Kündigt sich in Libyen ein Machtwechsel an?

24. September 2020
ZUERST!-Hintergrund: Kündigt sich in Libyen ein Machtwechsel an?
INTERNATIONAL

Tripolis. Im bürgerkriegsgebeutelten Libyen kündigt sich eine Machtverschiebung an, die es in sich haben könnte. Am 16. September äußerte der Ministerpräsident der von den Vereinten Nationen anerkannten „Regierung der nationalen Übereinkunft“ (GNA), Fayiz Sarradsch, vor Ende Oktober zurücktreten zu wollen und seine Befugnisse an einen Nachfolger zu übertragen. Wenige Tage zuvor hatte auch der Chef der oppositionellen Regierung Libyens mit Sitz in Tobruk, Abdullah Thenni, seinen Rücktritt angekündigt.

Seit 2011, als Machthaber Muammar al-Gaddafi mit Hilfe der NATO gestürzt und ermordet wurde, befindet sich Libyen in einem blutigen Bürgerkrieg. Die GNA-Regierung in Tripolis beansprucht die politische Macht im Land. Gleichzeitig wird die GNA von der provisorischen Regierung in Tobruk bekämpft, die sich politisch auf das gewählte libysche Parlament, das Repräsentantenhaus, stützt. Das militärische Rückgrat dieser Regierung ist die „Libysche Nationalarmee“ (LNA) von General Chalifa Haftar, einem angesehenen militärischen Führer und Kommandeur.

Die mit der GNA verbündeten Milizen (darunter viele islamistische Gruppen) kontrollieren Tripolis und die umliegenden Gebiete. Die Armee von Haftar befindet sich im Osten und Süden Libyens.

Daß sowohl Sarradsch und Thenni gleichzeitig ankündigten, zurücktreten zu wollen, kann durchaus als Signal aus beiden verfeindeten Lagern interpretiert werden, wieder zu einer politischen Lösung des Konflikts kommen zu wollen.

Für ein solches Szenario sprechen vor allem auch innenpolitische Gründe. In der vergangenen Woche fanden Massenproteste in den Städten im Osten Libyens statt. Hierbei ging es vor allem um die sich rapide verschlechternde wirtschaftliche Lage des Landes. Im Westen Libyens fanden Ende August ebenfalls Demonstrationen statt. Dort wurden die Proteste allerdings gewaltsam niedergeschlagen, in den Medien wurde von zwei Dutzend Toten berichtet.

Gleichzeitig wurden durch die Niederschlagung der Proteste in Tripolis die Konflikte innerhalb des GNA offenbar: Sarradsch nutzte diese Situation aus und entließ Innenminister Fathi Baschaga, einen einflußreichen Feldkommandeur aus Misrata, der der Folter und Kriegsverbrechen beschuldigt wird, aus seinem Amt.

Aber auch außenpolitisch haben die Rücktrittsankündigungen der beiden rivalisierenden Anführer eine Signalwirkung – denn genau dadurch könnten die Friedensgespräche wieder in Schwung kommen.

Sarradsch kündigte seinen bevorstehenden Rücktritt an und begrüßte gleichzeitig die politischen Konsultationen, die Anfang September zwischen Vertretern beider Seiten in Marokko und der Schweiz begonnen hatten.

Am 21. August versprach Sarradsch zudem die Aussetzung aller militärischen Operationen in Libyen. Er warb auch für die Abhaltung von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im März 2021 auf der Grundlage einer von allen Libyern akzeptierten Verfassung.

Dieselbe Erklärung wurde von Aguila Saleh, dem Sprecher des libyschen Repräsentantenhauses in Tobruk, abgegeben. Im Frühjahr schlug er die Neuformatierung des libyschen Präsidialrats vor, um den Bürgerkrieg zu beenden. Nach Salehs Plan sollte jede der drei libyschen Regionen (Tripolitanien, Kyrenaika und Fezzan) ihre Vertreter im Präsidialrat wählen und so einen politischen Reformprozess einleiten.

Um den Friedensprozeß einzuleiten, sei eine Erneuerung der politischen Führung sowohl in Tripolis als auch in Tobruk unerläßlich, sind sich alle Seiten einig. Saleh wird von der internationalen Gemeinschaft inzwischen als eine wichtiger Verhandlungsführer auf Seiten Tobruks angesehen, der Friedensinitiativen anbietet, die für alle Regionen des Landes akzeptabel sind. Sein politisches Gewicht könnte wahrscheinlich sogar gestärkt werden.

Sarradsch´ Position hingegen wurde in den vergangenen Monaten immer schwächer. Einerseits führte er erfolglos eine Operation zur Eliminierung seines Innenministers Fathi Baschagha durch. Andererseits erklärte Sarradsch ständig, daß er nicht zu Verhandlungen mit LNA-Kommandeur Chalifa Haftar bereit sei. Der Friedensprozeß erfordert jedoch, daß daß mir allen einflußreichen Akteuren, einschließlich Haftar, gesprochen wird.

