Saakaschwili scheitert in Odessa: Lokale Eliten und Kiew machen nicht mehr mit

Gouverneur Micheil Saakaschwili empfängt den US-amerikanischen Senator John McCain; Odessa, 23. September 2015.

Gouverneur Micheil Saakaschwili empfängt den US-amerikanischen Senator John McCain; Odessa, 23. September 2015.

Der in der deutschen Presse zunächst als „Wunderwaffe“ gepriesene Gouverneur des Gebiets Odessa, Micheil Saakaschwili, gab am Montag seinen Rücktritt bekannt. Er sei müde von der Weigerung Präsident Poroschenkos, ihn im Kampf gegen Korruption zu unterstützen.

Noch im Mai 2015 bejubelte die deutsche Presse einhellig die Ernennung von Micheil Saakaschwili zum Gouverneur des Gebiets Odessa als vermeintliche „Wunderwaffe“ der prowestlichen ukrainischen Regierung. Der ehemalige georgische Präsident sei reformentschlossen und könne sich auf die Erfahrungen mit der Bekämpfung der Korruption in seiner Heimat Georgien stützen. Nur seine Rolle bei der Entfesselung des fünftägigen russisch-georgischen Krieges zu Zeiten seiner Präsidentschaft trübte ein wenig das Bild – aber nur bei jenen, die nicht nur über ein langes Gedächtnis verfügen, sondern auch noch von der wohlfeilen Russlandschelte unbeeindruckt geblieben sind.

Für die US-amerikanischen Kuratoren und Vertreter europäischer Banken sollte er die strategisch wichtige Region mit dem großen Handels- und Militärhafen für die Privatisierung und die Ausweitung der amerikanischen Militärpräsenz fit machen. Senator John McCain und der US-Botschafter Geoffrey R. Pyatt statteten Saakaschwili entsprechend auch schon zu einem frühen Zeitpunkt Besuche ab. Bereits im Juni 2015 lief zudem eine hohe Delegation der Europäischen Bank für Entwicklung und Zusammenarbeit durch den Hafen.

Der Hafen von Odessa ist einer der größten in Europa.
Der Hafen von Odessa ist einer der größten in Europa.

Eine bessere Grundlage für Spekulationen über einen baldigen Ausverkauf des Hafens an ausländische Investoren konnte er kaum liefern. In sein Team holte Saakaschwili junge ukrainische und georgische Technokraten und überwarf sich schon bald mit alteingesessenen lokalen Klans, die auf „Schemata“ setzen – gemeint sind damit über lange Zeit bewährten Korruptionswege.

Doch das Ausbrechen aus diesen „Schemata“ durch einen Außenstehenden, einen politischen Nomaden, der außer seinem russophoben Image nicht viel Greifbares zu bieten hatte, stieß bei Odessaer Eliten auf große Skepsis. Sein Auftreten als ukrainischer Patriot und Kämpfer gegen den Separatismus wurde ihm zudem von vielen in der Stadt, die am 2. Mai 2014 zum Schauplatz eines von nazistischen Schlägern verübten Massakers an Oppositionellen geworden war, übel genommen. Eine überschaubare Gruppe von zugereisten Maidan-Begeisterten, die den Medienprofi regelmäßig bei seinen öffentlichen Auftritten begleitete, konnte an dieser Tatsache nur wenig ändern.

Odessa, gegründet Anfang des 19. Jahrhunderts, war im Russischen Zarenreich ein freier Hafen und stieg zur drittreichsten Stadt des Landes auf. Das multinationale, aber russisch geprägte Odessa blickt auch auf eine spezifische Gaunertradition zurück, die in vielen Werken der Literatur und Stadtfolklore festgehalten wurde. Während des Zweiten Weltkrieges bekämpften die in Stadtkatakomben verschanzten Partisanen die deutschen und rumänischen Besatzer. Ein Fremder konnte in einer Stadt von solcher geschichtlicher Dichte realistisch gesehen recht wenig ausrichten.

Protestler der Bewegung "Für den freien Hafen Odessa"
Protestler der Bewegung „Für den freien Hafen Odessa“

Je höher die Hürden wurden, die Saakaschwili für sein „Vorhaben“ in Odessa sah, desto drastischer wurden seine Vorstöße in die Höhen der gesamtukrainischen Politik. Legendär ist seine beinahe handgreifliche Auseinandersetzung mit Innenminister Arsen Awakow während der Sitzung des Nationalen Reformrates beim Präsidenten im Dezember 2015. Damals beschuldige er vor laufenden Kameras den damaligen Premier und seinen Innenminister, Drahtzieher staatlicher Korruption zu sein.

