsbürgern in Hessen aus.

Auf Internetplattformen würden sich viele Reichsbürger vor Gerichtsverhandlungen absprechen. „Wenn uns im Vorfeld bekannt ist, dass es zu Problemen kommen kann, treffen wir Vorkehrungen“, sagt Wösthoff. Auseinandersetzungen im Sitzungssaal habe es schon gegeben. „Es gab Situationen, die zu eskalieren drohten, und wo wir auch schon mal Hausverbote ausgesprochen haben“, sagt Wösthoff. Zu körperlichen Auseinandersetzungen sei es bislang aber nicht gekommen.

Sein Richterkollege Patrick Liesching vom Landgericht berichtet von einem Vorfall aus Fulda, wo er bis 2014 als Direktor des Amtsgerichts tätig war. Dort hatten vor rund fünf Jahren Reichsbürger eine Gerichtsvollzieherin in einer Wohnung festgehalten. Erst als sie die Polizei rief, konnte sie die Wohnung verlassen. In Gießen sei ihm bisher kein solcher Fall bekannt.

Unabhängig davon, wie jemand auftrete, geht das Gericht seiner Aufgabe nach. „Ob jemand ein Reichsbürger ist oder nicht, ist für die Beurteilung eines Falles völlig uninteressant“, sagt Wösthoff. „Es kann nicht Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung sein, wes Geistes Kind der Beklagte ist.“ Das sagt auch der Vizepräsident des Landgerichts: „Wir machen unsere Arbeit ungeachtet der staatsrechtlichen Nebelkerzen“, sagt Liesching.

Oft verwickeln sich Reichsbürger auch in Widersprüche. Wösthoff berichtet von einem Fall aus Hanau, als ein Reichsbürger versuchte, mit einer Vollstreckungsgegenklage gegen ein Urteil vorzugehen. „Die Klage war darauf gestützt, dass der Betroffene gesagt hat, dass das Urteil von einem Gericht stammt, das es nicht gibt. Er hat ein Gericht, das es seiner Meinung auch nicht gibt, aufgefordert, dieses Urteil aufzuheben.“

Regelmäßig gehen beim Amtsgericht Schreiben von Personen ein, die dem Gericht seine Daseinsberechtigung absprechen. Oft fordern die Verfasser die Gerichte auf, sich zu legitimieren. In der Regel handle es sich dabei um mehrseitige Briefe, in denen abstruse Herleitungen gemacht würden, warum die Bundesrepublik schon unwirksam gegründet worden sei. Manchmal nehmen die Verfasser Bezug auf konkrete Verfahren, etwa auf Zwangsvollstreckungen, Zivilverfahren oder Familiengerichtsverfahren. Ähnliche Erfahrungen hat Liesching am Landgericht gemacht. Auch dort gehen fast wöchentlich Briefe von Reichsbürgern ein. Anders als am Amtsgericht seien es hier aber in der Regel dieselben zwei bis drei Verfasser. Ob diese Schreiben beantwortet werden, hänge davon ab, ob ein sachlicher Gehalt darin enthalten sei. „Wenn sich jemand gegen irgendein tatsächliches Geschehen wendet, etwa sagt, dass der Richter ihn gar nicht hat zu Wort kommen lassen, dann sind wir gehalten, dem auch nachzugehen“, so Liesching.

Reichsbürger seien Liesching seit mindestens zehn Jahren bekannt. „Es gab in jüngster Zeit mehrere Vorfälle, die jetzt die Medienaufmerksamkeit geweckt haben.“ Liesching habe aber den Eindruck, dass Reichsbürger seit einigen Jahren resoluter auftreten.

Verfahren gegen Reichsbürger finden am Landgericht, anders als am Amtsgericht, nur selten statt. „Das sind dann auch ganz normale Verfahren, wie sie gegen andere Bürger auch oft geführt werden“, erklärt Liesching. In Zivilverfahren geht es oft um unbezahlte Rechnungen, Mietrückstände, Räumungsklagen. Häufig werden auch die Rundfunkgebühren nicht gezahlt. Auch Strafprozesse werden gelegentlich geführt, etwa, wenn Gerichtsvollzieher angegriffen werden.

Auch wenn Reichsbürger die Gerichte nicht anerkennen, sie genießen dennoch alle Bürger- und Menschenrechte. Dazu gehört auch die Meinungsfreiheit. „Dafür, dass sie ihre Meinung vertreten, auch wenn sie abstrus ist, kann man sie nicht bestrafen“, sagt Liesching. „Das ändert letztlich allerdings auch nichts daran, dass die Gerichtsbeschlüsse gültig bleiben.“

Quelle: Gießener Anzeiger vom 08.04.2017

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