Staseve Aktuell – Arbeitsgemeinschaft Staatlicher Selbstverwaltungen

Bürgermeister droht: „Ich rufe die Polizei“ – Auf der Sitzung des Gemeinderates in Bad Schlema ging es drunter und drüber


Gemeindechef Jens Müller (rechts) lieferte sich mit einigen Bürgern im Rathaus einen Schlagabtausch. Die Körpersprache auf beiden Seiten: aggressiv.

Foto: Ralf Wendland

Schreie, Pfiffe und lautes Lachen: Auf der Sitzung des Gemeinderates in Bad Schlema ging es drunter und drüber. 100 Besucher ließen ihrem Frust über die Asylpolitik freien Lauf.

Von Jürgen Freitag
erschienen am 28.01.2016

Bad Schlema. Es ist kurz nach 18.30 Uhr am Dienstagabend, als beim Bürgermeister von Bad Schlema die Nerven blank liegen: „Wenn Sie sich jetzt nicht an die Regeln halten, rufe ich die Polizei und lasse räumen“, droht Jens Müller (Freie Wähler). Kurze Stille. Dann schallt ein lautes Lachen durch den Saal. „Der spinnt“, ruft eine Frau.

Auf der jüngsten Sitzung des Gemeinderates in Bad Schlema ging es bereits kurz nach dem Start wild durcheinander. Etwa 100 Besucher machten mit Buh-Rufen und Pfiffen ihrem Ärger über die Asylpolitik in Deutschland und der Gemeinde Luft. Bürgermeister Müller reagierte zornig und verbat sich die ständigen Zwischenrufe: „Das ist keine Einwohnerversammlung, sondern eine Gemeinderatssitzung.“

Die Stimmung war bereits im Vorfeld der Veranstaltung aufgeheizt. NPD-Gemeinderat Stefan Hartung hatte für 17.30 Uhr zu einer Kundgebung vor das Rathaus geladen. Rund 100 Demonstranten folgten dem Ruf und protestierten mit „Merkel muss weg“-Schild gegen die „von oben angeordnete“ Unterbringung von Flüchtlingen. Es gehe um Bad Schlema und seine Führung, sagte Hartung und forderte, den Kurort zu einem „stolzen Protestort“ für Gäste zu machen, die ihren Urlaub „nicht in Islamabad“ verbringen wollten.

Viele der Teilnehmer strömten im Anschluss mit ihren Fragen ins Rathaus. Doch um diese stellen zu können, mussten sie sich gedulden. Müller berichtete erst von aktuellen Projekten, dann waren die Räte an der Reihe. Das sorgte für Frust.

Für die Besucher stand vor allem eine Frage im Raum: Wie weiter mit den Flüchtlingen? Einige äußerten Ängste, etwa dass bald die Kriminalität steigen könnte. Andere forderten Gegenwehr. Eine Frau sagte: „Ich bin nicht rechtsradikal, aber die Flüchtlinge sind besser gekleidet als Deutsche.“ Ein Mann fragte, ob Müller glaubt, dass die Bundesregierung auf Grundlage des Grundgesetzes handelt. „Keine Antwort“, erwiderte der Bürgermeister. „Ich sage zur Meinungsbildung nichts.“ Daraufhin stimmten Besucher den Gesang „Du kannst nach Hause gehen“ an. Lautstarke Proteste gab es, als Müller auf die Frage eines Mannes, dessen Enkelin auf dem Schulweg im Kurort von Flüchtlingen angepöbelt worden sein soll, antwortete: Die Kinder könnten auch einen anderen Weg abseits der Turnhalle nutzen.




Gemeinderat Oliver Titzmann (Freie Wähler) versuchte schließlich die hitzige Debatte zu schlichten und erklärte seine Flüchtlingspolitik: „Wir sind nicht verantwortungslos, sondern versuchen mit dem Kreis Kompromisse zu finden.“ Zur Gegenwehr zu greifen, und die „Flüchtlinge mit Fackeln aus dem Ort zu treiben, ist für mich keine Option“, sagte er. Hartung erwiderte: „Wir werden von der Obrigkeit verarscht. Das mache ich nicht mit.“

Müller beschreibt den Abend als „beängstigend“. „Es hatte den Anschein, dass die Stimmung kippt.“ Nur die Hälfte der 100 Besucher seien Bad Schlemaer gewesen, schätzt er und betont: Außer kleineren Vorfällen gebe es derzeit keine Probleme mit den rund 85 Ausländern im Ort. „Und die Asylbewerber leben bei uns nicht im Luxus.“ Der Protest sei Ausdruck der Angst vor dem Unbekannten.

Kommentar: Verpasste Chance

Der Ton in der Diskussion um Flüchtlinge wird aggressiver. Erschreckend dabei: Es scheinen nicht mal mehr die normalen Regeln des Anstands zu gelten. In Bad Schlema wurde reingeschrien und gepöbelt. Kritik muss sich auch der Bürgermeister gefallen lassen. Mit seinem Auftreten hat er die Stimmung teils angeheizt statt beruhigt. Letztlich zeigt die Debatte: Es gibt Redebedarf. Doch wieder wurde eine Chance vertan, sich sachlich auszutauschen.

Quelle: Freie Presse vom 28.01.2016

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