Sächsische Polizei – Am Ende der Kräfte

 

In Heidenau blieb es am Wochenende ruhig. Das ist endlich einmal eine gute Nachricht für Markus Ulbig, den Innenminister im Freistaat – denn die Polizei ist an ihre Grenzen gekommen.

30.08.2015, von Stefan Locke, Heidenau

© Imago Auch das ist Heidenau: Einheimische und Flüchtlinge demonstrieren gemeinsam gegen Fremdenfeindlichkeit

Bis zum Sonntagabend blieb das Wochenende in Sachsen und auch in Heidenau ruhig – das ist in diesen Tagen schon eine Erfolgsmeldung. „Die Dresdner Polizei zieht ein positives Fazit zu ihrem bisherigen Einsatz. Die Versammlungen in Heidenau und Dresden verliefen friedlich“, teilte die Polizei am Sonntag mit.

Stefan Locke Autor: Stefan Locke, berichtet für die Politik aus Sachsen. 

Am Samstagnachmittag hatten rund 5000 Menschen im Dresdner Zentrum gegen die Gewalt von Rechtsradikalen in Heidenau am vorvergangenen Wochenende demonstriert; sie prangerten auch die politisch Verantwortlichen an. 400 der Teilnehmer waren am Abend weiter nach Heidenau gefahren, wo sie vom Bahnhof zu dem einstigen Baumarkt, der seit zehn Tagen als Notunterkunft für 600 Asylbewerber dient, zogen. „Außer einem gezündeten Böller kam es dabei zu keinen Vorkommnissen“, notierten die Beamten.

Eine gute Nachricht war das auch für Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), dem die Missstände bei der Umsetzung des Asylrechts im Freistaat angelastet werden. Tatsächlich ist Ulbig für nahezu alles verantwortlich, was mit Asyl zusammenhängt: Für die Landesdirektion, welche die Flüchtlinge über das Land verteilt, für die Kommunen, in denen sie untergebracht werden, und für die Polizei die sie beschützen muss.

Dreimal Demonstrationsverbot

In der vergangenen Woche, am späten Donnerstagabend, schien schon wieder vieles außer Kontrolle geraten zu sein: Der Landrat des Kreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, in dem Heidenau liegt, hatte ein Versammlungsverbot für das komplette Wochenende, von Freitagmittag bis Montagmorgen, verhängt; die Begründung lautete: Polizeinotstand.

Es war – nach Dresden und Leipzig – bereits das dritte Mal in diesem Jahr, dass in Sachsen Demonstrationen verboten werden, doch die Allgemeinverfügung hatte vor den Gerichten keinen Bestand, am Samstag setzte das Bundesverfassungsgericht das Verbot außer Kraft. Die Polizei hatte vor dem Wochenende Anfragen an andere Bundesländer gestellt, mehr Einsatzkräfte für das Wochenende zu bekommen, an dem in Heidenau ein „Willkommensfest“ für Flüchtlinge gefeiert werden sollte, aber auch Rechtsextreme abermals Demonstrationen angemeldet hatten.

Ein Land nach dem anderen beschied den Sachsen, keine freien Einheiten zur Verfügung zu haben. In ganz Deutschland hatte es in der vergangenen Woche Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte gegeben, überall schoben Beamte Überstunden, um Flüchtlinge zu schützen.

Markt der Kulturen gegen Rechtsradikale

Minister Ulbig wollte aber wenigstens das „Willkommensfest“ ermöglichen: entweder auf dem nicht öffentlichen Gelände des einstigen Baumarktes oder deklariert als „Privatfest“, also ohne politische Transparente und Parolen; die Absprachen dazu liefen zwischen ihm, den Veranstaltern und Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz.

Ulbig war wichtig, dass nach einer Woche verheerender Nachrichten ein friedliches Zeichen von Heidenau ausging. Er kennt die Stadt gut, bis heute wohnt er im benachbarten Pirna, wo er acht Jahre lang Oberbürgermeister war, bevor ihn Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) 2009 zum Innenminister berief.

In seiner Pirnaer Amtszeit engagierte sich Ulbig gegen rechtsextreme Gewalt, die sich in der Region auch nach dem Verbot der Terrorgruppe „Skinheads Sächsische Schweiz“ festgesetzt hatte. Er ernannte einen Beauftragten für Demokratie und gegen Extremismus, unterstützte Initiativen wie die „Aktion Zivilcourage“ und den „Markt der Kulturen“, der auch heute noch jedes Jahre in der Stadt für ein respektvolles und weltoffenes Zusammenleben wirbt, und er erwarb sich damit großes Ansehen auch über Parteigrenzen hinweg.

Linke beleidigen CDU-Politiker

Als dann am Freitagmittag das Verwaltungsgericht Dresden das Versammlungsverbot wegen „offenkundiger Rechtswidrigkeit“ aufgehoben hatte, war auch Ulbig nach Heidenau gefahren, um Flüchtlinge willkommen zu heißen. Auf einer städtischen Wiese in der Nähe der Asylbewerberunterkunft gab es Musik und Gegrilltes, Kinder tanzten auf einer Hüpfburg, Anwohner spendierten Kuchen, und von einem Lkw verteilten junge Leute Hosen, T-Shirts, Schuhe und Spielzeug. Jungen zeigten stolz ihre eben erworbenen Modellautos, ein Mädchen zog überglücklich mit einem Kinderfahrrad Kreise.