Am 18. September überraschte der stellvertretende Vorsitzende des Präsidialrats von Libyen, Ahmed Mitiig, mit einem Verhandlungserfolg mit Chalifa Haftar. Er kündigte eine Vereinbarung mit dem LNA-General über die Wiedereröffnung der Ölfelder an. Auch das LNA-Kommando bestätigte, daß eine solche Einigung erzielt worden sei.

Seit Anfang des Jahres, nachdem Stämme im Osten und Süden Libyens die Ölfelder und Exportterminals in den Häfen blockiert hatten, blieben sowohl die Ölförderung als auch der Export – die wichtigste Einnahmequelle des Landes – fast vollständig aus.

Der Grund für die Blockade war, daß die Vertreter der Stämme die Nationale Ölgesellschaft (NOC) und die libysche Zentralbank der ungleichen Verteilung der Gelder aus den Ölverkäufen beschuldigten. Die Ölfelder befinden sich vor allem im Süden und Osten Libyens, aber ein Großteil des Geldes aus dem Verkauf ging in den Westen, der von Islamisten kontrolliert wird, die der GNA gegenüber loyal sind.

Die Notwendigkeit einer gerechten Umverteilung der Öleinnahmen ist zudem eine international vereinbarte Angelegenheit: Genau das wurde bei der Berliner Libyenkonferenz Anfang des Jahres vereinbart.

Das Abkommen zwischen Mitiig und Haftar ebnet damit den Weg für die schnelle Wiederaufnahme der libyschen Erdölexporte. Vor allem für Mitiig ist das ein großer Erfolg – vor ihm bissen sich bereits andere Vertreter der GNA bei diesem Thema an Haftar die Zähne aus.

Zur Regelung der Ölexporte wird eine Sonderkommission eingesetzt, der Vertreter beider Seiten des libyschen Konflikts angehören werden. Das bedeutet nichts anderes, daß sowohl Mitiig als auch Haftar sich für die Fortsetzung und Institutionalisierung des Dialogs über das Ölthema einsetzen werden – und wahrscheinlich auch Themen darüber hinaus diskutiert werden.

Die Bemühungen von Ahmed Mitiig, die Ölexporte wieder aufzunehmen, wurden von einer Reihe von GNA-Vertretern sogar kritisiert. Der Vorsitzende des Obersten Staatsrates, Khaled al-Mishri, lehnt das Abkommen ab. Er gilt als einer der Hauptanwärter für die Nachfolge von Sarradsch und befürchtet offenbar, daß Mitiig ein ernsthafter Konkurrent um die Nachfolge an der GNA-Spitze geworden ist.

Mitiig und al-Mishri stehen allerdings nicht nur im Kampf um die Macht in Konkurrenz zueinander. Auch ideologisch trennen sie Welten. Mitiig gilt als gemäßigter und fähiger Pragmatiker, während al-Mishra bekannt für seine guten Kontakte zur radikal-islamischen Muslimbruderschaft ist. In der Vergangenheit gab es sogar Berichte über Angriffe auf das Haus von Mitiig – ausgeführt durch al-Mishri-treue Milizionäre.

Aber auch GNA-Innenminister Baschaga ist alles andere als zufrieden mit Mitiigs Verhandlungserfolg. Der Politiker und Kommandeur von islamistischen Milizen hat sich selbst hohe Chancen auf einen Machtzuwachs in Tripolis ausgerechnet. Baschaga ist zudem für seine Brutalität bekannt. Im Mitiga-Gefängnis, das von seinen Männern kontrolliert wird, soll es wiederholt zu Übergriffen und Folterungen an den Gefangenen gekommen sein. Im Juni dieses Jahres beschwerte sich der Libyer Ragab Rahil Abdel-Fadil Al-Magarhy sogar bei den Vereinten Nationen, er sei von Baschaga persönlich gefoltert worden.

Die Zukunft Libyens steht derzeit auf des Messers Schneide. Setzt sich Mitiig im Kampf um die Sarradsch-Nachfolge durch, könnte dies schnell zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen und politischen Lage in Libyen führen. Dies hätte auch zur Folge, daß das Land wieder Grenzkontrollen hat und die illegale Migration aus Afrika nach Europa stoppen könnte. Mit Mitiig könnte Libyen schrittweise wieder von einem „Failed State“ zu einem organisierten Staat werden. (CF)

Quelle: zuerst.de vom 24.09.2020 


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Ulrike
Ulrike
3 Jahre zuvor

Wer hat dieses Land kaputt gemacht? Immer die gleichen……

gerhard
gerhard
3 Jahre zuvor

Soll es dort Frieden nach USA/NATO/EU -Vorgaben geben… das glaube ich nicht.
Hoffentlich wachen alle Lybier auf und ziehen an einem Strang… aber das werden die Öldiebe mit allen Mitteln verhindern …

birgit
birgit
3 Jahre zuvor

Oberst Muammar al-Gaddafi hatte die dort lebenden Halbwilden im Griff. Deshalb mußte er weg. Dafür erhielten sie Krieg, vorher hatten die Völker dort in Frieden und sogar im sozialen Reichtum gelebt. Die Idioten haben es nicht anders verdient. Lassen sich aufhetzen und vom Ami das Volksvermögen Oel klauen. Und die Franzosen mischen da auch mächtig mit.