Mehrere rechte Gruppen mobilisierten in Chemnitz gegen den Besuch der Kanzlerin. Die Proteste blieben friedlich, der Ton aber war rau.

#Chemnitz – Sie rufen „Lügenpresse“ – und genießen es zugleich, von Medienvertretern aus dem In- und Ausland dabei beobachtet zu werden: #Pegida, die Bürgerbewegung „#Pro Chemnitz“ und die sogenannte Merkel-Jugend, eine bizarre Formation mit schwarz-weiß-roten Symbolen im Nazi-Style: Drei rechte Gruppierungen haben in Chemnitz gemeinsam gegen den Besuch von Angela #Merkel mobilisiert. „Nutzt die Möglichkeit, dass die Kameras auf uns gerichtet sind“, ruft einer der Organisatoren der Menge zu.

Etwa 500 bis 550 Personen, so schätzt die Polizei zunächst, haben sich gegen 17 Uhr mit Deutschland- und Sachsenflaggen an der Hartmannstraße versammelt. Später wird sie die Zahl auf 2500 nach oben korrigieren. Auf Transparenten ist „Volksverräterpartei CDU“, „Nein zum Migrationspakt“ und „Wir bleiben deutsch“ zu lesen, eine Flagge der rechtsradikalen Identitären Bewegung ist auch dabei. Und natürlich immer wieder die Parole „Merkel muss weg“. Sie ist auf meterlangen Transparenten abgedruckt, sie wird in Sprechchören angestimmt. Und wenn die Demonstranten nicht laut genug sind, dann brüllt ein Redner dazu noch ins Mikrofon.

Etwa 100 Meter Luftlinie sind es von hier aus bis zur Hartmannfabrik, wo zur selben Stunde die Leser der „Freien Presse“ mit der Bundeskanzlerin diskutieren. In der Halle hört man ein wenig vom Lärm draußen. Aber wichtiger ist für die Gegendemonstranten, dass es für die halbe Welt wieder die üblichen Bilder und O-Töne aus Chemnitz gibt. Eine Parodie auf „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ wird angestimmt: „Merkel hat das Land gestohlen, gib es wieder her. Sonst wird dich der Sachse holen mit dem Luftgewehr.“ Die Polizei twittert kurz darauf, sie habe den Liedtext unverzüglich der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Diese sehe keine strafrechtliche Relevanz.

Begonnen hatte der Anti-Merkel-Protest in #Chemnitz mit einer skurrilen Versammlung am Hauptbahnhof. Dort werden Fahnen geschwenkt, die an Flaggen der NS-Zeit erinnern – ein schwarzes Euro-Symbol in einem weißen Kreis auf rotem Grund. Dazu erklingt „Bau auf, Bau auf“, ein Lied der DDR-Jugendorganisation FDJ. Der Organisator der Merkel-Jugend, Sven Liebich aus Halle, erfreut sich wegen seiner als „Satire“ bezeichneten Auftritte einer gewissen Popularität. Laut Verfassungsschutz tritt er regelmäßig „als Provokateur und Verschwörungstheoretiker“ auf. T-Shirts, deren Aufdruck den „Anfangsverdacht einer Beleidigung gegen die Bundeskanzlerin“ erfüllten, werden von der Polizei beschlagnahmt. Später sind sie dennoch zu sehen: Merkels Raute anstelle des Hakenkreuzes.

Geschlossen marschiert die Truppe zum Versammlungsplatz nahe der Hartmannfabrik, vorbei an orientalischen Geschäften und Imbissläden, die von Polizisten bewacht werden. Die Beamten aus Sachsen haben Verstärkung bekommen: Auch Uniformierte aus Baden-Württemberg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen sowie der Bundespolizei sichern die Innenstadt – insgesamt rund 1770 Einsatzkräfte.

