Schlacht um Verdun 1916 – „Buchstäblich zu Schlacke verbrannt“

 

Schlacht um Verdun: Apokalypse des Stellungskriegs
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Mann gegen Mann in der „Knochenmühle“: Das Grauen von Verdun ist unvorstellbar. Historiker Gerd Krumeich erklärt, was gerade diese Schlacht zum Inbegriff des sinnlosen Gemetzels macht – und was sie uns lehrt.

Ein Interview von Katja Iken

 

„Die Menschheit ist verrücktgeworden. Was für ein Massaker! Dieser Horror, dieses Gemetzel. Ich finde keine Worte, um meine Eindrückewiederzugeben. So furchtbar kann nicht einmal die Höllesein.“

Das notierte der französische Leutnant Alfred Joubaire am 22. Mai 1916 in seinem Tagebuch. Eine Woche später fiel auch er, mit gerade einmal 20 Jahren. In einem Abschlachten, dessen Ungeheuerlichkeit schon damals alle Vorstellungen überstieg. Joubaire war einer der über 300.000 Soldaten, die in der zehnmonatigen Schlacht um Verdun ihr Leben ließen. Die Schlacht, die kaum Geländegewinne brachte, gilt bis heute als Inbegriff des sinnlosen massenmörderischen Gemetzels.

Zur Person
  • Professor Gerd Krumeich, Jahrgang 1945, gilt als einer der renommiertesten Experten auf dem Gebiet des Ersten Weltkriegs. Ende der Siebzigerjahre besuchte der Historiker erstmals das Schlachtfeld um Verdun, mit seinen Studenten veranstaltete er regelmäßig Exkursionen zum Kriegsschauplatz. In seinem jüngst erschienenen Buch „Verdun 1916“ beleuchten Krumeich und sein Kollege Antoine Prost die Schlacht und den Mythos aus deutsch-französischer Perspektive.

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einestages: Verdun war weder die verlustreichste noch die strategisch wichtigste Schlacht des Ersten Weltkriegs. Trotzdem steht gerade sie wie keine Zweite für den Wahnwitz dieses Krieges. Warum?

Krumeich: Verdun ist das, was ich eine totale Schlacht nenne. Am 21. Februar 1916 eröffneten die Deutschen aus 1250 Rohren ein neunstündiges Trommelfeuer: Das hatte die Welt noch nie erlebt. Einzigartig an Verdun ist aber vor allem diese Kombination aus modernster Fernartillerie und archaischsten Formen des gegenseitigen Tothauens. Der Feind war fast immer in Sichtweite, hier kämpfte Mann gegen Mann, Würgegriff gegen Würgegriff. Mit Knüppel, Messer, Spaten als bevorzugte Mordwerkzeuge – und das unter Beschuss durch die modernsten Waffen, die es damals gab: Flammenwerfer, Giftgas, schwere Artillerie, Jagdflieger.

einestages: Die erbitterte Materialschlacht, die kaum Geländegewinn brachte, hat die gesamte Landschaft umgepflügt, neun Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und den Boden bis heute verseucht.

Krumeich: Auch deshalb hat sich gerade Verdun in der kollektiven Erinnerung tief eingebrannt. Nirgendwo ist das Schlachtfeld noch so großflächig vorhanden wie vor Verdun. Wer einmal dort war, wird den Anblick nie mehr vergessen. Dieses durch ständigen Beschuss wellenförmig aufgeworfene, dünenartige Gelände mit eher zufälligem Baumbewuchs. Unvorstellbar, dass da überhaupt Menschen überleben konnten.

einestages: Schmerz, Einsamkeit, Entmenschlichung – das erfuhren Soldaten auf beiden Seiten der Front. Was war das Schlimmste vor Verdun?

Krumeich: Der Durst! Das gibt es an keiner anderen Front in diesem Maße. Dieses Ausgesetztsein, dieses nicht Wegkönnen. Keinen Meter auch nur wegrobben zu können aus dem Schutzloch, in dem man ist. Weil alles, was man macht, unter der Beobachtung des Feindes steht. Der Feind weiß ganz genau, wo die Quellen sind, wo ich mein Wasser holen muss. Und das liegt unter Beschuss, Dauerbeschuss. Du kommst nicht hin, du verdurstest vor Ort. Und wenn du anfängst, deinen Urin zu trinken oder den deiner Kameraden, dann wird’s schlimm. Schlimmer noch ist es, wenn du anfängst, das Kühlwasser der Maschinengewehre zu trinken. Erstens war das kaum zu trinken. Zweitens hattest du dann kein Maschinengewehr mehr.

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einestages: Was ist mit dem Regenwasser?

Krumeich: In den Pfützen der Granattrichter lagen meist Leichen, das Wasser war verseucht. Neben dem Durst trieb die Soldaten am stärksten die Angst um, dass ihnen ein Schrapnell das Gesicht zerfetzt, dass sie durch den Beschuss verschüttet und lebendig begraben werden. Ärzte berichten auch von den Höllenqualen Verwundeter, denen sie die Stiefel auszogen. Die Soldaten hatten sie bis zu drei Monate am Leib – die Schuhe waren mit dem Körper verwachsen.

einestages: Schon im Herbst 1915 hatte es Großoffensiven mit gigantischen Verlusten gegeben. Warum lernten die Generäle nicht dazu und änderten 1916 ihre Taktik?

