»Unterirdisch«: Endlich verdienen Journalisten weniger als ihre Putzfrauen

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22.12.2015
Markus Mähler

Den Ruderern wird die Ration auf der Strafgaleere gestrichen: Jahrelang sparten sich die Verlage Sozialabgaben für ihre Journalisten. Bezahlt hat es ja die Allgemeinheit. Der Trick mit der Scheinselbstständigkeit flog zuerst bei M. DuMont Schauberg auf. Jetzt muss der Kölner Verlag seine »freien« Mitarbeiter richtig einstellen – als Leiharbeiter zum Sklaventarif. Das kann für die Branche zum Vorbild werden: sich nicht nur herausmogeln, sondern gleich noch mehr sparen.

Immer mehr Mainstream-Journalisten enden als Henne in der Legebatterie: Zusammengepfercht in fabrikhallengroßen Büros schreiben sie Texte im Akkord. Nebenbei wird gelayoutet, redigiert, koordiniert und das fertige Produkt in alle denkbaren Kanäle von Online bis Print gedrückt. Wenn Zeit übrig bleibt, wird sogar noch ein bisschen recherchiert.

Diese eierlegende Wollmichsau in Massenviehhaltung überwacht sich nebenbei gleich selbst und ist auf dem Präsentierteller jederzeit griffbereit. Die Journalistenverlage haben ihren Galeerensträfling 2.0 sogar noch steueroptimiert: Wer dort in der Legebatterie durcharbeitet, ist offiziell nicht da und muss deshalb gar nicht erst zwangsversichert werden. Vom Spiegel bis zur ZEIT, von derSüddeutschen bis zum Kölner Stadt-Anzeiger– überall wird auf dem Papier gezaubert: Die kasernierten Legehennen flitzen für das Finanzamt als glückliche »freie« Hühner in Freilandhaltung über grüne Wiesen.

Die Verlage sparen sich mit diesem juristischen Etikettenschwindel mehr als nur die Sozialabgaben. Ihren Arbeitgeberanteil bezahlt die steuerfinanzierte Künstlersozialkasse. Das System, was die Verleger lange sehr glücklich machte, bietet aber noch viel bessere Boni: Ihre »freien« Festangestellten haben keinen Kündigungsschutz, keinen geregelten Urlaub und bekommen Krankheitstage nicht bezahlt.

Endlich in Festanstellung: aber der Sklaventarif ist »unterirdisch«

Anfang April war dieser Traum erst einmal ausgeträumt. Beim Kölner Stadt-Anzeiger trommelte der Chefredakteur seine aufgeschreckten Legehennen eilig zusammen: Man solle sich nicht wundern,wenn gleich der Zoll in die Redaktion einrückt.

Das sei normal, weil gegen den Kölner Verlag M. DuMont Schauberg ein »Ermittlungsverfahren wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen« laufe. Inzwischen stehen oder standen auch Spiegel Online, Süddeutsche Zeitung,Springer, Zeit Online und der Berliner Tagespiegel unter dem Verdacht des Sozialversicherungsbetrugs und der systematischen Scheinstselbständigkeit.

Acht Monate später blickt die ganze Medienbranche wieder auf M. DuMont Schauberg (neben Kölner Stadt-Anzeiger auch Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung, Express undHamburger Morgenpost). Was dort jetzt passiert, hat Modellcharakter – denn eher früher als später werden alle die juristisch abenteuerliche Konstruktion ihrer scheinfreien Legehennen ähnlich klären.

DuMont knickt gerade vor der Kölner Staatsanwaltschaft ein, berichtet die taz: Der Verlag bietet seinen »dauerhaft freien Mitarbeitern«, auch Pauschalisten genannt, endlich eine Festanstellung an. Für viele die erste nach 20 Jahren Arbeit für DuMont. Bekommen die Legehennen ihr Happy End?