Die ausgelassene Stimmung verflog augenblicklich, als mit nach Heidenau gereiste Aktivisten des linken Lagers Markus Ulbig, der gerade angekommen war, in einer Art und Weise beleidigten, bepöbelten und niederbrüllten, wie es drei Tage zuvor auch „besorgte Bürger“ mit Ministerpräsident Tillich und der Bundeskanzlerin getan hatten.

Unter „Hau ab!“ und „Verpiss Dich!“-Rufen trieben die teilweise schwarz vermummten Gestalten Ulbig vom Gelände; seine Personenschützer hatten alle Mühe, ihn vor tätlichen Angriffen in Sicherheit zu bringen. „Schade, dass das Willkommensfest nicht für alle da ist“, sagte UIbig noch, dann verschwand er in seinem Wagen und brauste davon.

Der „beste Innenminister Deutschlands“

Ulbig sei ein integrer Mensch, sagen die, die mit ihm zu tun haben. Feiner Kerl, gutmütig und leidensfähig. Hartes Durchgreifen – was ein Innenminister zuweilen tun muss – ist dagegen nicht seine Sache. Ulbig ist zudem überaus pflichtbewusst, ihm übertragene Aufgaben will er meistern, und wenn sie noch so aussichtslos sind wie im Juni die Kandidatur als Oberbürgermeister in Dresden, zu der ihn der Landesvorsitzende der CDU, Stanislaw Tillich, auch noch verpflichtet hatte.

Dass Ulbig sich so in den Dienst der Partei stellte, dürfte ihn vorerst vor der Ablösung, die manche fordern, schützen. Tillich selbst lobte ihn nach der verloren Wahl als „besten Innenminister Deutschlands“, wohl auch, weil er kaum Alternativen hat. Unmut in der CDU-Fraktion über Ulbig soll Tillich in der vergangenen Woche mit dem Satz begegnet sein, dass sich melden solle, wer glaubt, es besser zu können, nur um, als die Arme unten blieben, festzustellen, dass der Innenminister weiter Markus Ulbig heißt.

Dafür spricht zudem, dass zurzeit die Leitung des Hauses umgebaut wird; Ulbigs Sprecher und Leiter des Leitungsstabes wurde abgelöst, auch die Posten seines Staatssekretärs sowie des Präsidenten der Landesdirektion stehen dem Vernehmen nach zu Disposition. Die Initiative dazu kam allerdings direkt aus der Staatskanzlei.

Polizei ist überfordert

Über Heidenau wiederum behielt die Polizei am Wochenende den Überblick per Hubschrauber, der am Samstag und am Sonntag über der Stadt kreiste. Am Freitagabend war eine Zusammenkunft von etwa 200 Asylheimgegnern im Zentrum Heidenaus ohne Zwischenfälle verlaufen, in der Nacht kreiste dann die Polizei gut hundert Personen mutmaßlich aus dem rechtsextremen Spektrum ein, die sich auf einem Parkplatz gegenüber der Flüchtlingsunterkunft versammelt hatten, nahm deren Personalien auf und erteilte allen Platzverweise. Die zwei Wasserwerfer, die am Rande der Bundesstraße zwischen Heidenau und Dresden parkten, kamen nicht zu Einsatz.

Die Situation in der Stadt wie in ganz Sachsen bleibt freilich angespannt. Die Polizei, die nach jahrelangem Personalabbau seit einem Jahr wöchentlich Pegida-Demonstrationen und Fußballspiele sichern muss, und die es darüber hinaus vermehrt mit Diebstählen, Schleusern sowie Krawallen auch von Linksextremen zu tun hat, scheint am Rande ihrer Kräfte angelangt.

Am Wochenende half dann schließlich doch Brandenburg dem Freistaat mit zwei Hundertschaften, die auch aus der Reserve gerufen wurden, ausgeholfen. Für Flüchtlingsunterkünfte will Sachsens schwarz-rote Regierung die sogenannte Wachpolizei wieder einführen, schnell ausgebildete Hilfskräfte, die bereits nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Dienst taten.

Wenn der Postbote Drohbriefe bringt

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe prüft die Übernahme der Ermittlungen zu den rechtsextremen Überfällen von Heidenau, bei denen mehr als 30 Polizisten verletzt wurden. Sachsens Verfassungsschutz sieht in den Krawallen eine „neue Dimension der Gewalt“, sagte der Präsident der Behörde, Gordian Meyer-Plath der „Welt am Sonntag“. Neu seien vor allem die Brutalität und Bereitschaft Rechtsextremer, Polizisten zu attackieren.

Amtsträger gegenüber gilt dieses Tabu dagegen schon lange nicht mehr. Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz fand in der vergangenen Woche gleich mehrfach Drohungen in seinem Briefkasten. „Ich habe die unappetitlichen Schreiben der Polizei übergeben“, sagte er am Sonntag. Die hat nun noch eine Aufgabe mehr.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.08.2015

Dieser Beitrag wurde unter Aktuell, Geschichte, Kultur, Nachrichten, Politik, Soziales, StaSeVe Aktuell, Völkerrecht, Wirtschaft, Wissenschaft abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.
0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments