Ausgewechselt: Fußballclubs setzen Journalisten vor die Tür

23.08.2015
Peter Harth

Die Ersetzbaren – das Medienspektakel Fußball findet ohne Journalisten statt. Immer mehr Vereine berichten lieber in Eigenregie über Spiele und Spieler. Inzwischen werden sogar Sportreporter aus dem Stadion verbannt und die Massenmedien verlieren eine weitere, gerade noch sicher geglaubte Zukunft. Deshalb proben sie den Aufstand und rächen sich mit einer Kampagne an den Clubs: Das sei jetzt nur noch »Hofberichterstattung«, wo »gekuschelt, nicht kritisiert« wird. War das mit Journalisten vorher aber anders?

König Fußball. Er scheffelt Milliarden, schafft dafür aber unbezahlbare Momente zur Freude von Millionen am Fernseher. Für die Sportreporter beginnt das Spiel erst nach dem Spiel, wenn sie die ausgelaugten Ballkünstler hartnäckig verhören. Bei denen herrscht im Kopf aber gerade Notstand, weil das Blut durch die Beine pumpt. Der Adrenalinrausch tut sein Übriges.

Die Kicker winden sich im Interview zwar wie Wiesel um klare Antworten, trotzdem entstehen manchmal unfreiwillige Lichtblicke. Herrliches Improvisationstheater und Zitate für die Ewigkeit. Andreas Möller: »Mailand oder Madrid ‒ Hauptsache Italien!« Olaf Thon: »Ich habe ihn nur ganz leicht retuschiert.« Lothar Matthäus: »Es ist wichtig, dass man 90 Minuten mit voller Konzentration an das nächste Spiel denkt.« Marco Rehmer: »Wir sind hierher gefahren und haben gesagt: Okay, wenn wir verlieren, fahren wir wieder nach Hause.« Paul Breitner: »Da kam dann das Elfmeterschießen. Wir hatten alle die Hosen voll, aber bei mir lief es ganz flüssig.«

Anstoß für den FC Bayern im Krieg gegen die Journalisten

Aus und vorbei! Improvisiertes oder Unerwartetes soll es in Zukunft nicht mehr geben. Die Sportreporter werden ausgewechselt. Deutsche Bundesliga-Clubs haben schon lange eigene Sender mit einem vereinseigenen Fernsehstudio. Zusammen mit Medienprofis steuern sie jetzt die Vermarktung ihrer Inhalte selbst. Bild für Bild, Wort für Wort. Federführend ist einmal mehr der FC Bayern mit seinem fcb.tv. Glattgebügelte Interviews mit dem Trainer und den Spielern laufen dort exklusiv.

Der Grundstein dafür wurde bereits 2013 gelegt: Mario Götze – gerade erst von Dortmund zu Bayern gewechselt – schoss das Führungstor für die Bayern in Dortmund. Der heimgekehrte Sohn besiegt im Alleingang seinen alten Verein, den BVB. Eine Wahnsinns-Story. Der versammelte deutsche Sportjournalismus wartete nach dem Spiel auf den Superstar – vergeblich. Götze ging wortlos an den Reportern vorbei.

»Hauseigene Hofberichterstattung«

Am nächsten Tag sprach er exklusiv in die Kamera des Klubsenders. Dort vermarktet der Verein seine Spieler in Eigenregie, die vor extra-großen Sponsorenwänden sitzen – und verkauft diese Bilder an zahlende Zuschauer im Abo. Die Journalisten mussten zähneknirschend die PR-Bilder der Bayern übernehmen, um überhaupt noch dabei zu sein. Der Bayerische Journalistenverband klagte bereits 2010 über die »hauseigene Hofberichterstattung« und eine »massive Einschränkung der Pressefreiheit«. Einfluss auf die Vermarktungsmaschinerie haben die Journalisten nicht mehr. Sie dürfen nicht einmal mehr Fragen stellen. Ausgesperrt.

Der englische Fußball ist dabei schon einen Schritt weiter. In der Premier League wird mehr Geld mit Fernsehbildern verdient als in jeder anderen Liga der Welt. Klub-TV ist dort längst Fan-Alltag, die Inhalte werden gesteuert und poliert. Hinter und vor den Kameras arbeiten zwar immer noch erfahrene Journalisten, aber sie stehen auf der Gehaltsliste der Vereine. Es geht emotionaler zu. Die eigene Mannschaft und ihre Tore werden bejubelt. Spielt das Team schlecht, wird das gerne schöngeredet. Kritische Töne zur Aufstellung, zum Trainer, zu den Spielereinkäufen oder zur Politik des Vereins haben hier Sendepause.

Wer kritisch nachhakt, wird »verbannt«

Bohrendes Nachhaken bei Skandalen soll es schon gar nicht mehr geben: Jetzt bekamen die ersten Journalisten auf der Insel Stadionverbot. BBC-Reporter Chris McLaughlin wurde von den Glasgow Rangers »verbannt«. Auch Graham Spiers darf das Stadion nicht mehr betreten. Beide berichteten über die Steuersparmodelle der Rangers. Die gingen dank der Finanztricksereien 2012 in die Pleite und landeten zwangsweise in der vierten Liga. Spiers schrieb außerdem immer wieder über die anti-katholischen Hassgesänge der Fans im Stadion.

Die Liste der Vereine, die unliebsame Journalisten verbannen, wird in Großbritannien länger und länger: Newcastle United, Nottingham Forest, Southampton, Sunderland, Blackpool, Port Vale und Rotherham. Die britische Journalistenvereinigung NUJ spricht von einem Trend zur »Zensur«. Selbst ein Drittligist wie Swindon Town kann es sich leisten, die Medien auszusperren.

