Demenzkranke und geistig Behinderte betroffen – Kirchen laufen Sturm gegen Pläne für Medikamententests

An Demenzkranken und geistig Behinderten sollen künftig auch Medikamente getestet werden, von denen die Probanden keinen Nutzen haben. Die Kirchen sehen die Menschenwürde gefährdet.

VON RAINER WORATSCHKA

Nicht einwilligungsfähig. Bisher dürfen Arzneimittel nur an Demenzkranken getestet werden, wenn sie den Probanden auch nutzen könnten.

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Nicht einwilligungsfähig. Bisher dürfen Arzneimittel nur an Demenzkranken getestet werden, wenn sie den Probanden auch nutzen…FOTO: PICTURE ALLIANCE / DPA

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Es handle sich, so versicherten die Gesetzesmacher, nur um eine kleine Anpassung ans EU-Recht. Das Kabinett hat sie bereits durchgewunken, im Juni soll sie vom Bundestag beschlossen werden, im August in Kraft treten. Und auch der Name für das Vorhaben des Gesundheitsministers klingt wenig elektrisierend: viertes Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften.

Womöglich dauert die Sache nun aber doch etwas länger. Den beiden großen Kirchen in Deutschland nämlich gefällt Hermann Gröhes Entwurf in einem Punkt überhaupt nicht. Es geht dabei um Arzneitests an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen, also etwa Demenzkranken oder geistig Behinderten.

Erlaubt sind solche Studien bisher nur, wenn für die Patienten davon ein persönlicher Nutzen erwartbar ist. Auf Drängen des Forschungsministeriums soll diese Regelung nun jedoch auch auf „gruppennützige“ Studien ausgeweitet werden, von denen die Probanden selber gar nicht profitieren. Dagegen laufen sowohl die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) als auch die katholischen Bischöfe Sturm.

„Schwerwiegende Gefahren und Missbrauchsrisiken“

In einer gemeinsamen Stellungnahme geben beide Kirchen „erhebliche Bedenken“ zu Protokoll. Durch die geplanten Änderungen werde eine „besonders schutzwürdige Personengruppe“, so argumentieren sie, „schwerwiegenden Gefahren und Missbrauchsrisiken ausgesetzt“. Es drohe die Gefahr, dass diese Menschen „zum Nutzen anderer instrumentalisiert“ und „zum bloßen Objekt herabgestuft“ würden. „Dass eine derartige Verzweckung des Menschen gegen dessen Würde verstößt, steht für uns außer Zweifel.“

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Erschwerend hinzu kommt für die Kritiker, dass der Gesetzentwurf keinerlei Begründung für den angeblich so dringlichen Änderungsbedarf liefert. Die Ergebnisse des so genannten Pharma-Dialogs jedenfalls, wonach Deutschland bei der klinischen Forschung einen internationalen Spitzenplatz belegt, gäben „für einen solchen Bedarf nichts her“, heißt es in der Stellungnahme der Kirchen.

Deutschland kommt nach den USA weltweit auf die meisten Arzneistudien

Dem gerade erst veröffentlichten Pharmabericht zufolge waren deutsche Forscher in den vergangenen zehn Jahren an mehr als 10.000 klinischen Prüfungen beteiligt. Dank guter Rahmenbedingungen liege Deutschland sowohl bei der Zahl der klinischen Prüfungen als auch bei der Zahl der Prüfstätten weltweit auf Platz zwei. Einzig die USA mit ihrer viermal größeren Bevölkerung komme auf mehr Medikamententests. Und selbst wenn es Forschungsbedarf gäbe, so die Kirchen, „würde eine die Menschenwürde und die Autonomie des Einzelnen wahrende Regelung in jedem Fall ein auf der Basis einer umfassenden Aufklärung des Betroffenen selbst von diesem erklärtes Einverständnis voraussetzen“.

Bloß: Wie klärt man Demenzkranke auf? Was wäre das für ein Einverständnis?

Einwilligung durch den Betreuer?

Um dieses offensichtliche Problem in den Griff zu bekommen, versuche es Gröhe mit einer „Hilfskonstruktion“, sagt die stellvertretende Leiterin des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Katharina Jestaedt. Erlaubt wären Arzneitests an Nicht-Einwilligungsfähigen demnach, wenn diese ihr grundsätzliches Einverständnis noch vor Ausbruch der Demenz gegeben hätten. Per Patientenverfügung. Die konkrete Einwilligung könne bei fortgeschrittener Erkrankung dann vom jeweiligen Betreuer erteilt werden.

Aus Sicht der Kirchen widerspräche das jedoch allen Vorgaben für Patientenverfügungen. Der Patientenwille müsse darin „bestimmt genug und klar eingrenzbar sein“ – was wiederum detaillierte Beratung und Aufklärung erforderlich mache. Bei den zur Rede stehenden Arzneitests könne man aber erst mit Details aufwarten, wenn der Patient Risiken und Tragweite seiner Entscheidung schon nicht mehr überblicke.

Die Vordrucke zu Patientenverfügungen enthielten auch keinerlei Passagen über solche Tests, merkt die Bundesvereinigung Lebenshilfe an – „geschweige denn Erläuterungen über den Unterschied zwischen fremd- und eigennütziger Forschungsteilnahme“. Was kein Wunder ist. „In Patientenverfügungen kümmert man sich um sich selber und nicht um das, was in der Forschung passiert“, sagt der Vorsitzende der Ethikkommission in Berlin, Martin Hildebrandt. Gefordert wäre für die Arzneitests etwas ganz anderes: eine Zustimmung aus purem Altruismus. Zeitversetzt. Und dennoch in Kenntnis aller damit verbundenen Risiken.

