Arbeitsmarkt – Vielen Flüchtlingen droht Arbeitslosigkeit

Immer mehr Geringqualifizierte strömen nach Deutschland. Der Chef der Arbeitsagentur Weise dämpft im Gespräch mit der F.A.Z. übertriebene Erwartungen schneller Erfolge und fordert einfachere Verfahren.

17.09.2015, von Sven Astheimer

© dpa Flüchtlinge werden Mehrarbeit bringen – für die Arbeitsagenturen.

Die Flüchtlingswelle dürfte bald auch deutliche Spuren am deutschen Arbeitsmarkt hinterlassen. Auf die Frage, ob 2016 die Arbeitslosigkeit spürbar steigen werde, sagte Frank-Jürgen Weise, der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, dieser Zeitung: „Wenn nichts passiert, ja.“ Entscheidend für die Entwicklung sei, ob weiterhin so viele Flüchtlinge kommen wie bislang. Für das laufende Jahr hält Weise an der Prognose von knapp 2,8 Millionen Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt fest, da die Konjunktur gut sei und viele Flüchtlinge wegen des Registrierungsprozesses in der Arbeitsmarkt-Statistik schlicht noch nicht auftauchten. 2015 verzeichnet die Arbeitsagentur bislang rund 380 000 neue Arbeitssuchende aus den klassischen Herkunftsländern Afrikas oder des Nahen Ostens. Genauso viele Menschen aus diesen Regionen seien schon in Deutschland sozialversichert beschäftigt, weshalb Weise eine Vermittlung in Arbeit der bisherigen Neuankömmlinge für machbar hält. „Die Größenordnungen, die da sind, schaffen wir“, sagt der Agenturchef.

„Die große Herausforderung werden die Menschen sein, die noch kommen werden.“

Sven Astheimer Autor: Sven Astheimer, Redakteur in der Wirtschaft, zuständig für „Beruf und Chance“. 

Neue Prognosen zur Arbeitslosigkeit wird die Behörde im Laufe des Herbstes vorlegen. Weise warnte vor zu hohen Erwartungen auf schnelle Integrationserfolge. „Die Ankunft von Hunderttausenden ist zunächst einmal eine Belastung für den Arbeitsmarkt.“ Viele verfügten nicht über die notwendigen Sprachkenntnisse, anderen mangele es an der nötigen Qualifikation. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ging zuletzt davon aus, dass nicht einmal jeder Zehnte die nötigen Voraussetzungen mitbringe, um direkt einen Arbeitsplatz zu finden. Langfristig bezeichnete Weise die Asylbewerber jedoch als „große Bereicherung“ für Deutschland und dessen Wirtschaft, mit deren Hilfe es sogar gelingen könnte, die negativen Folgen des demographischen Wandels abzufedern. Bisherigen Berechnungen zufolge schrumpft die arbeitsfähige Bevölkerung bis 2030 um mehrere Millionen. Anhaltende Flüchtlingsströme würden diese Entwicklung jedoch erheblich verändern.

Für die kommenden Aufgaben werden zusätzliche Hilfen nötig. Weise rechnet damit, dass in den Agenturen und Jobcentern rund 3000 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden müssen. Für 2016 rechnet das Arbeitsministerium mit Mehrkosten für Arbeitsmarktpolitik und Arbeitslosengeld II in Höhe von mindestens 3 Milliarden Euro. Für eine erfolgreiche Vermittlung müsse aber das gesamte Aufnahmeverfahren deutlich beschleunigt werden, fordert der Behördenmanager. Es dauere zu lange, ehe tatsächlich ein Arbeitsplatz für die Flüchtlinge gesucht werden könne.

Eine weitere Hürde ist die geringe Qualifikation vieler Flüchtlinge. Laut erster Daten der Agentur dürfte mehr als die Hälfte keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Zwischen 15 und 25 Prozent verfügen den Schätzungen zufolge über einen Hochschulabschluss. In allen Fällen muss jedoch ein Anerkennungsverfahren durchlaufen und festgestellt werden, was ein formaler Abschluss am deutschen Arbeitsmarkt wert ist. Rund zwei Drittel der Asylbewerber sind männlich. Für den Westbalkan ist die Frauenquote höher, allerdings sind hier die Anerkennungschancen minimal. Positiv für die Suche nach einem Arbeitsplatz wirkt sich aus Sicht von Weise aus, dass rund 80 Prozent der Asylbewerber jünger als 35 Jahre alt sind. In dieser Altersgruppe können leichter Abschlüsse erworben werden.

Viele sprächen höchstens Englisch

Selbst bei vorhandener Qualifikation stehen einer erfolgreichen Vermittlung an Arbeitgeber häufig noch mangelnde Deutschkenntnisse im Weg, sagt Weise. Viele Flüchtlinge sprächen höchstens rudimentär Englisch oder Französisch. Die Arbeitsagentur hat deshalb ihren Dolmetscherdienst erweitert, auf den per Videokonferenz nun alle Niederlassungen zugreifen können. Eine gelungene Integration setzt nach Weises Dafürhalten zudem einen aktiven Beitrag der Neuankömmlinge voraus. Diese Menschen seien nach Deutschland geflohen, weil sie das Gefühl hätten, hier einen sicheren Rechtsstaat vorzufinden. „Sie müssen auch ihren Beitrag leisten, diese Verhältnisse zu erhalten“, mahnt Weise.

Ein Lob spricht Weise der deutschen Wirtschaft aus. „Die Arbeitgeber geben ein gutes Bild ab“, sagte er. Es gebe viele Einzelaktionen, wie die Übernahme der Kosten für 20 000 Sprachkurse durch die Schnellrestaurantkette McDonald’s, aber auch die klare Positionierung der großen Verbände, sich ergebende Chancen nutzen zu wollen. Auf die Forderungen, für Flüchtlinge Ausnahmen vom allgemeinen Mindestlohn von 8,50 Euro zu genehmigen, ging Weise nicht direkt ein. Sollten sie langzeitarbeitslos (länger als zwölf Monate) werden, bestehe ja schon die Möglichkeit für Abweichungen. „Unsere Aufgabe ist es aber, diese Menschen zu befähigen, dass sie mindestens 8,50 Euro in der Stunde verdient haben“, sagte Weise. Arbeitsministerin Nahles hat schon klargemacht, dass solche Ausnahmen mit ihr nicht zu machen seien. Die Gewerkschaften warnen vehement davor, dass durch einen solchen Niedriglohnsektor Flüchtlinge und Arbeitslose gegeneinander ausgespielt würden.

„Die vielen Geringqualifizierten bringen mehr Druck in die Arbeitswelt“, schätzt Weise. Mit starken Verdrängungseffekten zu Lasten von Langzeitarbeitslosen rechnet er zunächst jedoch nicht. Dank der guten Konjunktur der vergangenen Jahre herrsche in weiten Teilen Süddeutschlands Vollbeschäftigung, und vielerorts seien sogar Produktionshelfer schwer zu finden. Dort seien die Integrationschancen für Flüchtlinge sehr gut.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 17.09.2015

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