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11,25 Euro pro Stunde – Putzfrauen bekommen 12,95

Mitnichten. Der angebotene Tarif sei laut Betriebsrat »unterirdisch«. Ein Journalist, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will, sagt: »Die angebotenen Konditionen sind eine Frechheit.«Allein am Verlagsstandort Köln werden kurz vor Weihnachten 150 Pauschalisten zum Einzelgespräch gebeten. Die Geschäftsführung möchte bis zum Januar eine »rechtssichere« Grundlage herstellen und dabei offenbar auch noch sparen.

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So sieht ein Angebot aus, das sich »an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen«orientiert: Der auf ein Jahr befristete Vertrag mit einer »branchenüblichen« Probezeit von sechs Monaten läuft über 40 Wochenstunden und wird mit 1.800 Euro brutto entlohnt.

Das sind 30 Prozent unter dem bisherigen Honorar. Mit Tagessätzen von 80 bis 100 Euro kratzen die DuMont-Legehennen aber schon jetzt am Existenzminium. Kein Vergleich zu einem Erste-Liga-Gehalt, was Redakteure mit Tarifschutz erwarten dürfen: 5 000 Euro brutto.

Das genehmigen sich übrigens die glücklichen Alpha-Journalisten bei DuMont. Die Pauschalisten des Verlags werden jetzt bloß auf eine andere Verliererstraße verschoben. Als Leiharbeiter sind sie dann bei einer Tochterfirma ausgelagert, machen aber die gleiche Arbeit wie bisher im Verlag.

DuMont-Pauschalisten: Lieber gleich schwarz putzen gehen?

Diese zum 1. Januar gegründete Firma Rheinland Media24 ist nicht tarifgebunden. Sie kann im Krisenfall schnell versenkt werden und mit ihr alle Leiharbeiter. Eine Funktionärin des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) bezeichnete die Praktiken von DuMont als beispiellos: Kein anderer Verlag hatte so konsequent auf Pauschalisten gesetzt.

Genauso »konsequent« setzt man dort jetzt wohl auf journalistische Leiharbeiter, die wie Festangestellte arbeiten. Es wird also nur ein fragwürdiges Sparmodell gegen ein anderes ausgetauscht.

Einige der Pauschalisten und Bald-Leiharbeiter haben sich den neuen Sklaventarif bereits in einen Stundenlohn umgerechnet: 11,25 Euro brutto. Die dauerstreikenden Lagerarbeiter des umstrittenen Versandriesen Amazon verdienen nicht viel weniger. Und ja: Putzfrauen bei der Frankfurter FairCare bekommen tatsächlich 12,95 Euro die Stunde. Allerdings arbeitet nur jede Sechzehnte überhaupt legal.

Das Kölner Weihnachtsgeschenk: Wer nicht unterschreibt, sitzt auf der Straße

Bei DuMont regiert deshalb inzwischen der Galgenhumor. Eine Pauschalistin sagt: »Meine Putzfrau verdient mehr.« Sie berichtet auch: »Man hat uns gesagt, es gebe hier keinen Verhandlungsspielraum, denn der Verlag habe kein Geld, um mehr zu bezahlen. Wer den Vertrag nicht unterschreibt, wird ganz klar ab Januar nicht mehr weiter beschäftigt.«

Der Verlag, der 2014 einen Gewinn von fünf Millionen Euro einfuhr, macht hier ein Weihnachtsgeschenk, mit dem er sich selbst beschenkt: Es laufen bisher nur mündliche Gespräche, Vertragsunterlagen hat noch niemand erhalten – wohl um Absprachen der Gehaltsopfer untereinander zu verhindern.

Die Pauschalisten fühlen sich »bedrängt«. Eine Mitarbeiterin sagt: »Ich habe mündlich erstmal zugesagt. Bis zum 1. Januar finde ich sicher keinen neuen Job und bin auf diesen angewiesen.« Auch das werden die anderen Verlage gerade sehr wohl registrieren, die auch keine »rechtssichere« Grundlage für ihre eigenen Pauschalisten suchen. Der Journalistensatz des Jahres 2016 dürfte also lauten: Liebling, unsere Putzfrau verdient mehr als ich.

Quelle: Kopp-online vom 22.12.2015

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