Ethikkommissionen nur noch „maßgeblich zu berücksichtigen“

Damit nicht genug. Kirchen und Ärzte plagt auch die Sorge, dass unabhängige Ethikkommissionen bei der Zulassung von Arzneitests an Einfluss verlieren könnten. Bisher sind klinische Prüfungen ohne das Plazet solcher Kommissionen – bundesweit derzeit rund 50 – rundweg unzulässig. In Gröhes Gesetzentwurf steht nun nur noch, ihre Stellungnahmen seien „maßgeblich zu berücksichtigen“.

EKD und katholische Bischöfe werten dies als „Paradigmenwechsel“. Künftig könnten sich die zuständigen Bundesoberbehörden – konkret: das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und das Paul-Ehrlich-Institut – bei klinischen Prüfungen über Bedenken der Ethikwächter hinwegsetzen, warnen sie. Dadurch würden „internationale Standards der ärztlichen Ethik, wie sie etwa in der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes niedergelegt sind, unterschritten“.

Diese Sorge teilen auch der Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen und die Bundesärztekammer. Arzneitests dürfe es nur geben, wenn die zuständige Ethikkommission „zu zentralen Aspekten wie der Nutzen-Risiko-Bewertung für den einzelnen Patienten sowie die erwartete Bedeutung für die Heilkunde eine positive Stellungnahme erteilt“ habe, beharren die Mediziner.

Auch der Bundesrat hat Bedenken

Dem Bundesrat ist die Umformulierung ebenfalls nicht geheuer. Sofern die jeweils zuständige Ethikkommission eine klinische Prüfung abgelehnt habe, dürfe „kein zustimmender Bewertungsbericht ergehen“, lautet der Klarstellungsvorschlag der Länderkammer. Die Bundesregierung lehnt das ab, begründet es mit verfassungsrechtlichen Bedenken. Und beteuert gleichzeitig, dass mit der Formulierung keineswegs gemeint sei, dass Ethikkommissionen überstimmt werden könnten. Vielmehr habe man sie so zu lesen, „dass die Stellungnahme ausschlaggebend und richtungsweisend für die Entscheidung der Bundesoberbehörde ist“.

Gröhe, sonst den Argumenten kirchlicher Seite keineswegs verschlossen, argumentiert pragmatisch. Hochwertige klinische Prüfungen seien nun mal „Voraussetzung für einen schnellen und sicheren Zugang zu neuen Arzneimitteln“. Dabei müssten Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Bürger mit einem reibungslosen Genehmigungsverfahren „Hand in Hand gehen“.

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Vielleicht ist der 55-Jährige nicht alt genug, um den wilden Streit über die Bioethik-Konvention des Europarats aus den 90er Jahren auf dem Schirm zu haben. Auch damals ging es um fremdnützige Forschung an Nicht- Einwilligungsfähigen. Von 47 Mitgliedstaaten haben die Vereinbarung erst 34 unterzeichnet. Deutschland ist bis heute nicht dabei.

Vor drei Jahren hatte sich der Bundestag noch ganz anders positioniert

Nötig wären die Aufweichungen auch jetzt nicht. Die EU-Verordnung lässt den Mitgliedstaaten genügend Spielraum. Zudem widersprechen die Pläne früheren Festlegungen. Vor drei Jahren, so erinnert Kathrin Vogler von der Linken, hätten sich noch alle Fraktionen des Bundestages vehement für unabhängige Ethikkommissionen, die Verbindlichkeit ihrer Entscheidungen und das Verbot gruppennütziger Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Personen starkgemacht.

Vor diesem Hintergrund sei es „nicht akzeptabel, dass die Bundesregierung nun das Schutzniveau für nicht einwilligungsfähige Erwachsene absenken will“, sagte Vogler dem Tagesspiegel. Dass die Regierenden darüber hinaus die Unabhängigkeit von Ethikkommissionen beschneiden und Studien trotz Ablehnung durch solche Kommissionen zulassen wollten, bezeichnete sie als „Armutszeugnis“.

Wegen der Kritikpunkte werde sich die Unionsfraktion wohl noch mal zusammensetzen müssen, meint auch der CDU-Politiker Hubert Hüppe. Der frühere Behindertenbeauftragte der Regierung will nachgewiesen haben, dass es „eine unabweisbare Notwendigkeit für Forschung an Nichteinwilligungsfähigen ohne direkten Nutzen für diese Patienten“ gibt. Und wenn dieser Nachweis wirklich erbracht werde, sei über die Ausgestaltung entsprechender Patientenverfügungen zu reden. Er könne sich jedenfalls nicht vorstellen, dass Laien wüssten, was mit klinischen Studien und dem Merkmal der Gruppennützigkeit gemeint sei.

Transfusionsmediziner: Es gibt keinen Bedarf für eine Ausweitung

Ginge es nach dem Chef der Berliner Ethikkommission, bräuchte man nicht lange zu diskutieren. Für ihn sei es „nicht nachvollziehbar, warum der Gesetzgeber einer Absenkung des Schutzniveaus für nicht einwilligungsfähige Personen zustimmen sollte“, so Hildebrandt bei der Anhörung zu Gröhes Gesetzesplänen.

Für die Ausweitung von Arzneitests an Demenzkranken gebe es keinerlei Bedarf, sagte der Transfusionsmediziner dieser Zeitung. Schon jetzt seien genügend Studien möglich, Bedingung sei nur ein erwartbarer, irgend gearteter Nutzen für die Betroffenen. „Wenn man die Tür hier nun unnötig öffnet, droht die Gefahr, dass sie immer weiter aufgeschoben wird.“

Quelle: Der Tagesspiegel vom 17.05.2016


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