Auf der Kundgebung an der Hartmannstraße ergreift zunächst Klára Samková das Wort, eine Rechtsanwältin, die in Tschechien als Anti-Feministin und mit Anti-Islam-Schriften für Aufmerksamkeit sorgte. Sie rückt Merkel in die Nähe von Hitler und zeichnet das Bild einer islamischen Invasion in Europa. Nur mit Mühe kann sie ihre Rede vom Papier ablesen. Hans-Christoph Berndt von der Initiative „Zukunft Heimat“ aus Cottbus wendet sich anschließend gegen den #Migrationspakt. „Wer einem Volk so was antut, der muss es hassen“, ruft er.

Der wichtigste Redner aber ist einmal mehr Martin Kohlmann, Rechtsanwalt, Stadtrat und Kopf von Pro Chemnitz. Der 41-Jährige ruft indirekt zu Selbstjustiz auf. „Wir wollen keine Bürgerwehren bilden“, sagt er. „Aber wenn es nicht anders geht, dann müssen wir es tun.“ Merkel habe zugelassen, dass gezielt unintegrierbare Leute ins Land geholt wurden und marodierende Soldaten aus Kriegsgebieten. Kohlmann spricht von nicht mehr benötigten Soldaten des IS oder der PKK. Gruppenvergewaltigungen seien inzwischen zur Normalität geworden. Man wolle die Zeit von vor zehn Jahren zurück – Beifall.

Kurz darauf ist in der Hartmannfabrik die Leserdebatte beendet. Der Merkel-Konvoi rauscht mit hoher Geschwindigkeit in der Nähe der Demonstranten vorbei. Von dort schallt es: „Hau ab!“ „Volksverräter!“ und „Das ist unser Land!“.

Schließlich tritt Sepp List vor die Kundgebung. Schon früher war er Redner bei Pro Chemnitz, nun kommt er als Augenzeuge direkt vom Merkel-Treffen. Die „Freie Presse“, sagt er, habe das Forum gut organisiert, das Teilnehmerspektrum sei ausgewogen gewesen: „50 Prozent der üblichen Gutmenschen und 50 Prozent kritische Bürger, die so denken wie wir.“ Sein Fazit: „Ich wusste schon vorher, es hat keinen Sinn, mit der Kanzlerin zu diskutieren.“ Von Merkel habe er nur freundliches Drumrumreden gehört. „Sie kam mir vor, als würde ich Günter Schabowski 1989 hören.“

Die Polizeidirektion Chemnitz bilanziert am Abend 16 Straftaten der Merkel-Gegner, es seien überwiegend Beleidigungen. Ein selbstgebauter Böller wird gefunden und ein verbotenes Messer. Ein 32-jähriger, der Widerstand gegen einen Platzverweis leistete, wird in Unterbindungsgewahrsam genommen.

Auch linke und antirassistische Gruppen haben an diesem Tag zu Kundgebungen in der Stadt aufgerufen. Sie bringen aber kaum Menschen auf die Straße. Ein paar Dutzend stehen an einem Infostand, den das „Bündnis nazifrei“ in Sichtweite der Hartmannhalle aufgebaut hat. Auf einer Leinwand werden Videos von den Ereignissen in Chemnitz Ende August gezeigt. Dazu gibt es Fotos von den Tatorten rechter Gewalt in Chemnitz, vom jüdischen Restaurant „Schalom“, dem türkischen „Mangal“ oder dem persischen „Safran“. Auf alle wurden Anschläge verübt. Ein Sprecher sagt, man wolle diesen Tag nutzen, um darauf aufmerksam zu machen, was in letzter Zeit alles schiefgelaufen sei in der Stadt. An der Brückenstraße halten am Nachmittag Demonstranten Wache neben dem Karl-Marx-Monument. „Aufstehen gegen Rassismus“ steht auf ihrem Transparent. Es ist nur ein kleines Häufchen.

Quelle: Freie Presse und Nachrichtenagentur ADN vom 16.11.2018

alles-auf-einen-klick.eu

Wir formulieren für Sie Briefe, Einsprüche, Widersprüche, Klagen nach Ihren Wünschen und stellen diese rechtsverbindlich zu.

Wir helfen Ihnen auch Bescheide von Gerichten und Behörden erfolgreich abzuwehren.

(Klick aufs Bild und es geht los)