»Die […] Medien brauchen uns mehr als wir sie«

Besitzer Lee Power schaffte die Pressekonferenzen ab. Interviews mit dem Trainer und den Spielern führt nur noch der Pressesprecher. Die Fans bekommen Nachrichten über die clubeigene App. Power ist überzeugt: »Die lokalen Medien brauchen uns mehr als wir sie.« Damit sagt er im Kleinen, was in den großen Clubs gedacht wird. Hinter den Kulissen ist es ein Streit um das große Geld – für beide Seiten.

Fußball und Journalismus haben sich bisher nach Kräften gegenseitig unterstützt. Arm in Arm und nicht in kritischer Distanz zueinander, wie es die ausgesperrten Journalisten jetzt behaupten. Erst durch die Medien wurde es zum Spektakel für Millionen, wenn 22 Männer einem Ball hinterherjagen. Die Spieler im Stadion wuchsen zu überlebensgroßen, symbolischen Kriegern auf den Mattscheiben heran. Eine meist unblutige Gladiatorenschlacht mit klaren Regeln. Wir gegen die. Jeder darf dabei mitfiebern. Schmerzen bleiben auf dem Feld. Wir fühlen nur den Hass und die Freude, den Jubel über den Sieg oder das Leid nach einer Niederlage.

Fußball – ein Spiel für die Massenmedien

König Fußball lenkt ab und ist das Brot-und-Spiele-Substrat der modernen Massenmedien. Er bekommt mehr Zeitungsseiten und mehr Minuten im Fernsehen als alle anderen Sportarten zusammen. Die Vereine sind dabei unverschämt reich geworden, Journalisten freuen sich über Millionen Zuschauer und Leser. Bis jetzt eine Win-Win-Situation.

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet englische Vereine dieses Gentlemen’s Agreement zuerst brechen wollen. Nirgendwo sonst wird mit dem Fußball mehr Geld verdient, nirgendwo sonst ist der Anreiz größer, den ganzen Kuchen für sich haben zu wollen. Die britischen Journalisten lassen sich aber nicht kampflos aus dem Milliarden-Geschäft drängen. Der öffentlich-rechtliche Sender BBC boykottierte Spiele und Pressekonferenzen der Glasgow Rangers. Natürlich mit dem Angebot: Wir stellen das sofort ein, wenn ihr unsere Journalisten wieder zu den Spielen lasst. Sogar werbefinanzierte Sender wie Channel 4 stiegen in die Kampagne mit ein.

Wie viel Geld ist die Pressefreiheit wert?

Die Fußballvereine werden sich in Zukunft kaum noch erpressen lassen. Sie erreichen mittlerweile ihre Fans auf eigenen Kanälen. Vor allem durch das Internet. Wenn Fernsehsender die Spiele nicht mehr zeigen – also ihr eigenes Produkt boykottieren – schaufeln sie nur ihr eigenes Grab. Die Übertragungsrechte kosten Milliarden. Geld, das zwingend durch Werbung wieder eingespielt werden muss. Was nie gezeigt wird, lässt sich aber auch nicht mit Werbung zupflastern.

Journalisten, die jetzt auf Zensur und Pressefreiheit pochen, sind selbst nur Angestellte der riesigen Medien-Konzerne. Für die öffentlich-rechtliche ARD, das ZDF oder den Bezahlsender Sky ist der Fußball unter dem Strich eine ausgesprochen beliebte Ware, die teuer erkauft wurde. Das Risiko bei einem Boykott ist unkalkulierbar. Am Ende müssten sich die Umsatzriesen zwischen Pressefreiheit oder dem Bayern München, dem FC Barcelona und Manchester United entscheiden.
Deshalb ist der Krieg um den Fußball bisher ein Krieg der Worte. Auch deutsche Journalisten haben das Thema für sich entdeckt. Etwa die Zeit. Der Beitrag ist aber eher ein Warnschuss besorgter Sportjournalisten in Richtung der deutschen Fußballvereine: Lasst es lieber nicht so weit kommen wie auf der Insel, lieber FC Bayern München, liebe Borussia Dortmund.

Ein Armutszeugnis für beide Seiten

Dabei hat der Dauermeister aus München diese Grenze längst überschritten. Wer interviewt wird und was gefragt werden darf, das haben die Macher an der Säbener Straße fest im Griff. Sie beantworten Anfragen von unabhängigen Medien inzwischen einfach so: Ein Gespräch mit dem Spieler lief doch bereits auf fcb.tv. Bitte bedient euch. Aber auch Borussia Dortmund unterhält laut Wallstreet Journal einen gut ausgebauten Web-TV-Sender. Über ein Dutzend Angestellte produzieren das Magazin BVB World für 22 Länder.

Der Medienprofessor Thomas Horky ist zwar besorgt über diesen »Nichtjournalismus«. Allerdings sei es auch ein Armutszeugnis für die Journalisten, wenn der Fan nicht einmal mehr den Unterschied bemerkt und sich fragt, von wem Bilder gerade kommen. Die Sportreporter haben den Zuschauer längst an Glattgebügeltes und Banales gewöhnt. Beim Gegenangriff der Journalisten gegen die Clubs geht es eher um die Arbeitsplätze der Sportreporter. Ihre kritische Distanz haben sie bereits vorher verloren.

Quelle: Kopp-online vom 23.08.2015

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