Krumeich: Auf beiden Seiten glaubte man an schiere materielle Überlegenheit: Wir können siegen, wenn wir es nur schaffen, noch mehr Material heranzuschaffen. Und dazu gehörten Menschen ebenso wie Waffen und Munition. Im März 1914 wurden in Deutschland 15.000 Gewehre pro Monat produziert. Ein Jahr später waren es 150.000, im März 1916 dann über eine Million. Der Glaube an die Industrialisierung des Kriegs war immens. Zudem kannte man erst ab 1919/1920 die genauen Verlustzahlen – was dann einen ungeheuren Schock auslöste.

einestages: Hatten die Heeresleitungen den Bezug zur Realität verloren?

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Krumeich: Wir haben es hier mit einer Generalität zu tun, die sich immer mehr vom Schlachtfeld entfernte. Ein Skandal: Die hohen Herren saßen an ihren reich gedeckten Tischen in Hörweite des Infernos und hatten keinen Schimmer davon, was sich in den Schützengräben abspielte. Diese Trennung von Kommando- und Kampfebene ist heute im Prinzip nicht anders.

einestages: Warum griffen die Deutschen im Februar 1916 ausgerechnet in Verdun an?

Krumeich: Die Kämpfe waren in den Schützengräben erstarrt, die Soldaten frustriert. Das war tödlich für die Moral. In erster Linie wollte Generalstabschef Erich von Falkenhayn wieder Bewegung in den Krieg bringen – und natürlich die Festung Verdun erobern.

einestages: Später verbreitete Falkenhayn jedoch eine ganz andere Version.

Krumeich: In seinen unmittelbar nach dem Krieg verfassten Memoiren präsentierte Falkenhayn die Legende, es sei ihm vor Verdun von Anfang an gar nicht um einen Sieg gegangen, sondern allein darum, die Franzosen dort „weißzubluten“. Auf zwei tote deutsche Soldaten sollten fünf Gegner kommen.

einestages: Diese Strategie erläuterte er angeblich in der „Weihnachtsdenkschrift“, datiert auf Dezember 1915, also vor Beginn der Schlacht um Verdun.

Krumeich: Ein Dokument, das niemand kennt und das nie gefunden wurde. Es steht einzig und allein in Falkenhayns Memoiren. Ich halte es für eine plumpe Fälschung – so zynisch, dass Jahrzehnte lang keiner an der Echtheit zweifelte.

einestages: Ab wann wurde Verdun zum Mythos verklärt?

Krumeich: Unmittelbar nach Beginn der Schlacht erklärten die französischen Politiker Verdun zum Herz der Nation, um jeden Preis zu verteidigen. Sie gaben die Devise aus: Hier vor Verdun ist Schluss, hier muss ein Zeichen gesetzt werden. Genau so kam es. Den taktischen Sieg erlangten die Franzosen. „Ils n’ont pas passé“: Sie (die Deutschen) kamen nicht durch – so lautet die Inschrift des Denkmals auf der umkämpften Höhe „Toter Mann“.

einestages: Und der deutsche Verdun-Mythos?

Krumeich: Verdun repräsentiert in gewisser Weise die Sinnlosigkeit des Kriegs, der Mythos ist auf deutscher Seite stark negativ aufgeladen. Verdun war der Verrat am Soldaten, Verdun war die nutzlose Aufopferung derjenigen, die bereit waren, für ihr Vaterland zu sterben. Und das ist es in gewisser Weise geblieben.

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Katja Iken/SPIEGEL ONLINE

einestages: Wie kam es, dass nahezu jeder französische Soldat einmal vor Verdun kämpfte?Krumeich: Um die Deutschen abzuwehren, ersannen die Franzosen ein einzigartiges Rotationsprinzip: die sogenannte Noria. Auf der „Heiligen Straße“ von Bar-le-Duc nach Verdun rollten Tag und Nacht Lastwagen, um Soldaten, Waffen, Munition und Verpflegung an die Front zu bringen. Zwei Drittel aller französischen Divisionen kämpften im Wechsel vor Verdun: vier, fünf Tage, dann kam jemand anderes dran. Hinterher hatte jeder französische Soldat das Bewusstsein: „Ich habe vor Verdun dazu beigetragen, dass die Deutschen nicht durchkamen. Ich war dabei.“ Dagegen kämpften die deutschen Soldaten im Schnitt deutlich länger vor Verdun. Sie wurden, wie man damals sagte, buchstäblich „zu Schlacke verbrannt“.

einestages: Die Franzosen wehrten vor Verdun die deutschen Aggressoren ab; den deutschen Soldaten musste das Gemetzel noch sinnloser erscheinen. Warum begehrten sie nicht auf?

Krumeich: Diese Frage treibt mich bis heute um. Woher kommt dieser ungeheure Kampf-Elan? Monat für Monat fliegen dir die Eingeweide deiner Kameraden durch Granatbeschuss um die Ohren, dennoch machst du weiter. Kaum einer der Verdun-Soldaten beging Fahnenflucht, es gab kaum Kriegsgerichtsprozesse. Eine große Rolle spielte damals sicher die Angst vor Ehrverlust. Die Verdun-Soldaten waren tatsächlich von der Sinnhaftigkeit ihres Opfers überzeugt.

einestages: Im Juli 1936 trafen sich 30.000 Verdun-Veteranen aus Deutschland und Frankreich in Douaumont, um einen „Friedensschwur“ abzulegen. Dabei hatte Hitler alles andere als Frieden im Sinn.

Krumeich: Viele vertrauten Hitler, weil er den Ersten Weltkrieg selbst als Frontsoldat erlebt hatte. In der Schlacht an der Somme war er im Oktober 1916 auch verwundet worden. Es herrschte die Überzeugung: Wer durch diese Hölle gegangen ist, der kann keinen Krieg mehr wollen. Ein fatales Missverständnis.

Quelle: Spiegel-online vom 16.02.2016

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