Für kurze Zeit wurde Saakaschwili in der Presse sogar als möglicher Nachfolger für den rücktrittsreifen Premier Arsenij Jazenjuk gehandelt. Doch bald wirkte Saakasachwili in der ukrainischen Politik immer mehr deplatziert. Seit Anfang des Jahres kolportierte die Presse sogar Gerüchte, wonach Poroschenko Saakaschwilis Amtsenthebung bereits unterzeichnet habe und er nur noch abwarten wolle, bis der Nachfolger gefunden sei.

Was Poroschenko, der Saakaschwili auf Rat der Amerikaner Odessa zugeteilt hatte, tatsächlich mit ihm vorhatte, wusste der Gouverneur sicher selbst. Den politischen Gastspieler ereilte im Vorfeld der georgischen Parlamentswahlen kurzerhand Lust auf die Politik in seinem Heimatland. Beinahe täglich deutete er seine mögliche Rückkehr nach Georgien an.

Doch auch hier erwartete Saakaschwili eine kalte Dusche. Georgische Behörden erinnerten ihn unmissverständlich an ein Urteil, wonach auf ihn elf Jahre Freiheitsentzugs wegen Amtsmissbrauch und anderer Vergehen warten würden. Seine Partei „Einige Nationale Bewegung“ kassierte eine Niederlage.

Screenshot (657)

Der charismatische PR-Profi machte aus seinem Scheitern einen großen Mediencoup. Gestern Morgen gab er vor der Kulisse des Hafens, umgeben von prominenten Gesichtern des Maidan wie Julia Maruschewska, seinen Rücktritt bekannt. Seine auf Russisch gehaltene Rede wurde zu einer Fundgrube rhetorischer Spitzen gegen Poroschenko und die vor Ort tätigen kriminellen Klans, die seine Arbeit unmöglich machten.

Ich habe es satt, ich bin müde. […] Es macht für die Ukrainer kein Unterschied, ob Sie unter Poroschenko oder Janukowitsch bestohlen werden.

Der unmittelbare Anlass für seinen Entschluss sei die Schließung des modernen Bürger-Servicecenters am 2. November gewesen. Dies war sein Vorzeigeprojekt, doch die jüngsten Auflagen vonseiten des Parlaments machten dessen Arbeit unmöglich.

Der Gouverneur von Odessa gibt am 7. November im Fernsehen seinen Rücktritt bekannt. Screenshot vom Fernsehbeitrag des Senders 112.
Der Gouverneur von Odessa gibt am 7. November im Fernsehen seinen Rücktritt bekannt. Screenshot vom Fernsehbeitrag des Senders 112.

Der ukrainische Politologe Wadim Karasew erkannte in Saakaschwilis Rücktritt ein Vorzeichen für möglicherweise bevorstehende vorgezogene Parlamentswahlen:

Der Rücktritt ist mit Poroschenko vereinbart worden. Odessa ist zu kompliziert für Saakaschwili. Sein Rücktritt ist die Vorbereitung für vorgezogene Parlamentswahlen, und er will dafür eine neue Partei aufbauen. Nach der Veröffentlichung der E-Deklarationen ist dieses Parlament zum Scheitern verurteilt. Mit seiner Partei hat er bereits die nächsten Wahlen in Visier“, sagte Karasew gegenüber dem Fernsehrsender 112.

Was der Experte, der oft die ukrainische Stimme in diversen russischen Polittalkshows repräsentiert, unter „zu kompliziert“ meint, verdeutlichen Einschätzungen aus Russland.

Das ist ein Kampf um Eigentum und Finanzströme, die unter den politischen Würdenträgern, Spitzenbeamten und Abgeordneten von oben nach unten geleitet und verteilt werden. Saakaschwili geriet sich offenbar mit den Klans ins Gehege, die Poroschenko vertreten“, sagte Politologe Ewgenij Ben gegenüber RT.

Der ukrainische Politologe Alexej Jakubin ist der Meinung, Saakaschwili habe Poroschenko als Kritiker Jazenjuks für seine Zwecke instrumentalisiert. Als dieser weg war, begann für den politischen Vagabunden eine schwierige Periode. Viele schließen nun seine Rückkehr in die USA oder den Einsatz in anderen Brennpunkten amerikanischer Interessen nicht aus.

Dienstleistung

alles-auf-einen-klick.eu

Wir formulieren für Sie Briefe, Einsprüche, Widersprüche, Klagen nach Ihren Wünschen und stellen diese rechtsverbindlich zu.

Wir helfen Ihnen auch Bescheide von Gerichten und Behörden erfolgreich abzuwehren.

(Klick aufs Bild und es geht los)

Dieser Beitrag wurde unter Aktuell, Geschichte, Kultur, Nachrichten, Politik, Soziales, StaSeVe Aktuell, Völkerrecht, Wirtschaft, Wissenschaft abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.
0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
1 Kommentar
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
Geronimo
Geronimo
7 Jahre zuvor

Dagegen, dass jemand Willi heißt, ist nichts einzuwenden, aber der andere Teil des Namens ist ja direkt ordinär.
Können die Medien da nicht mal mäßigend eingreifen?